Generation Z legt sich mit Myanmars Militär an
16. Februar 2021Die Schockstarre nach dem Putsch vom 1. Februar hielt keine 72 Stunden an. Sehr schnell artikulierten die Bürger des Landes ihre Wut und Frustration in den sozialen Medien, insbesondere auf Facebook, der wichtigsten Internetplattform in Myanmar. Es formierte sich eine Bewegung des zivilen Ungehorsams, zuerst von Ärzten und Krankenschwestern, der sich inzwischen auch Lehrer, Beamte, vereinzelt Polizisten und andere angeschlossen haben.
Drei Tage nach dem Putsch manifestierte sich der Widerstand auch auf den Straßen. Jeden Tag wurden die Proteste größer und lauter. Eine wichtige Gruppe bilden überwiegend junge Demonstranten, die sich selbst als Generation Z bezeichnen. Sie tritt sehr selbstbewusst auf: "You messed with the wrong generation" ("Ihr habt euch mit der falschen Generation angelegt").
Neue gesellschaftliche Kräfte
Der Historiker Thant Myint-U setzt in einem Meinungsbeitrag für die "Financial Times" alle Hoffnung auf die junge Generation. Seiner Ansicht nach haben die Militärs, aber auch die De-facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi und ihre Partei, die Nationale Liga für Demokratie (NLD), abgewirtschaftet. "Was Myanmar all die Jahre gelähmt hat, ist eine Gerontokratie und ein verengter Fokus auf Wahlen und die Verfassung."
Wie lässt sich die junge Protestgeneration des Landes charakterisieren? Sie ist sehr breit aufgestellt. Die Generation Z, Ärzte und Krankenschwestern, Künstler, Bank- und Bahnangestellte, Lehrer, LGBTQ-Aktivisten, Gewerkschaften, Studenten und viele andere gesellschaftliche Gruppen mehr haben sich dem Protest angeschlossen. Die Gruppen überschneiden sich teilweise, arbeiten zusammen, haben aber auch unterschiedliche Hoffnungen.
Stark befeuert werden die aktuellen Demonstrationen von Prominenten wie Filmschauspielern, Musikern und Bloggern. Auch Exil-Myanmarer etwa aus Thailand und den USA spielen eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Proteste in den sozialen Medien.
1988 als abschreckendes Beispiel
Die Demonstranten zeigen Mut und Entschlossenheit, denn sie wissen aus Erzählungen, dass die Proteste nach dem letzten Putsch von 1988 gewaltsam niedergeschlagen wurden. Sie wissen auch, dass die Militärregierung nicht erst mit dem geplanten "Cyber Security Law" willkürliche Verhaftungen durchführen kann. Seit das Militär am vergangenen Sonntag mit Panzerwagen in Rangun (Yangon) und anderen Städten aufgefahren ist, hat die Zahl der Demonstranten allerdings merklich abgenommen.
Was die Demonstranten verbindet, ist die Ablehnung der Militärdiktatur, aber (noch) keine gemeinsame Vorstellung davon, wie das Land in Zukunft aussehen soll. In vielerlei Hinsicht ähnelt die Bewegung der Protestbewegung von 1988. Damals fand sich ebenfalls eine breite Allianz zusammen, deren Gemeinsamkeit in der generellen Ablehnung der Militärs und allgemeiner Begeisterung für Aung San Suu Kyi bestand. Ihr war kein Erfolg beschieden.
Streiks mit zweischneidiger Wirkung
Die Straßenproteste sind sichtbar, aber vor allem die Kampagne des zivilen Ungehorsams ist wirksam. Viele Banken sind geschlossen, die Flughäfen arbeiten nur eingeschränkt, Züge bleiben in den Depots, Container stapeln sich unabgefertigt im Hafen von Rangun.
