Geraint Thomas - der Zwischenherrscher
28. Juli 2018Der Waliser an sich gilt als gutmütig und dickköpfig. Er liebt sein Land und den Nationalsport Rugby. Und er leistet sich eine eigene Sprache, mit eigenen Namen, Geraint beispielsweise. Ein Ritter der Tafelrunde in der Artus-Sage hieß auch so. Sir Geraint.
Der 32 Jahre alte Radprofi Geraint Thomas aus Wales trug das Gelbe Trikot des Spitzenreiters bei der Tour de France so souverän, als wäre er sich der neuen Bedeutung der eigenen Person durchaus bewusst. Er hat den Machtwechsel vollzogen in seinem Team Sky, hat in den bergigen Etappen die Souveränität von Chris Froome schwinden sehen und war selbstverständlich zur Stelle, als dieser Schwächen zeigte. Der Adjudant, der er über Jahre für Froome gewesen war, holte sich nun den Ritterschlag: seinen ersten Sieg bei der Tour de France.
Sie nennen ihn "G"
Es war der Moment, in dem Thomas endgültig aus dem Schatten herausfuhr. Wer sich nicht regelmäßig für den Radsport interessiert, weiß wenig über den Mann, der in Cardiff zur Welt kam und in der Szene einen eher nichtssagenden Spitzennamen trägt: "G". Ihn aber zum Mann aus der zweiten Reihe zu degradieren, wäre unangemessen: Thomas ist zweifacher Olympiasieger und dreifacher Weltmeister in der Mannschaftsverfolgung. Er hat seinen Platz in der "Hall of Fame" des europäischen Radsportverbandes.
Für das britische Team Sky, ausgestattet mit allen denkbaren Möglichkeiten dieses Sports, kommt Thomas zum denkbar günstigsten Zeitpunkt. Der "Mastermind", Teamchef Dave Brailsford, musste in Frankreich erleben, wie sein Team und vor allem der bisherige Star Froome ausgepfiffen wurden, geschubst, ja bespuckt. "Das ist offenbar etwas Französisches", gab Brailsford halb spöttisch über die spuckenden Zuschauer zu Protokoll. Dabei weiß Brailsford sehr genau, dass sein bisheriger Spitzenmann Froome - ungeachtet des Sieges beim Giro d'Italia - spätestens seit der Überdosis Salbutamol im vergangenen Herbst unter Generalverdacht steht. Und der Sky-Rennstall mit ihm.
Aus dem Feuer nehmen
Da passt es doch ganz schön, dass nach Bradley Wiggins und Christopher Froome nun mit Geraint Thomas der dritte Sky-Star im Gelben Trikot in Paris eintraf. Froome wird auf diese Weise etwas aus dem Feuer genommen, ohne dass Sky seine Dominanz aufgibt. Dass Froome dies völlig freiwillig getan hat, kann bezweifelt werden. Spätestens nach dem Zwischenfall am Mittwoch, als ihn ein Polizist für einen mitradelnden Schaulustigen hielt und vom Rad holte. Majestätsbeleidigung. Doch "Seine Majestät" hatte zu diesem Zeitpunkt seine Macht schon eingebüßt.
Frisur? Geschmacksfrage
"Nichts ist jemals garantiert in diesem Sport", sagte der neue Herrscher im Verlauf der Woche - als er sich vor dem Schlusswochenende einen Vorsprung von etwas mehr als zwei Minuten auf den Niederländer Tom Dumoulin herausgefahren hatte. Es wird interessant sein zu beobachten, ob der dunkelhaarige Waliser seinem eher ruhigen Stil treu bleibt. Es ist da ein wenig wie mit seiner Frisur: Seine Koteletten kann man britisch altmodisch finden. Oder aber für den letzten Schrei der Saison.
Und: Geraint Thomas dürfte wissen, dass auch seine Zeit auf dem Thron begrenzt ist, dass er nur ein Zwischenherrscher im Radsport-Reich ist. Denn so wie er lange für Christopher Froome gefahren ist, so gibt es seit diesem Jahr einen jungen Mann aus Kolumbien, 21 Jahre, ein Junior im Vergleich zu Thomas oder dem vierfachen Toursieger Froome, der ja auch schon 33 Jahre alt ist. Der junge Mann heißt Egan Bernal, startete zum ersten Mal bei der Tour und ackerte für sein Team, als gäbe es kein Morgen mehr.
"Le roi est mort ..."
Kein Morgen mehr? Ein Irrtum. "Mastermind" Brailsford, der Bernal zu Sky gelotst hatte, erklärte: "Ich habe gesucht und gesucht und gesucht, und meine Wahl ist auf Bernal gefallen", sagte der Teamchef. Dass Brailsford dabei eigentlich einen Nachfolger für Froome im Sinn hatte - geschenkt. "Le roi est mort, vive le roi". Der König ist tot, lang lebe der König. Auch damit kennt man sich in Frankreich ja gut aus.