Gentechnik als Weg für nachhaltige Lebensmittelproduktion
1. Juni 2023Für die Umwelt ist die Lebensmittelproduktion eine Katastrophe. Laut der wissenschaftlichen Online-Publikation "Our World in Data" ist die Landwirtschaft sowohl für ein Viertel der Kohlenstoffemissionen in der Atmosphäre verantwortlich als auch für einen Großteil des Verlusts an biologischer Vielfalt .
Während die Umweltzerstörung voranschreitet, wächst auch die Weltbevölkerung. Die Vereinten Nationen prognostizieren, dass die Weltbevölkerung im Jahr 2057 auf zehn Milliarden Menschen angewachsen sein wird. Das wirft Fragen auf: Wie können wir die Nahrungsmittelproduktion um 50 Prozent steigern und gleichzeitig die fatalen Folgen abmildern, die durch den Verlust biologischer Vielfalt entstehen? Ist dieGentechnik der Schlüssel?
"Uns ist mittlerweile klar, dass die Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzflächen die größte Sünde im Hinblick auf den Klimawandel und die biologische Vielfalt ist. Das heißt, dass wir Nahrungsmittel auf kleineren Flächen anbauen müssen, um die Natur zu schützen", sagt Matin Qaim, Spezialist für Ernährungswirtschaft und Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung an der Universität Bonn.
Wie können wir 10 Milliarden Menschen ernähren?
Im Großen und Ganzen gebe es zwei verschiedene Ansätze, wie wir mehr Lebensmittel produzieren und dabei Rücksicht auf die Umwelt nehmen könnten, so Quaim weiter. "Der eine Ansatz ist, dass wir unsere Ernährung umstellen müssen, um unseren Nahrungsmittelkonsum nachhaltiger zu gestalten. Das bedeutet: weniger Abfall und weniger Fleisch. Der andere Ansatz ist, dass wir bessere Technologien brauchen, um landwirtschaftliche Methoden zu entwickeln, die umweltfreundlich sind."
Zum Einen müssen wir die Art und Weise ändern, wie Lebensmittel produziert werden. Dazu müssen wir vor allem weniger Proteine und Nährstoffe tierischen Ursprungs konsumieren. Aber das allein reicht noch nicht aus. Wie viele Experten ist auch Qaim der Meinung, dass Gentechnologien ein wesentlicher Bestandteil der Strategie sind, die ein nachhaltiges Ernährungssystem schafft.
"Alle wollen immer mehr Lebensmittel auf immer weniger Fläche produzieren und mit weniger chemischen Pestiziden und Düngemitteln. Wenn man [mit Hilfe der Gentechnik - Anm.d.Red] Pflanzen entwickeln kann, die toleranter und widerstandsfähiger sind, dann ist das eine gute Sache", erklärt Qaim.
Was genau sind gentechnisch veränderte Lebensmittel?
Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) sind Organismen, deren DNA verändert wurde und damit auch ihre Eigenschaften. Gentechnisch veränderte Pflanzen können den Ertrag verbessern, Resistenzen gegen Schädlinge, Frost oder Trockenheit bilden oder zusätzliche Nährstoffe einbringen.
Pflanzen können auch dahingehend modifiziert werden, dass sie den Kohlenstoffausstoß verringern und die Nachhaltigkeit der Lebensmittelproduktion erhöhen. Obwohl der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen weit verbreitet ist, werden dafür nur etwa 10% der Fläche eingesetzt, die für gentechnisch nicht veränderte Pflanzen genutzt wird.
"GVO ist nichts anderes als eine Technik zur Pflanzenzüchtung. Sie ist ähnlich wie die Kreuzung, die wir seit Tausenden von Jahren praktizieren. Aber sie ist ausgefeilter, so dass wir sehr schnell sehr präzise Veränderungen vornehmen können", sagt David Spencer, ein Phytopathologe und Sprecher von Replanet, einer Allianz von Nichtregierungsorganisationen, die sich für wissenschaftlich fundierte Lösungen gegen den Klimawandel und den Verlust der Artenvielfalt einsetzt. Ihre Kampagne Reboot Food konzentriert sich auf nachhaltige Lebensmittelproduktion.
Erstmals wurden GVO 1994 in Form von genetisch modifizierten Tomatenpflanzen in den USA eingeführt. Sie reiften langsamer und waren dadurch länger haltbar. Seitdem wurde eine Vielzahl derart modifizierter Nutzpflanzen wie Sojabohnen, Weizen und Reis für die landwirtschaftliche Nutzung zugelassen. Das gleiche gilt für gentechnisch veränderte Bakterien, die große Mengen an Proteinen erzeugen können.
Wissenschaftler in Indien haben Sorten von Sub-1-Reis entwickelt, die viel widerstandsfähiger gegen Überschwemmungen sind. Denn die sind ein großes Problem in den Reisanbaugebieten im Norden Indiens und Bangladeschs, das sich mit dem Fortschreiten der Klimakrise weiter verschlimmern wird. Inzwischen verwenden 6 Millionen Bauern in der Region Sub-1-Reis, um ihre Ernten vor Überflutungen zu schützen.
Der sogenannte Golden Rice hingegen wurde durch genetische Veränderungen mit Vitamin A angereichert, um den Vitamin-A-Mangel bei Menschen in Teilen Asiens und Afrikas zu bekämpfen.
