Ist Geo-Engineering eine gute Idee?
21. Oktober 2017Zwei Zukunftsszenarien: Wir schreiben das Jahr 2050. Die durchschnittliche Temperaturerhöhung der Erde hat den Grenzwert von zwei Grad Celsius überschritten. Der Planet und seine Bewohner werden heimgesucht von langen Dürren, steigenden Meeresspiegeln und gewaltigen Regenfällen.
In Südamerika kommt es zu Unruhen, weil Unternehmen sich große Landesteile unter den Nagel reißen, um darauf Pflanzen anzubauen, die zur Gewinnung von Energie genutzt werden. Mit dem Anbau ist der Einsatz von Technologien verbunden, die Kohlendioxid auffangen und speichern (CDR-Technologie). Auch das ist den Menschen ein Dorn im Auge, weil es gerade Staaten in Europa sind, die diese Technologie fordern und selbst ihre Emissionsziele nicht erreichen, weil sie nach wie vor auf Kohle setzen.
Auch zwischen den USA und China gibt es zunehmend Spannungen, weil die Supermacht in Asien Sulfate in die Stratosphäre sprühen will, die das Sonnenlicht reflektieren und so die Temperaturen auf der Erde reduzieren. Das Land hofft, Dürren und Ernteausfälle zu bekämpfen. Die Vereinigten Staaten fürchten die langfristigen Folgen dieser künstlichen Beeinflussung der Sonneneinstrahlung (SRM), während es China und seinen Partnern vor allem darum geht, die negativen Effekte des Klimawandels zu bekämpfen.
Zurück im jahr 2017: CDR und SRM stecken heute noch in den Kinderschuhen ihrer Entwicklung. Sie werden aber notwendig werden, sagen einige, wenn wir das Ziel, die Erderwärmung unter zwei Grad Celsius zu halten, nicht schaffen.
"Das Abkommen von Paris hat den Ton, wie über Geo-Engineering gesprochen wird, verändert." Das sagt Stefan Schäfer. Er leitet ein Projekt am "Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung" (IASS) in Potsdam, in dem er sich mit den Risiken und Chancen dieser Zukunftstechniken für die Gesellschaft beschäftigt.
Mit den ambitionierten Zielen von Paris im Hinterkopf erscheinen die einst futuristisch anmutenden Konzepte heute wesentlich weniger abstrakt. "Sie stellen so eine Art Hyper-Vision vom Anthropozän dar", sagt Schäfer und bezieht sich damit auf die Zeit, in der wir Menschen der Welt unseren Stempel aufgedrückt haben.
Beispiellose Größen und Mengen
Die Gewinnung von Bioenergie, gepaart mit dem Auffangen von Kohlenstoff und dessen Einlagerung (BECCS) ist heute schon Teil einiger CDR-Szenarien des "United Nations Intergovernmental Panel on Climate Change" (IPCC). Damit soll der weltweite CO2-Ausstoß verringert werden. Von seinen Befürwortern wird diese Technologie oft als negative Kohlenstoffemissions-Technologie bezeichnet, weil sie die CO2-Menge in der Atmosphäre reduzieren soll.
Wie in unserem Zukunftsszenario oben ist der Anbau von Bäumen oder Nutzpflanzen Teil des Konzepts. Pflanzen entziehen der Atmosphäre CO2,wenn sie wachsen. Sie selbst werden als Biomasse genutzt, also zur Energiegewinnung verbrannt. Das CO2, das hierbei wieder austritt, wird augenblicklich aufgefangen und unterirdisch gespeichert.
"Für viele Menschen klingt das ziemlich harmlos", sagt Miranda Boettcher, die ebenfalls beim IASS arbeitet. "Bäume pflanzen, denkt man, ist kein Thema. Aber tatsächlich gibt es eine Menge Schwierigkeiten, die damit einhergehen."
Legt man die meisten Modellberechnungen zugrunde, müssten wir viele Milliarden Tonnen CO2 im Jahr aus der Atmosphäre ziehen, um die katastrophalen Auswirkungen der globalen Erwärmung abzuwenden. Um das mit Hilfe von BECCs zu realisieren, bräuchten wir Monokulturen in nie dagewesener Größenordnung. Es gibt Berechnungen, die davon ausgehen, dass eine Fläche anderthalb Mal so groß wie Indien nötig wäre, um erfolgreich zu sein. Abgesehen davon, dass das notwendige Land nicht ohne Konflikte zur Verfügung stünde, wäre der Effekt auf Artenvielfalt und Nahrungsmittelsicherheit gewaltig.
"In solchen Größenordnungen - wenn man die Kohlenstoffkonzentration signifikant senken will - müsste man eine Industrie von Grund auf aufbauen und alles, was damit zusammenhängt, einbeziehen - vom Energiebedarf, der entsteht, bis hin zum Einfluss auf Nahrungsmittelproduktion und Artenvielfalt", sagt Schäfer.
Abenteuer in der Stratosphäre
Das Einsprühen von reflektierenden Partikeln in die Atmosphäre ist nicht Teil der Emissionsstrategien des IPCC. Trotzdem beschreibt die UN-Abteilung es als eine Möglichkeit, "bis zu einem gewissen Grad den globalen Temperaturanstieg und einige seiner Folgen abzumildern."
