Gewalt im Wahlkampf: Faeser will schnell Konsequenzen ziehen
5. Mai 2024Freitagabend in Dresden. Sachsens SPD-Spitzenkandidat für die Europawahl, Matthias Ecke, ist gerade dabei, im Stadtteil Striesen Wahlplakate aufzuhängen. Da wird er von vier Unbekannten angegriffen und zusammengeschlagen. Der 41-jährige Europa-Abgeordnete liegt seitdem im Krankenhaus und muss operiert werden.
Inzwischen hat sich ein mutmaßlicher Täter gestellt: Am Sonntagvormittag meldete sich ein Jugendlicher bei der Polizei. Der 17-Jährige gab an, dass er den SPD-Kandidaten niedergeschlagen habe. Der Jugendliche sei zuvor nicht polizeilich in Erscheinung getreten, teilte das sächsische Landeskriminalamt mit. Er befinde sich nicht in Gewahrsam, da nicht davon auszugehen sei, dass er untertauche.
Dies ist vermutlich der bislang brutalste Angriff auf einen Wahlkämpfer in Deutschland, aber aktuell kein Einzelfall. Die Empörung nach den Angriffen auf Politiker ist in der deutschen Gesellschaft entsprechend groß.
Faeser plädiert für Sondersitzung der Innenminister
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ist deshalb dafür, gemeinsam mit ihren Kollegen aus den Bundesländern schon sehr bald über Schutzmaßnahmen zu beraten. Nach Informationen der Zeitung "Tagesspiegel" regt Faeser eine Sonderkonferenz in der kommenden Woche an.
Eine entsprechende Bitte richtete sie an den derzeitigen Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, Brandenburgs Ressortchef Michael Stübgen (CDU), wie der "Tagesspiegel" unter Berufung auf Regierungskreise berichtet. "Der Rechtsstaat muss und wird hierauf mit einem harten Vorgehen und weiteren Schutzmaßnahmen für die demokratischen Kräfte in unserem Land reagieren", hatte Faeser bereits am Samstag gesagt.
Schon am vergangenen Wochenende gab es im ostdeutschen Bundesland Sachsen in den Städten Chemnitz und Zwickau Angriffe auf Wahlkämpfer. Die sächsischen Grünen haben deshalb bereits reagiert: Sie schicken ihre Mitglieder nicht mehr alleine zum Plakatieren. Auch in anderen Parteien gibt es solche Überlegungen und Vorgaben mittlerweile.
Scholz: "Die Demokratie wird bedroht"
Der Fall in Dresden vom Freitagabend hat aber eine besondere Dimension. Kurz bevor dort SPD-Kandidat Ecke von vier Unbekannten zusammengeschlagen wurde, hatte laut Polizei mutmaßlich dieselbe Gruppe in der Nähe bereits einen 28-jährigen Wahlkampfhelfer der Grünen angegriffen und verletzt.
Laut Polizei werden die vier jungen Männer auf 17 bis 20 Jahre geschätzt. Zeugen zufolge seien sie dunkel gekleidet gewesen, sagte ein Polizeisprecher. Ein Zeuge habe sie dem rechten Spektrum zugeordnet. Die Ermittlungen würden zeigen, ob das stimme. Nun befasst sich der Staatsschutz mit dem Fall.
Angesichts von Matthias Eckes Verletzungen löste der Angriff von Dresden besondere Empörung aus. "Dieser Ausbruch von Gewalt ist eine Warnung", schrieb Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Erklärung am Samstag. Er appellierte an alle, die politische Auseinandersetzung friedlich und mit Respekt zu führen, und forderte die Anhänger der liberalen Demokratie auf, gegen Angriffe parteiübergreifend zusammenzustehen.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte in Berlin: "Die Demokratie wird von so etwas bedroht, und deshalb ist achselzuckendes Hinnehmen niemals eine Option."
Welche anderen Angriffe es gab
Die Vorfälle von Dresden reihen sich ein in eine deutschlandweite Folge von Angriffen auf Parteimitglieder vor der Kommunal- und Europawahlen am 9. Juni. Erst am Donnerstagabend waren in Essen in Nordrhein-Westfalen nach einer Grünen-Veranstaltung der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring und sein Parteikollege Rolf Fliß nach eigenen Angaben attackiert und Fliß dabei geschlagen worden.
Die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt war vor einer Woche in Ostbrandenburg nach einer Veranstaltung aggressiv bedrängt und an der Abfahrt gehindert worden. In Nordhorn in Niedersachsen wurde am Samstagmorgen ein Landtagsabgeordneter der AfD nach Polizeiangaben an einem Infostand geschlagen.
Dabei hat sich die Zielgruppe der Angreifer in den vergangenen Jahren etwas verlagert: Waren noch 2019 vor allem Vertreter der AfD Ziel von Anfeindungen, so sind es nun die Grünen. Für die AfD wurden 2023 nach vorläufigen Zahlen deutschlandweit 478 Fälle aktenkundig, für die Grünen 1219. Für alle Parteien wurden von 2019 bis 2023 insgesamt 10.537 Straftaten gemeldet, wie aus einer Regierungsantwort auf eine Kleine Anfrage aus der AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag hervorgeht.
Thüringens Landesinnenminister Georg Maier (SPD) mutmaßte in einem Interview des Redaktionsnetzwerks Deutschland: "Bei den jüngsten Angriffen gegen Personen, die zum Beispiel Wahlplakate anbringen, müssen wir davon ausgehen, dass es sich um geplante Taten handeln, die nicht spontan, sondern gezielt durchgeführt werden." Dies sei eine neue Eskalationsstufe, so Maier, "die das erklärte Ziel der Einschüchterung hat".
AR/sti (dpa, afp)
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