Resistent gegen Krankheiten
Die Gene-Editing-Technologie hat auch dazu beigetragen, die Pflanzenproduktion vor Schädlingsbefall zu schützen. Im späten 20. Jahrhundert hätte das Papaya-Ringspot-Virus die Papayapflanzen auf Hawaii fast ausgerottet. Ein Wissenschaftler aus der Gegend aber entwickelte eine modifizierte Papaya, die gegen das Virus resistent war. Das Saatgut wurde an die Landwirte verteilt und rettete ein Jahrzehnt später die gesamte Papayaproduktion.
Der Phytopathologe David Spencer hat an der Bekämpfung von Pilzkrankheiten gearbeitet, die sich in Amerika auf Sojabohnen ausbreiten. "Derzeit gibt es keine wirkliche Lösung, außer dem massiven Einsatz von Fungiziden. Aber die möchte niemand. Also haben wir daran gearbeitet, Gene oder DNA-Veränderungen von entfernt verwandten Pflanzen hinzuzufügen, um eine bessere Resistenz gegen den Pilz zu erreichen", erklärt Spencer.
Diskussion um Gentechnik
Noch immer haben viele Menschen Schwierigkeiten, sich mit dem Gedanken an gentechnisch veränderte Lebensmitteln anzufreunden. Eine Meinungsumfrage aus dem Jahr 2020 ergab, dass 50% der Teilnehmer in 20 untersuchten Ländern gentechnisch veränderte Lebensmittel für nicht sicher hielten.
Als gentechnisch veränderte Pflanzen vor 30 Jahren entwickelt wurden, gab es auch bei Wissenschaftlern Zweifel und Bedenken hinsichtlich der Sicherheit. Heute aber sieht die Situation anders aus.
James Rhodes ist Analyst für biologische Sicherheit bei Biosafety South Africa und bestens mit dem Thema vertraut. "Wir haben Informationen und Erkenntnisse aus über 30 Jahren, die zeigen, dass gentechnisch veränderte Lebensmittel völlig sicher sind, wenn es um den Verzehr geht. Diese Informationen zeigen auch, dass sie für die Umwelt nicht gefährlich sind", sagte Rhodes.
Laut Rhodes ist es in keinem Land möglich, GVO einzusetzen, ohne umfangreiche behördliche Anforderungen zu erfüllen. "Wenn sie dann schließlich auf dem Feld landen und kommerziell zugelassen sind, haben sie insbesondere hinsichtlich der Risiken eine lange Entwicklungs- und Testphase durchlaufen", fügt der Wissenschaftler hinzu.
Monsanto hat den Ruf von GV-Lebensmitteln ruiniert
Matin Qaim ist der Meinung, dass die Diskussion um GVO mit einer Debatte über die industrielle Landwirtschaft der Unternehmen vermischt wurde. Das Schreckgespenst Monsanto schwebt noch immer über der Branche. "Es gibt Befürchtungen, dass Unternehmen wie Monsanto, die mehr Pestizide, Monokulturen und schlechte Formen von Landwirtschaft fördern, den Landwirten Saatgut zu teuren Preisen verkaufen", so Qaim. Aber, so argumentiert er, die Probleme beträfen eher die Regulierung der entsprechenden Technologie als die gentechnische Bearbeitung selbst.
"Es ist einfach das falsche Modell, wenn industrielle Landwirtschaft von einigen wenigen Unternehmen beherrscht wird. Aber das hat nichts mit der Gentechnologie an sich zu tun. Ein Verbot von GVO wäre so, als würde man das Internet verbieten, weil dort illegale Drogen und Pornografie verkauft werden", so Qaim.
Die GV-Lebensmittelindustrie verändert sich
Die gentechnisch veränderten landwirtschaftlichen Produkte entwickeln sich mittlerweile weg von den großen, dominanten Unternehmen wie Monsanto. Diese Produkte konzentrieren sich zunehmend auf soziale und öffentliche Unternehmen. Die Branche sucht nach lokalen Lösungen, die dann Kleinbauern in Entwicklungsländern helfen können.
Die Regulierung und die Lizenzierung spielen dabei eine wichtige Rolle. Viele, darunter auch Replanet, befürworten nachdrücklich GV-Technologien und Open-Source-Saatgut, das frei verfügbar ist und von jedem genutzt werden kann.
"Man kann gentechnisch veränderte Organismen ohne die Patente von humanitären öffentlichen Organisationen entwickeln. Wir müssen das Ganze auf intelligente Weise regulieren, und wir müssen für einen gesunden Wettbewerb auf dem Markt sorgen. Die industrielle Landwirtschaft großer Unternehmen ist da das falsche Modell", ist Qaim überzeugt.
Letztlich geht es darum, eine Art der Lizensierung zu schaffen, mit deren Hilfe sich die Bauern vor Ort an die Anforderungen einer nachhaltigen Landwirtschaft anpassen können. Wegen der steigenden Bevölkerungszahlen und des Klimawandels muss das möglichst schnell passieren. Rhodes ist überzeugt, dass neue GVO-Technologien umso besser akzeptiert werden, je größer der Bedarf ist. Das habe der Fall des Papayavirus eindeutig gezeigt.