DW-Repost: Strafe für Tschetschenen
21. August 2019Damit hätte Mokhmad Abdurakhmanov nicht gerechnet. Am Montag wurde er im bayerischen Augsburg wegen zwei Facebook-Posts zu einer Geldstrafe von 1350 Euro verurteilt. Der 24-Jährige ist der Bruder von Tumsu Abdurakhmanov, einem bekannten Blogger und Kritiker des Regimes von Ramsan Kadyrow, dem Chef der russischen Teilrepublik Tschetschenien.
Mokhmad hatte im März 2018 einen Artikel der Deutschen Welle in russischer Sprache repostet. Darin geht es um die Beschaffungswege von Waffen für Terroristen des sogenannten Islamischen Staates, IS. Den Richtern zufolge hatte der Angeklagte dabei in einem offen zugänglichen Facebook-Post einen Artikel geteilt, dessen Artikelbild bewaffnete IS-Kämpfer zeigt, von denen zwei Mützen mit dem IS-Symbol tragen. Dasselbe Titelbild ist im DW-Artikel [deutsche Fassung] sowohl auf der Webseite als auch im Facebook-Post zu sehen. Darin hat das Gericht offenbar kein Problem gesehen.
Der IS und dessen Symbole sind in Deutschland seit 2014 verboten. Mokhmad Abdurakhmanov kommentierte den Repost mit folgenden Worten: "Ich weiß nicht, wer, wohin und was geliefert hat, aber das Foto zeigt Kalaschnikow-Sturmgewehre." Das Gericht kam zum Schluss, der junge Tschetschene habe verbotene IS-Symbole im Internet verbreitet.
Der zweite Vorwurf gegen ihn bezieht sich auf zwei kurze Videos, in denen israelische Soldaten Hunde gegen ein palästinensisches Kind einsetzen. Facebook warnt bei den Videos vor Gewaltszenen. Mokhmad Abdurakhmanov repostete sie ohne eigenen Kommentar. Nach Ansicht der Richter kann Mokhmad Abdurakhmanov daher für die Verbreitung menschenverachtender Videos verantwortlich gemacht werden.
Eine Frage der Meinungsfreiheit
Die Geldstrafe für den Repost eines kritischen journalistischen Artikels aber findet nicht nur der Angeklagte absurd, sondern "alle, mit denen ich gesprochen habe", sagte vor Gericht seine Anwältin Johanna Künne aus Berlin.
Im November letzten Jahres fällte das Gericht in dieser Sache erstmals ein Urteil, damals ohne öffentliche Anhörung. Daraufhin forderte Künne die Richter auf, ihr Urteil aufzuheben. Gegenüber der DW äußerte sie die Hoffnung, dass das Verfahren eingestellt werde. Ihrer Überzeugung nach reißt das Gericht das Artikelbild aus dem Kontext eines Repostes bei Facebook, bei dem ein Artikel immer automatisch mit Bild übernommen wird.
Die Anwältin habe recherchiert und sei auf nur wenige ähnliche Fälle in Deutschland gestoßen. Einer davon: im Frühjahr 2018 ermittelten die bayerischen Polizisten gegen einen 27-jährigen Cellisten der Münchner Philharmoniker nur, weil der Musiker einen Artikel des Bayerischen Rundfunks auf seinem Facebook-Profil unkommentiert geteilt hatte. Das Problem aus der Sicht der Polizei: der BR-Beitrag wurde mit einer Fahne der Kurden-Organisation YPG illustriert, das Bild wurde automatisch auf die persönliche Facebook-Seite des Cellisten hochgeladen, so wie im Fall Mokhmad. Doch das Verfahren gegen den Musiker sowie ein anderes vergleichbares, sei eingestellt worden, sagte Künne der DW.
Viele Reposts, aber nur ein Angeklagter
Sie betonte zudem, dass es sich im Fall Mokhmad um einen journalistischen Artikel handele, der der Meinungsfreiheit unterliege. Diese gilt in Deutschland eigentlich auch für all diejenigen, die Artikel über ihre Profile in sozialen Netzwerken weiterverbreiten, auch wenn es diesbezüglich keine klaren gesetzlichen Regelungen gibt. Das Verfahren wurde nun mit einer öffentlichen Anhörung neu aufgerollt.
Doch die Staatsanwaltschaft blieb bei ihren Vorwürfen. Mokhmad Abdurakhmanovs Anwältin erklärte, ihr Mandant habe mit jenem Repost gerade zeigen wollen, dass er den IS ablehne. Die verbotenen Symbole der Terrororganisation habe er auf dem Foto nicht gesehen, da sie dort nur schwer zu erkennen seien.
Johanna Künne betonte außerdem, dass über 80 Personen den DW-Artikel auf Facebook repostet hätten, aber nur Mokhmad Abdurakhmanov strafrechtlich verfolgt werde. Doch das Gericht ließ sich nicht umstimmen. Es erhöhte sogar noch die anfängliche Geldstrafe um weitere 225 Euro. Sie übersteigt die monatlichen Zuwendungen erheblich, die Mokhmad für seine Familie in Schwabmünchen erhält.
Kampf um Asyl in Europa
Die Brüder Mokhmad und Tumsu Abdurakhmanov flohen aus Tschetschenien, nachdem Tumsu nach eigenen Angaben vom damaligen Leiter der Verwaltung des tschetschenischen Präsidenten, eines Angehörigen von Ramsan Kadyrow, unter Druck gesetzt worden war. Die beiden gingen erst nach Georgien, Tumsu später nach Polen, Mokhmad nach Deutschland. Doch der Konflikt mit den tschetschenischen Behörden spitzte sich so weit zu, dass der einflussreiche Kadyrow-Vertraute und Chef des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, Tumsu auf Instagram Blutrache schwor - eine sehr ernstzunehmende Drohung unter Tschetschenen.
Heute kämpfen die Brüder darum, in Europa bleiben zu dürfen. Tumsu sagte der DW, die polnischen Behörden hätten ihm Asyl verweigert. Sein Fall werde derzeit vom Obersten Gericht des Landes geprüft. Auch Mokhmad erhielt von den deutschen Behörden eine Ablehnung. Derzeit läuft ein Berufungsverfahren.
Der Prozess vor dem Augsburger Gericht könnte sich darauf negativ auswirken, fürchtet die Anwältin Johanna Künne. Mit diesem Fall würde er in einem anderen Licht dargestellt, als er wirklich sei, sagte sie im Gericht. "Die Behörden wollen ihn zu Kursen für diejenigen schicken, die die Werte Deutschlands nicht genügend respektieren." Mokhmad meint, die deutschen Behörden hätten ihn voreingenommen als Tschetschenen und Muslim verdächtigt. Nach der Anhörung vor Gericht sagte er der DW, er sei von der örtlichen Polizei darüber informiert worden, dass er vier Monate lang überwacht wurde. Später durchsuchte man auch sein Zuhause, ohne allerdings etwas Illegales zu finden.
Der Deutsche Journalisten-Verband kritisierte das Urteil des Augsburger Gerichts. "Das Posten eines journalistischen Beitrags der Deutschen Welle ist nicht Hasskriminalität, sondern die Weiterleitung von Qualitätsjournalismus. Es ist völlig unverständlich, warum das verboten sein soll", sagte der DJV auf Anfrage der DW. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Johanna Künne will dagegen weiter vorgehen und wartet derweil noch auf die schriftliche Urteilsbegründung.