Gehen Merkel und Seehofer getrennte Wege?
In der Asyl- und Flüchtlingspolitik streiten sie seit Jahren: Zwischen Bundeskanzlerin Merkel (CDU) und Bundesinnenminister Seehofer (CSU) ist es erneut zum offenen Machtkampf gekommen. Geschichte einer Eskalation.
Eine Watsche für Merkel
Auf dem CSU-Parteitag im November 2015 kommt es erstmals zum Affront. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel vor den Delegierten ihre Ablehnung einer Obergrenze von Flüchtlingen bekräftigt hat, entert Horst Seehofer die Bühne. Unter großem Beifall hält Seehofer Merkel eine Standpauke, in der er eine Begrenzung fordert. Dreizehn Minuten muss die Bundeskanzlerin wie ein Schulmädchen neben ihn stehen.
Der Zauber des Anfangs
Es gab tatsächlich eine Phase der Harmonie: Im Dezember 2013 - vor der Flüchtlingskrise - ist die Welt noch in Ordnung. Die Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel (SPD), Angela Merkel (CDU) und Horst Seehofer (CSU) halten den unterzeichneten Koalitionsvertrag der neuen Großen Koalition in den Händen. Zum dritten Mal wird Deutschland künftig von einer Koalition von CDU/CSU und SPD regiert.
"Wir schaffen das"
Ende August 2015: Auf der Bundespressekonferenz erläutert Merkel den Satz, der wie kein anderer ihre Kanzlerschaft prägt: "Wir schaffen das" - Dies sei anspornend und anerkennend gemeint gewesen, sagt sie vor den Journalisten. Dass Seehofer dies ganz anders sieht, ist kein Geheimnis. Bald wird dieser seine eigenen Pläne vorstellen.
Bayerns Löwe gibt sich kampfbereit
Auf der CSU-Klausur in Wildbad-Kreuth im Januar 2016 fordert Seehofer erstmals eine Begrenzung der Zuwanderung. Maximal 200.000 Flüchtlinge könne Deutschland jährlich aufnehmen. Der Vorstoß des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten überrascht Merkel. Wenig später droht die bayerische Landesregierung, Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Flüchtlingspolitik einzureichen.
Anstoßen auf eine gemeinsame Zukunft?
Misstrauisch beobachten sich Merkel und Seehofer. Trotz aller Unstimmigkeiten wissen sie um ihre gegenseitige Abhängigkeit und nähern sich mühsam wieder einander an. Im Mai 2017 machen sie gemeinsam Wahlkampf in einem bayerischen Bierzelt. Allerdings wirkt Merkel alles andere als überzeugt von der Aktion.
Gespielte Harmonie
Vom Bierzelt in die Kongresshalle: Im Dezember 2017 bietet sich beim CSU-Parteitag ein ganz anderes Bild als bei dem Eklat von 2015. Seehofer und Merkel strahlen sich um die Wette an. Der Zoff um die Flüchtlinge scheint wie weggewischt. Warum? Es ist Wahlkampf! Doch hinter der Fassade brodelt es bereits.
Auf dem Weg zu Koalitionsgesprächen
Die Bilder der Harmonie haben sich ausgezahlt. Merkel und Seehofer bereiten sich Ende Oktober 2017 nach dem Sieg bei der Bundestagswahl auf die Koalitionsgespräche vor. Wie ein Team wirken sie bei ihrem Auftritt in der Berliner CDU-Parteizentrale aber nicht. Kein Wunder. Diskutiert wurde vor allem die Flüchtlingspolitik der Union auch hinsichtlich einer möglichen Obergrenze.
Neue Regierung, neue Chance
Da stehen sie wieder. Merkel und Seehofer bei der Amtseinführung. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ernennt im Schloss Bellevue die Minister des neuen Bundeskabinetts. Für die beiden Kontrahenten von den Schwesterparteien CDU und CSU gibt es damit die Chance für einen Neuanfang.
Er stichelt, sie schweigt
Hier lässt einer nicht locker. Als neuer Bundesinnenminister ist Seehofer von München nach Berlin gezogen. Sein Amt als bayerischer Ministerpräsident hat Markus Söder übernommen. Dafür stichelt Seehofer nun in der Hauptstadt gegen die Politik Merkels, wenn auch verhaltener als früher. Vor allem um die geplante Neuregelung des Familiennachzugs für Flüchtlinge deutet sich neuer Streit an.
Merkels Widersacher
Ausgebremst: Seehofer verschiebt die Vorstellung seines "Masterplan Migration" wegen Kontroversen mit der Bundeskanzlerin. Während Merkel zum Integrations-Gipfel einlädt, trifft er den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz, dem er sich politisch nah fühlt. Ein erneuter Affront gegen die Kanzlerin. Am Donnerstag der bisherige Höhepunkt im "Ehestreit": Die Unions-Fraktionen tagen getrennt.