Gelassenheit nach Moody's Warnung
24. Juli 2012Für Frankreichs früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy war es eine Frage der nationalen und wohl auch der persönlichen Ehre: Eine Herabstufung der Bonitätsnote für Staatsanleihen aus Paris sollte und durfte es nicht geben. Die Macht der drei großen Finanz-Ratingagenturen mit einem Federstrich die Kreditwürdigkeit ganzer Staaten in Frage zu stellen, war Sarkozy ein Dorn im Auge. Zuweilen erschienen die Agenturen, übrigens alles US-amerikanische Unternehmen, schon fast als Feinde Frankreichs, die es abzuwehren oder zu bekämpfen galt. Anfang Januar kam die Degradierung dann doch: Standard & Poor's senkte seine Bewertung für Frankreich von "AAA" auf die zweitbeste Stufe "AA+".
Nicht nur eine Frage des Prestiges
Deutschland hat bislang noch bei allen drei Agenturen sein Top-Rating behalten – auf die Warnung von Moody's an diesem Montag (23.07.2012), das könne sich in der Zukunft ändern, reagierte die Bundesregierung nun mit demonstrativer Gelassenheit. Dabei sind die Bonitätsnoten an sich keineswegs nur eine Prestigefrage: Wird ein Staat herabgestuft, dann muss er normalerweise höhere Zinsen bieten, um sich auf dem internationalen Finanzmarkt Geld zu leihen. Welche Auswirkungen das haben kann, zeigt das Beispiel Spanien: Das ohnehin von Finanznöten geplagte Land muss nun sieben Prozent Zinsen bieten, um seine Staatsanleihen loszuwerden.
Eingepreiste Risiken
Commerzbank-Volkswirt Ralph Solveen ist weder von der vorläufigen Beibehaltung der Topnote für Deutschland noch vom "negativen Ausblick" der Ratingagentur Moody's überrascht. Aber selbst nach einer tatsächliche Herabstufung würden sich die Auswirkungen in Grenzen halten: "Dass Deutschland deutliche zusätzliche Lasten auf sich genommen hat und dass das - bei einer ungünstigen Entwicklung der Staatsschuldenkrise - eben auch tatsächlich auf Deutschland zurückfallen und damit die Kreditwürdigkeit angreifen könnte, das ist ja beim besten Willen jetzt keine neue Information." Das Risiko sei dem Markt bekannt, und in den aktuellen Zinskonditionen schon "eingepreist". Mit einem massiven Zinsanstieg für deutsche Staatsanleihen rechnet Solveen daher auch für die nächsten Wochen und Monate nicht.
Geldverdienen beim Schuldenmachen
"An den internationalen Finanzmärkten ist das Vertrauen in Deutschland hoch; dies spiegelt sich in den niedrigen Refinanzierungskosten deutscher Anleihen wider" – so lautet die Stellungnahme aus dem Bundesfinanzministerium zu Moody's Rating-Aktualisierung. Konkret heißt das ganz aktuell: Bei bestimmten Staatspapieren und bestimmten Laufzeiten kostet Deutschland das Schuldenmachen momentan gar nichts. Im Gegenteil: die Rendite ist negativ – die Anleger bezahlen Geld dafür, dass sie dem deutschen Staat etwas leihen dürfen.
Das ist nicht nur für Laien schwer verständlich, bestätigt Rolf Schneider, Leiter Konjunkturanalyse beim Versicherungs- und Finanzdienstleister Allianz. Denn die Negativbilanz bei einer solchen "Investition" wird ja durch die Geldentwertung, die Inflation noch weiter verschlimmert. Offenbar würden Anleger, die bereit sind, bei Bundesanleihen draufzuzahlen, damit rechnen, "dass der Euro-Raum auseinanderbricht und wir letztlich zur DM zurückkehren. Und dass der deutsche Staat der einzige ist, der letztlich Sicherheit gewährleistet."
Bundesfinanzminister Schäuble im Glück?
Auch beim kurzfristigen Parken von großen Beträgen fehlt es institutionellen Anlegern momentan schlicht an sicheren Alternativen – Milliarden lassen sich nun einmal nicht unter dem Kopfkissen aufbewahren. Beim deutschen Staat sehen viele Akteure ihre Besitztümer besser aufgehoben als in anderen Teilen des Finanzsystems, so erklärt es Ralph Solveen von der Commerzbank. "Wenn man früher ein Bankschließfach hatte und dort sein Geld oder seinen Schmuck deponierte, hat man auch etwas dafür bezahlt. Und nun ist man offensichtlich bereit, auch Herrn Schäuble etwas dafür zu bezahlen, dass er auf das Geld aufpasst." Eine scheinbar beneidenswerte Situation für den Bundesfinanzminister, in der der negative Moody's-Ausblick offenbar nur wenig stört. Doch in der Analyse aus New York steckt eben auch die Warnung vor den immer höheren Risiken für den deutschen Staat. Und das halten sowohl Commerzbank-Volkswirt Solveen als auch sein Allianz-Kollege Schneider für nachvollziehbar.
Ratings bleiben vorerst unverzichtbar
Auch der These von einer insgesamt "schwindenden Macht" der Ratingagenturen wollen die Experten nicht zustimmen. Große Vermögensverwalter wie Lebensversicherer und Pensionsfonds sind nämlich an die Auflagen der Finanzaufsichtsbehörden gebunden. Sie dürfen nur Wertanlagen mit einem bestimmten Mindest-Rating erwerben oder im Portfolio halten, erläutert Rolf Schneider: "So lange diese institutionellen Bedingungen in unserer Finanzarchitektur so sind, spielen auch Ratings eine ganz erhebliche Rolle." Doch bei relativ transparenten Anlageformen wie den deutschen Bundesanleihen haben sie wahrscheinlich eine nicht mehr so große Bedeutung, so der Experte von der Allianz. Und das sei ein anderer, begrüßenswerter Punkt.