Andere SRM-Ideen - Spiegel im Weltraum zu errichten, die dann das Sonnenlicht zurückwerfen zum Beispiel - werden ebenfalls untersucht, gelten aber als zu teuer, zu kompliziert in der Umsetzung. Partikel sprühen dagegegen gilt gemeinhin als preiswert und umsetzbar. Es ist aber wohl gleichzeitig eine der umstrittensten technischen Lösungen und bedeutet mehr als nur den direkten Eingriff ins System der Erde mit unkalkulierbaren Konsequenzen. Vor allem setzt es nicht am eigentlichen Problem an, den Auslösern des Klimawandels.
Zudem sind viele wichtige Fragen offen: Wer darf die Weltheizung regulieren? Wie lassen sich Konflikte zwischen Parteien vermeiden, wenn nur bei dem einen der gewünschte Effekt eintritt, bei dem anderen aber nicht?
Heute ist vor allem eines klar: Partikel in mindestens 19 Kilometern Höhe in die Stratosphäre sprühen, würde die Temperaturen auf der Erde verringern. Dieser Effekt konnte schon beobachtet und nachgewiesen werden, als der Vulkan Mount Tambora 1815 in Indonesien ausbrach und einen Temperatursturz auf der Erde nach sich zog. Das Jahr ging als "Jahr ohne Sommer" in die Geschichte ein und brachte enorme Ernteausfälle mit sich.
Aber wie testet man den Einfluss von Partikeln über den Wolken? Ein Feldversuch käme einer Umsetzung gleich. Weil das eben nicht geht, planen Harvard-Wissenschaftler um den Physiker David Keith zumindest ein vergleichsweise winziges Experiment, um zu sehen, wie die Partikel auf die Mikrophysik der Stratosphäre wirken.
Dabei werden sie nichts über die globalen Auswirkungen herausfinden können. Also sind Wissenschaftler vor allem auf das angewiesen, was ihre Computer an Berechnungsergebnissen ausspucken. Einige zeigen, dass es wohl weniger Regenfälle und Wasservorräte in den Tropen geben würde, wenn man die Sonnenstrahlen aussperrt. Andere gehen von einer langsamen Erholung der arktischen Eismassen aus.
"Der Unsicherheitsfaktor ist aber riesig." Das sagt Ulrike Niemeier, die am "Max-Planck-Institut für Meteorologie" forscht. Sie bezieht sich dabei nicht nur auf wissenschaftliche Aspekte.
Sollte, nur als Beispiel, das Klima vom Menschen manipuliert werden, und würden diese Manipulationen dazu führen, dass ein Land plötzlich von einer Dürre bedroht wird, könnte dieses Land rechtliche Schritte einleiten.
"Meine Hauptsorge betrifft die internationalen Verhältnisse", sagt Niemeier. "Das kann Ärger geben, bis hin zum Krieg."
Um Konflikte zu vermeiden, müssten Länder Entscheidungs- und Wahlmodalitäten einführen. Es muss im Vorfeld einvernehmlich klar sein, wie und ob das globale Klima manipuliert werden soll. Verantwortlichkeiten müssen geklärt sein, genau wie Ausgleichsregeln, selbst wenn Extremwetter nicht auf SRM zurückzuführen sein sollte.
Das geringere Übel?
In der Zwischenzeit sind Naturwissenschaftler, Politikwissenschaftler, Ethiker und Ökonomen vom IASS und anderen Institutionen in Deutschland dabei, einen Fahrplan durch all diese Probleme zu entwickeln. Sie wollen herausarbeiten, ob und unter welchen Umständen eine Manipulation des Klimas vertretbar sein könnte, oder eben nicht. Es geht auch darum, einen Verhaltenskodex zu entwerfen, der auf freiwilliger Basis die Durchführung von Experimenten von Wissenschaftlern, Instituten oder Ländern regelt.
Natürlich gibt es auch Stimmen wie die von Lili Fuhr von der "Heinrich Böll Stiftung". Sie sagt, dass Geo-Engineering vermieden werden sollte und "technische Lösungen, die wir schon haben, Vorrang haben müssen."
Dazu gehört ein kontrollierter Ausstieg aus der Produktion fossiler Brennstoffe, die Reduzierung des Energie- und Ressourceneinsatzes durch den Einsatz einer Kreislaufwirtschaft und die Gewinnung von Kohlenstoff aus der Atmosphäre durch den Schutz und die Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme und Wälder. Allerdings fehlt der politische Wille für solch radikale Transformation, fügt Fuhr hinzu.
Das ist ein Gefühl, das auch jene haben, die Geo-Engineering bewerten. Stefan Schäfer sagt, dass technologische Lösungen vom Umstieg auf eine kohlenstofffreie Wirtschaft ablenken könnten. Außerdem sei Geo-Engineering eine Art "geringeres Übel", aber niemand freue sich tatsächlich darauf.
Seine Zeit könnte kommen, könnte aber auch nicht kommen. Sollte es so sein, müsse man vorbereitet sein. Andernfalls, so Schäfer, stolpern wir womöglich "in eine Situation, in der ein Einsatz wahrscheinlicher ist, als wünschenswert wäre, und wir sind völlig überrumpelt."