Verlorene Hoffnung: Der Film "Ghosts of Afghanistan"
24. September 2021Der Dokumentarfilm "Ghosts of Afghanistan" (Regie: Julian Sher, Graeme Smith, Natalie Dubios) begleitet den kanadischen Kriegsberichterstatter Graeme Smith, der viele Jahre in Afghanistan gelebt und gearbeitet hat. Er trifft dort Menschen, die am Wiederaufbau des Landes beteiligt waren und Insiderinnen und Insider, die den sozialen und politischen Kontext des Landes kennen. Zu sehen ist der Film noch bis zum 25.09.2021 auf der Homepage des Human Rights Film Festivals.
Die tiefe Zerrissenheit des Landes wird besonders durch die Perspektive der verschiedenen Frauen deutlich, die im Film zu Wort kommen. Eine von ihnen ist Shaharzad Akbar, führende Menschenrechtsforscherin in Afghanistan, die Misshandlungen sowohl durch die Taliban als auch durch die Regierung anprangert.
Darüber hinaus trifft Graeme Smith gesprächige Studierende der Universität Kabul, die darüber diskutieren, wie die Taliban ihre hart erkämpften Rechte und Freiheiten bedrohen könnten.
Ein besonders auffälliger Kontrast zeigt sich, als sich Smith in Kandahar mit einer Gruppe Frauen trifft, die allesamt in Burkas gehüllt sind und gemäß der Vorgaben der Taliban leben. Konträr dazu: Die Begegnung mit Farahnaz Forotan, eine der freimütigsten Feministinnen des Landes.
Ihr Haus, das mit großen Frida-Kahlo-Selbstporträts geschmückt ist, auf denen die Brüste zu sehen sind, würde viele Konservative schockieren.
Film ist hochaktuell
Der Dokumentarfilm "Ghosts of Afghanistan" wurde bereits 2019 gedreht. Dennoch ist er brandaktuell. Dank der Hintergrundinformationen lässt er die Zuschauerinnen und Zuschauer verstehen, wie es möglich gewesen ist, dass die Taliban die Macht in Afghanistan zurückerobern konnten.
Graeme Smith erklärte auf dem Berliner Human Rights Film Festival, dass die ursprüngliche Version des Films ein Ende vorsah, das auf eine politische Lösung hoffen ließ: "Wir hatten nicht damit gerechnet, dass die Taliban das Land vollständig militärisch übernehmen würden, also wurde der Film in letzter Minute umgeschnitten", sagte er. "Wir hatten gehofft, dass der Prozess in Doha zu einem Kompromiss zwischen den Taliban und ihren Feinden führen würde."
Warnungen vor den Taliban wurden nicht ernst genommen
Besonders aus heutiger Sicht ist der Film sehr aufschlussreich. Wie Regisseur Julian Sher gegenüber der DW erklärte, seien die Taliban "viel stärker, als die afghanische Regierung oder die westlichen Armeen zugeben wollten". Das sei ein zentraler Punkt des Films.
Zwei Interviews im Film bringen das besonders gut zum Ausdruck. In einer Szene mahnt Rahmatullah Amiri, einer der angesehensten Politik-Beobachter Afghanistans, an, dass die Taliban bereits 2019 den größten Teil des Landes "unter ihrer vollen Kontrolle" gehabt hätten.
Darauf folgt eine optimistische Behauptung des nationalen Sicherheitsberaters Hamdullah Mohib, der sagt: "Wir haben den Taliban das Rückgrat gebrochen. Wir haben einen militärischen Weg zum Sieg in diesem Konflikt."
"Das stimmt überhaupt nicht", so Amiris Reaktion auf diese Information. "Wenn das Rückgrat der Taliban gebrochen werden konnte, dann war das von 2009 bis 2014, als Hunderttausende von internationalen Truppen vor Ort waren und Milliarden von Dollar in den Aufbau und das Nation Building und alles andere gesteckt wurden." Amiri fuhr fort und sagte in dem Film richtig voraus, dass die Taliban "ihren Höhepunkt noch nicht erreicht haben".
Kaputtes Vertrauen
Viele Menschen hatten weiterhin Hoffnung, setzen diese in den 38-jährigen Hamdullah Mohib. Er wurde im Westen zum nationalen Sicherheitsberater ausgebildet, arbeitete in den USA als afghanischer Botschafter und galt als enger Vertrauter von Präsident Ashraf Ghani. Am 15. August flohen beide aus Afghanistan.
Die afghanische Journalistin Khwaga Ghani, die als Stringerin bei "Ghosts of Afghanistan" mitwirkte, gehörte zu denjenigen, die von Mohib, den sie während der Dreharbeiten 2019 als besonders inspirierend empfunden hatte, tief enttäuscht wurden.
"Ich hatte eine ganz andere Perspektive und Vorstellung davon, was er für das Land tun würde. Ich dachte, er könnte Veränderungen in der Gesellschaft und in der Sicherheitslage bewirken", sagte sie der DW. "Aber am Ende hat er nicht nur mein Vertrauen gebrochen, sondern das Vertrauen aller."
"Kinder fielen im Flugzeug in Ohnmacht"
Wie so viele andere war auch Khwaga Ghani gezwungen, Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Taliban zu verlassen. Da sie für verschiedene Medien arbeitete, darunter die New York Times, NPR, Vice und National Geographic, gelang es ihr dank des Einsatzes ihrer Kolleginnen und Kollegen in den USA, mit ihrer Familie aus Kabul zu fliehen.
Leicht war das nicht: Nachdem sie sich nach der Übernahme Kabuls durch die Taliban vier Tage lang in einem Hotel versteckt hatte, wurde ihre Familie zum Flughafen eskortiert. Laut Ghani mussten sie zwei Nächte in der Nähe der Landebahn verbringen, ehe sie in ein mit mehr als 400 Personen besetztes Flugzeug einsteigen durften.
Ihr erster Zwischenstopp war Katar. Dort saßen sie sieben Stunden lang im Flugzeug fest und warteten auf die Busse, die sie zur Militärbasis bringen sollten. "Die Kinder fielen im Flugzeug in Ohnmacht, es gab keinen Sauerstoff", erzählte sie.
Hoffnung auf Rückkehr
Nach einem zweiten Stopp auf dem deutschen US-Luftwaffenstützpunkt in Ramstein wurde die Familie schließlich zum Stützpunkt Fort McCoy in Wisconsin gebracht. Dort wartet sie bereits seit drei Wochen. Obwohl Ghani Kontakte in der Gegend hat, darf sie die US-Armeeeinrichtung nicht verlassen. Wann genau sie mit ihrer Familie von dort weg darf, weiß sie nicht. Denn die Überprüfung der einzelnen Geflüchteten ist noch nicht abgeschlossen.
Vielleicht will Ghani mit ihrer Familie nach Kalifornien gehen, wo ihr Bruder bereits lebt. Ein Stipendium, das es ihr erlaubt, ihr Studium in Journalismus und Menschenrechten fortzusetzen, hat sie schon.
Wie viele andere Menschen aus Afghanistan will auch sie sich in Zukunft mit den Gespenstern ihres Heimatlandes auseinandersetzen. "Ich hoffe, dass es meinem Land besser gehen wird, damit ich zurückkehren kann", sagte sie. In der Zwischenzeit wolle sie hier "Dinge lernen, die dazu beitragen, dass sich in meinem Land etwas ändert."
Übersetzt aus dem Englischen von Bettina Baumann.