"Eine deutliche Grenzüberschreitung"
16. November 2015Deutsche Welle: Erstmals wurde bekannt, dass ein US-Geheimdienst einen Mitarbeiter eines befreundeten deutschen Geheimdienstes als Quelle geführt hat. Ist das eine neue Qualität der Ausforschung?
Erich Schmidt-Eenboom: Das war eine deutliche Grenzüberschreitung. Wir erleben seit 1949, seit die CIA die "Organisation Gehlen" und dann den BND überwachte, dass es sehr viele Abschöpfkontakte gab. Wenn Sie die "Contact-Reports" in den amerikanischen Nationalarchiven anschauen, dann sehen Sie, dass BND-Angehörige entweder abgeschöpft wurden oder freiwillig sehr viele Informationen an die Amerikaner gegeben haben. Es gab auch funkelektronische Überwachungen. Aber es gab noch nie den Fall, dass die CIA einen Agenten im BND führte. Allerdings hat sie den nicht selbst rekrutiert, sondern der war ein Selbstanbieter. Und er war ein sehr wertvoller Selbstanbieter.
Zu den Dokumenten, die Markus R. an die CIA gegeben hat, gehört auch das sogenannte Auftragsprofil der Bundesregierung. Welche anderen Dokumente hat Markus R. weitergegeben - und was bringen die den USA?
Es ist öffentlich geworden, wie das zumindest Ende der 1980er-Jahre aussah. Und da gibt es dann Prioritäten, die die Bundesregierung festlegt, die sich entweder auf thematische Schwerpunkte beziehen - zum Beispiel Proliferation oder Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, aber neuerdings sicherlich auch Migration. Und da gibt es für verfeindete und befreundete Staaten auch Aufklärungsprioritäten. Das heißt man hat einmal Länder im Visier und sagt, wie wichtig diese Länder sind, aber auch bestimmte Einzelfragen: zum Beispiel die Fragen, wie es um die Versorgung Deutschlands mit nuklearen Brennstoffen aus den USA aussieht, welche Europapolitik die USA machen und so weiter. Der BND hat von jeher auch die verbündeten Staaten im Visier gehabt. Und nun können die Amerikaner aus diesem Allerheiligsten, das ihnen Markus R. geliefert hat, sehr genau sehen, mit welchen Schwerpunkten der BND arbeitet. Das ist auch für den Austausch wichtig, weil die USA jetzt sehr viel gezielter an die Deutschen herantreten können und sagen: Wir haben ein spezielles Interesse an diesem Land, an diesem Thema. Gebt uns doch mal, was ihr dazu habt.
Die Bundesrepublik hat auf diesen Vorfall ja immerhin mit einer gewissen Härte reagiert: Der CIA-Repräsentant in Berlin musste das Land verlassen. Reicht das aus?
Das ist die höchste nachrichtendienstlich-diplomatische Maßnahme, die man überhaupt treffen kann. Neben der Einbestellung des amerikanischen Botschafters, was ja auch geschehen ist. Es hat aus Reihen der Unionsparteien Vorschläge gegeben, jetzt die Gegenspionage des BND gegen amerikanische Dienste durch eine Aufstockung der Finanzmittel zu forcieren. Aber das ist gänzlich unmöglich. Im Bereich der Gegenspionage war der BND historisch gesehen nie gut, immer nur zweiter Sieger gegenüber den östlichen Diensten. Und auf so ein gefährliches Feld wie Gegenspionage und Doppelspieloperationen mit den Amerikanern wird er sich mit Sicherheit nicht einlassen. Weil das viel zu gefährlich ist. Denn er braucht ja auf der anderen Seite aus vielen Regionen die Unterstützung der amerikanischen Nachrichtendienste. Was der BND allerdings tun muss, ist eine nachhaltige Verbesserung seiner Sicherheitsvorkehrungen. Denn es kann ja wohl nicht sein, dass ein Mitarbeiter Dokumente ausdruckt aus hochgeheimen Rechnern und die dann mit nach Hause nimmt, um sie dort zu scannen.
Auch im Licht der willigen Zusammenarbeit des BND mit der NSA beim Ausspionieren deutscher und europäischer Ziele: Was wären die wichtigsten Bausteine einer Reform der Geheimdienste und der Aufsicht über sie?
Es gab offensichtlich einen erheblichen Mangel an Fachaufsicht innerhalb des BND - wo der BND-Präsident entweder nicht oder viel zu spät von Kooperationsstrukturen seiner Station in Bad Aibling erfahren hat. Da gibt es natürlich Maßnahmen dagegen. Man muss ja nicht einen amerikanischen Verbindungsoffizier im Rang eines Generals in dieser Außenstation des BND haben. Sondern man kann den gesamten Austausch in Berlin konzentrieren, möglicherweise sogar über das Kanzleramt laufen lassen. Dann kann es nicht mehr vorkommen, dass es gewisse Eigenmächtigkeiten im Dienst gibt. Und mindestens müsste die ganze Austauscharbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten direkt beim Präsidenten angesiedelt sein. Damit er den Überblick hat und nicht immer einzelne Mitarbeiter versuchen, bei ausländischen Diensten gute Informationen zu bekommen und dafür Sachen herausgeben, die sie eigentlich nicht herausgeben dürften.
Erich Schmidt-Eenboom ist Geheimdienstexperte und Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik e.V. in Weilheim. 2005 stellte sich heraus, dass er seit der Veröffentlichung seines Buches "Der BND" selbst vom deutschen Geheimdienst überwacht wurde.
Das Gespräch führte Matthias von Hein.