Geht Spanien die Luft aus?
1. Juni 2012Auf den ersten Blick scheint es ein gutes Zeichen zu sein. Am Mittwoch (30.05.2012) lobte die EU-Kommission Spanien für seine Reformen und seine Sparmaßnahmen. Unter der Bedingung, dass "Spanien die überhöhten Ausgaben seiner Regionen reduziert und einen soliden Haushaltsplan für die nächsten zwei Jahre vorlegt", hatte EU-Währungskommissar Olli Rehn dem Land sogar in Aussicht gestellt, dass es ein Jahr mehr Zeit zum Sparen bekommt als ursprünglich geplant. Möglicherweise müsste die Regierung in Madrid also erst 2014 das Defizit unter die drei Prozent-Marke gedrückt haben.
Aber in der Europäischen Union mehren sich Zweifel, ob Spanien überhaupt in der Lage ist, sich aus eigener Kraft aus dem Schuldensumpf zu ziehen. Das Land hat unter anderem ein massives Problem mit seinen Banken, die auf milliardenschweren faulen Krediten sitzen. In das viertgrößte, inzwischen teilverstaatlichte Bankhaus "Bankia" beispielsweise müssten 23 Milliarden Euro zur Rettung gesteckt werden. Woher das Geld kommen soll, ist unklar.
Gefahr für ganze Eurozone
Angesichts dieser Lage hat die Milde der EU-Kommission einen faden Beigeschmack. In Wirklichkeit dokumentiert der mögliche zeitliche Aufschub einmal mehr den Ernst der Lage und die Hilflosigkeit aller Beteiligten. Denn die Probleme eines europäischen Schwergewichts wie Spanien könnte die ganze Eurozone ins Wanken bringen. Sollte Spanien unter den Euro-Rettungsschirm müssen, könnte dieser unter den finanziellen Belastungen zerreißen, befürchten die meisten Experten. Vielen EU-Beamten ist deswegen fast jede Stützungsmaßnahme recht.
"Für Spanien ist es fünf vor zwölf", urteilt Daniel Gros, Direktor der Brüsseler Denkfabrik "Centre for European Policy Studies" (CEPS). Er geht davon aus, "dass das spanische Bankensystem sich sehr bald nicht mehr selber refinanzieren kann und dass die spanische Regierung Zinsen bezahlen muss, die sie sich längerfristig nicht leisten kann." Dann stünde das Land vor einem Abgrund. In diesem Fall sollte aber nicht der Fehler gemacht werden, den Rettungsfonds für die Finanzierung der gesamten spanischen Wirtschaft einzusetzen. "Das kann Europa nicht leisten, weil Spanien einfach zu groß ist", warnt Gros. Es müsse eher ein Weg gefunden werden, wie spanische Banken rekapitalisiert werden könnten, ohne dass dies dem Staat das Genick breche: "Was die spanischen Banken brauchen, sind nicht weitere Darlehen, sondern Kapital. Und dieses Kapital kann der spanische Staat nicht liefern, weil er dafür das Geld nicht hat."
Nationalstolz gegen Kontrolle
Die Finanzierung müsse deshalb von einer europäischen Stelle kommen. "In erster Linie vom EFSF, dem Europäischen Rettungsschirm", empfiehlt Gros. Weil der Rettungsfonds aber nur zur Stützung notleidender Staaten gedacht ist und nicht zur Rettung maroder Banken, müsste er modifiziert werden. "Dann könnte der Rettungsschirm die spanischen Banken rekapitalisieren und natürlich gleich deren Kontrolle übernehmen." Ein Vorschlag, der auch in der EU-Kommission diskutiert wird. Allerdings sei eine solche Bankenkontrolle kaum mit dem Nationalstolz der spanischen Bevölkerung vereinbar, die sich von der EU nichts diktieren lassen wolle, glaubt Gros.
Mittlerweile hat die Ratingagentur Fitch erneut den Daumen über Spanien gesenkt. Sie stufte acht Regionen, darunter Madrid, wegen schlechten Wirtschaftens herab. Für Daniel Gros kommt diese Entscheidung nicht überraschend. Denn die auf Selbstständigkeit pochenden Regionen Spaniens, die fast so viele Befugnisse wie deutsche Bundesländer haben, hatten "immer wieder die Sparanstrengungen der Zentralregierung unterlaufen. Sie sollten deshalb stärker zur Verantwortung gezogen werden, damit sie nur so viel ausgeben, wie sie wirklich einnehmen." Das könne die Regierung in Madrid durchsetzen, indem sie ihnen kein Geld mehr anweist, schlägt Gros vor. "Wenn die Regierung hart bliebe, könnte sie zum Beispiel der relativ reichen Region Katalonien sagen: Wir werden Euch nicht retten, Ihr müsst selber zusehen, wie Ihr klarkommt. Und dann würde die Haushaltsdisziplin sehr schnell einkehren."
Ausverkauf des Wohlfahrtsstaates?
Indessen wächst der Druck auf die Regierung in Madrid. Die Finanzmärkte werden voraussichtlich nicht mehr lange zusehen, wie Spanien Defizite von acht, neun Prozent vom Bruttosozialprodukt fährt. Es gibt also keine Alternative zur Sparpolitik. Aber weitere Kürzungen werden sich gegenüber der aufgebrachten Bevölkerung nur schwer durchsetzen lassen, wie die Ausschreitungen bei Demonstrationen Anfang März gezeigt haben. Zudem heizen die Gewerkschaften die Stimmung weiter an, indem sie dem konservativen Regierungschef Mariano Rajoy und seinen Ministern vorwirft, unter dem Deckmantel des Sparprogramms den "Ausverkauf des Wohlfahrtstaats" voranzutreiben.
Mit fast schon verzweifelter Intensität versuchen die EU und die spanische Regierung, die Lage zu beruhigen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel warb um Vertrauen in den spanischen Reformkurs und in die Stabilisierung der europäischen Banken. Nach der Sitzung des Ostseerates am Donnerstag (31.05.2012) in Stralsund sprach sie von Spanien als Verbündetem "bei dem Weg, fiskale Konsolidierung zu betreiben und gleichzeitig Wachstum herzustellen". Ob die Durchhalteparolen in der spanischen Bevölkerung ankommen, ist zweifelhaft. Zuletzt hoben Bankkunden mehr Geld ab als bisher.