Geld verdirbt Fußball
3. Januar 2017Eine Rekordablöse nach der anderen! 2016 war in China ein Fußballjahr der Extreme. Anfang 2016 wechselte der Brasilianer Alex Teixeira Santos für 50 Millionen Euro zum chinesischen Erstligist Jiangsu Suning. Ein halbes Jahr später kam sein Landsmann Givanildo Vieira de Souza, bekannt als Hulk, nach Shanghai zum Club SIPG - für 55,8 Millionen Euro. Ende 2016 hieß es, SIPG wolle eine Ablöse von 70 Millionen Euro an den englischen Club Chelsea zahlen, für den brasilianischen Nationalspieler Oscar dos Santos Emboaba Junior. Im Januar soll das Geschäft unter Dach und Fach gebracht werden.
Um den Jahreswechsel überraschten weitere Millionenangebote aus dem "Reich der Mittel" – wie China bereits scherzhaft genannt wird. Dem deutschen Weltmeister Lukas Podolski winkten gleich zwei Clubs in China mit einem Millionenangebot. Der argentinische Fußballstar Carlos Tevez wechselte für bescheidene 11 Millionen US-Dollar Ablöse nach Shanghai, verdient aber nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP rekordverdächtige 38 Millionen Euro im Jahr. Gegen Ende des Jahres behauptete der Berater von Superstar Cristiano Ronaldo, Jorge Mendes, ihm liege eine Offerte von 300 Millionen Euro Ablöse aus China vor. Ronaldo würde im Jahr angeblich mehr 100 Millionen Euro verdienen. Der Portugiese soll das Superangebot aber abgelehnt haben.
2016: Teuerstes Fußballjahr
Umgerechnet 470 Millionen Euro haben im vergangenen Jahr Chinas Clubs für Transfers ausgegeben, soviel wie 2014 und 2015 zusammen. Zurzeit spielen 95 Spieler aus 32 Ländern in der chinesischen Profiliga.
Der Fußballmarkt und die Fangemeinde in China sind groß. Pro Spiel gehen 24.000 Fans ins Stadion, mit Abstand der Spitzenreiter in Asien. Allein die Liveübertragungen der Chinese Super League (CSL), so die offizielle Bezeichnung, brachten 2016 umgerechnet 1,2 Milliarden Euro ein.
Ohne Moos, nix los
Der allgemeine Konsens unter Agenten und Beratern ist: wenn du viel Geld verdienen willst, geh nach China. Doch der Fußballsport im Land profitiere nicht davon. "Vielen ausländischen Trainern und Spielern wird vorgeschlagen, einen Jahresausflug nach China zu machen", kritisiert Wu Jingui, Sportdirektor des Shanghaier Clubs SIPG. "Sie schließen einen Dreijahresvertrag ab, spielen aber nur ein Jahr, warten auf den Wechsel und kassieren weiter das chinesische Gehalt."
"Ausländische Spieler wollen nur Geld verdienen, wenn sie dem Ruf eines chinesischen Clubs folgen", sagt auch Shen Lei, Sportredakteur der Tageszeitung "Wenhui" aus Shanghai. "Gehen die talentierten Spieler aus Südamerika nach Europa, verdienen sie gut und können ihre sportlichen Leistungen steigern. Sehen sie keinen Spielraum mehr für ihr sportliches Weiterkommen, zählt nur noch das Argument Geld und dann führt der Weg nach China."
Sportlich Top, finanziell Flop!
Nach Shen investierten die Clubs in Spitzenspieler, ohne Rücksicht auf den Kaufpreis. Die meisten Clubs in China sind im Besitz von Riesenkonzerne. "Ein Club braucht jährlich mindestens 30 Millionen. Die guten sogar 60 bis 70 Millionen. Doch sie nehmen nur 30 Millionen Euro ein. Alle Clubs schreiben demnach fette rote Zahlen."