Die Kampagne zivilen Ungehorsams trifft die Bevölkerung allerdings ungleich härter als das Militär, und zwar insbesondere die ärmere Bevölkerung. Wenn die Banken die Telefonrechnungen an das vom Militär kontrollierte Unternehmen "MyTel" nicht mehr überweisen, schmerzt das die Generäle. Aber zugleich erhalten Zehntausende von Textilarbeiterinnen kein Gehalt, solange die Banken geschlossen bleiben. Ähnliche Probleme entstehen, wenn die Ärzte im General Hospital von Rangun streiken. Sie schneiden die Ärmsten von der medizinischen Versorgung ab.
Das Militär hat eigene Banken, eigene Schulen und eigene Krankenhäuser. Es kann diese Asymmetrie bei längerer Dauer des Protests für sich nutzen.
Wut reicht nicht
Der Politologe Min Zin, der sich als 14-jähriger den Protesten von 1988 anschloss, später ins Exil ging und heute als Analyst zu Myanmar arbeitet, kommentierte die aktuellen Proteste in der "New York Times" wie folgt: "Öffentlicher Druck allein kann nicht zu einem echten politischen Übergang führen. Ohne eine durchdachte Strategie zur Erreichung konkreter Ziele werden wir früher oder später immer auf der Seite der Repression und unter irgendeiner Form von Militärherrschaft landen."
Entscheidend für den Erfolg wird sein, sagen auch andere Beobachter, ob sich die Protestbewegung besser organisiert und koordiniert. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass das Militär einlenkt. Die Dauer des Protestes und das Durchhaltevermögen der Demonstranten wird damit zu einem zentralen Faktor. Der Druck der vergangenen zwei Wochen war von Wut getragen, aber Wut nutzt sich ab und macht Erschöpfung Platz. Es muss also eine langfristige Strategie her. Protestführer und Demonstranten müssen Erholungsphasen einplanen, ohne der Bewegung den Schwung zu nehmen.
Neuer Realismus gefragt
Wichtig wird auch sein, zu einem neuen Realismus zu finden. In den vergangenen Jahren waren die Erwartungen an Myanmar im In- und Ausland stark überzogen. Das zeigt besonders eindrücklich der Fall von Aung San Suu Kyi, die von ihren Unterstützern im Ausland zur Ikone der Menschenrechte gemacht wurde, bevor sie diesen Status wegen ihrer passiven Haltung bei der Vertreibung der Rohingya wieder einbüßte. Im Land gilt sie aber nach wie vor als "Mutter Suu" und Retterin der Nation, obwohl ihre politischen Leistungen während ihrer fünfjährigen Regierungszeit sehr gemischt ausfallen. Beim Friedensprozess oder in der Armutsbekämpfung hat die NLD keine Fortschritte erzielt. Die nach wie vor weit verbreitete Vorstellung, das Suu Kyi die Lösung ist, erweist sich mit Blick auf ihre Regierungsführung als mindestens problematisch.
Zu diesem Realismus gehört auch, dass angesichts der Dominanz und Geschlossenheit des Militärs jeder zukünftige politische Prozess nur mit und nicht gegen die Armee möglich sein wird. Maximalforderungen wie die endgültige Verbannung des Militärs aus der Politik machen eine gewaltsame Reaktion wahrscheinlicher.
Das Potenzial für einen pragmatischen Ansatz ist vorhanden, denn COVID-19 hat gezeigt, dass die Solidarität im Land stark ist und dass es zivilgesellschaftliche Akteure gibt, die jenseits der alten Eliten von Militär und NLD neue politische Impulse setzen können.
Myanmar steht ein weiterer politischer Marathon bevor, wie es ein Gesprächspartner in Myanmar ausdrückte. Ein Marathon erfordert eine langfristige Strategie und das Haushalten mit den Kräften.
Der Autor hat Hintergrundgespräche mit Expertinnen und Experten in Myanmar geführt, die aber aus Sicherheitsgründen weder namentlich genannt noch zitiert werden können.