Ein Beispiel: 2010 stieg der größte Baukonzern Chinas, Evergrande, als alleiniger Eigentümer beim Fußballclub der südchinesischen Provinz Guangdong ein. Der Club war nach einem Wettskandal mit einem Zwangsabstieg bestraft worden und vergleichsweise preiswert zu haben: gerade einmal 14 Millionen Euro legte der Baukonzern hin. Ein Jahr später schaffte die Mannschaft den Aufstieg und gewann die Meisterschaft. So ist es seither geblieben. Mit dabei waren immer Star-Trainer aus dem Ausland. Der aktuelle Trainer, Luiz Felipe Scolari aus Brasilien, soll 10 Millionen Euro im Jahr zuzüglich Boni verdienen. Doch der Club ist hoch verschuldet, trotz der späteren Beteiligung des Online-Auktionshauses Taobao 2014, einer Tochtergesellschaft der Alibaba Group von Chinas Vorzeigeunternehmer Jack Ma. 2015 musste sich der Club auf dem Kapitalmarkt mit dem Gang an die Börse finanzieren. Aber Shen Lei warnt im Interview mit der Deutschen Welle: "Der Fußball in China ist für Anleger nicht interessant. Ein Unternehmen, das wie Evergrande jährlich 72 Millionen Euro Schulden macht, ist für Anleger wertlos."
Doch die Minusgeschäfte nehmen chinesische Eigentümer bewusst in Kauf, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Chinas mächtigster Mann Xi Jinping ist nämlich Fußballfan. Zwar weiß die Öffentlichkeit nicht, welche Mannschaft Xi unterstützt, aber die Sportfunktionäre tun alles, um beim Staatspräsidenten den Eindruck zu erwecken, sie würden alles tun, damit der Fußball beliebter und erfolgreicher wird.
Fußballzwerg
Aber China ist statistisch gesehen das Reich des Mittelmaßes, wenn es um die Nationalmannschaft der Männer geht. Auf der Rangliste des Weltfußballverbands FIFA steht China derzeit auf Platz 82 von 205, noch hinter Ländern wie Libyen, Burkina Faso oder Trinidad und Tobago.
In der WM-Qualifikation 2018 stehen die Chancen für China schlecht. Die Mannschaft konnte bisher kein einziges Spiel gewinnen und verlor zuletzt gegen Syrien im Heimspiel 0:1 bzw. gegen Usbekistan 0:2. In den vergangenen vier von fünf Spielen schoss die Nationalmannschaft überhaupt kein Tor. Damit steht China auf dem letzten Platz in der Gruppe A und hat nur noch theoretisch eine Chance.
Kein Nachwuchs
Die starke Präsenz ausländischer Spieler machen Sportkommentatoren für den Misserfolg der Nationalelf verantwortlich. Clubs mit ausländischen Topspielern hätten zwar durchaus Erfolg, berichtet Ji Yuyang, Ressortleiter der Shanghaier Sportzeitung "Oriental Sport", "aber der Profifußball will den schnellen Erfolg, anstatt in den Nachwuchs zu investieren."
In der vergangenen Saison wurden 70 Prozent der Tore in der CSL von ausländischen Spielern geschossen, die auf Chinesisch wörtlich übersetzt "unterstützende Spieler aus dem Ausland" heißen. Unter den Top-10-Torjägern gibt es nur einen Chinesen.
Auch die Abermillionen Fans in China sitzen lieber gemütlich im klimatisierten Wohnzimmer vor dem Fernseher, anstatt mit eigenen Kindern auf den Platz kicken zu gehen. "Unter einer bis zwei Millionen Fußballkids entsteht vielleicht ein Messi oder ein Ronaldo. Aus den ein- bis zweitausend Kickern in China wird kein Superstar hervorgehen", kommentiert Shen. "Die meisten Fans haben nie im Leben das runde Ding aus Leder angefasst. China hat nur Fußballzuschauer und -kommentatoren produziert. Egal wie hoch der finanzielle Anreiz ist und wie die politischen Rahmenbedingungen optimiert werden - all das wird die Situation nicht verändern. China bleibt ein Fußballzwerg."