Das Leiden der Geier
15. September 2015
Global Ideas: Weltweit gesehen, wie groß ist das Problem der Vergiftung von Vögeln tatsächlich?
Borja Heredia: Das ist ein globales Thema. Es geschieht auf allen Kontinenten und in allen Regionen der Welt, und es wirkt sich auf eine Vielzahl von Arten aus völlig verschiedenen Gruppen aus, seien es nun Wasservögel, Singvögel oder Greifvögel. Raubtiere und insbesondere Raubvögel sind gefährdet, weil sie an der Spitze der Nahrungskette stehen und damit den Menschen Konkurrenz machen.
Was macht insbesondere Raubvögel anfällig?
Das Problem ist ziemlich kompliziert, weil es vielschichtig ist. Manchmal werden Raubvögel vorsätzlich vergiftet. Das ist zum Beispiel in Regionen der Fall, wo Kleintiere gejagt werden, Kaninchen oder auch andere. Jäger benutzen hier das Gift absichtlich, weil die Raubvögel dieselbe Beute haben. Schottland ist ein Beispiel. Hier ist die Jagd auf das Schneehuhn sehr beliebt, konkurrierende Raubvögel werden gezielt und vorsätzlich vergiftet.
Geier werden in Südafrika vor dem Hintergrund traditioneller Medizin vergiftet. Was steckt dahinter?
Das ist ein besonderes Problem in Afrika, in Südafrika, aber auch in Westafrika. Weil die Geier auch in weiten Savannen ihre Nahrung finden können, denken die Leute, dass die Tiere in die Zukunft blicken können. Dieser Aberglaube ist sehr weit verbreitet. Die Menschen glauben, dass sie, wenn sie Teile eines Geiers essen, im Lotto gewinnen oder eine tolle Ehefrau oder einen Ehemann finden werden. Diese Tradition ist fest in den Kulturen verankert.
Die Vögel werden ja schon seit langer Zeit gejagt, warum wird das nun ein Problem für die Art?
Man könnte sagen, wir stecken in einer Geier-Krise. Die begann in Asien, allerdings mit anderen Ursachen als in Afrika. In Asien gab es ein Produkt aus der Tiermedizin, das die Zahl der Geier massiv hat einbrechen lassen. Das Medikament funktionierte sehr gut für das Vieh, war aber tödlich für die Geier. Wenn sie die Kadaver von Tieren fraßen, die vorher mit der Medizin behandelt wurden, führte das bei den Geiern zu Nierenversagen. Das Medikament ist inzwischen verboten und die Arten erholen sich. Aber die Geier-Krise ist nach Afrika gewandert. Der Rückgang dort ist auch sehr dramatisch. Das Problem hier ist die absichtliche Vergiftung wegen traditioneller Medizin, aber auch indirekte Vergiftung spielt eine Rolle.
Beschreiben Sie die Krise in Afrika, ist es möglich, Zahlen zu nennen?
Wir wissen, dass in den letzten zehn Jahren 80 Prozent der Tiere verschwunden sind, bezogen auf alle Geierarten. Das ist natürlich ein sehr deutlicher Hinweis darauf, dass etwas falsch läuft. Es ist ja bekannt, dass Afrika ein Problem mit Wilderei hat. Elefanten, Nashörner und andere Arten werden getötet, um mit ihrem Horn zu handeln. Hier werden Geier eher die Opfer, weil sie über Kadavern, die sie finden, kreisen. Das mögen Wilderer selbstverständlich überhaupt nicht, weil die Geier nicht nur auf die Kadaver hinweisen, sondern auch auf die Wilderer. Also vergiften die Wilderer absichtlich die Kadaver und töten so die Geier.
Welche Auswirkungen hat die Tötung dieser Tiere für das Ökosystem als Ganzes?
Geier sind für das Ökosystem sehr wichtig, weil sie die Natur reinigen. Dabei haben sich verschiedene Geierarten auf unterschiedlichste Formen der Ernährung spezialisiert. Einige sind vor allem auf Kadaver von größeren Tieren aus und gehen auf das Fleisch. Andere interessieren sich für die Weichteile derselben Kadaver, und die Knochen, die am Ende bleiben, werden von Lämmergeiern verwertet, den am meisten spezialisierten Geiern überhaupt. Am Ende ist der gesamte Kadaver verschwunden, weil verschiedene Geierarten die verschiedenen Teile davon verwertet haben. Durch diesen Vorgang wird auch verhindert, dass Füchse oder Hyänen Krankheiten verbreiten können.
Mit diesem Wissen im Hinterkopf, wie würde eine Welt ohne Geier aussehen?
In dieser Welt würde ein sehr wichtiger Teil des Ökosystems fehlen. Vielleicht kann das ein anderes Beispiel aus Asien verdeutlichen: Mediziner in Indien und Pakistan haben während der Geier-Krise in Asien deutliche mehr Fälle von Tollwut festgestellt. Das hing direkt mit dem Verlust von Geiern zusammen. Weil die sich nicht mehr um die Beseitigung der toten Tiere kümmern konnten, haben wilde Hunde die Arbeit erledigt. Allerdings sind diese Hunde auch Krankheitsüberträger.
Wir sprachen über das Gift, das Pestizid, das die Geier tötet. Wo wird diese Chemikalie verwendet, und was hat sie für eine Wirkung?
Die Chemikalie wurde zur Bekämpfung von Schädlingen in der Landwirtschaft eingesetzt. Sie ist ein sehr starkes Pestizid, das heute in Europa, Kanada und den USA verboten ist. Allerdings stehen immer noch große Mengen des Pestizids zur Verfügung. Diese Reste werden noch in anderen Teilen der Welt verwendet, sowohl für landwirtschaftliche Zwecke, aber auch um die Tiere zu vergiften. Es gibt verschiedene Formen, in denen das Gift eingesetzt werden kann. Zudem ist es relativ einfach zu bekommen und kann sowohl Säugetiere wie Löwen, Hyänen, Leoparden, Wildhunde, aber auch Raubvögel und Geier vergiften.
Viele afrikanische Länder verfügen nicht über die Infrastruktur, um einen wirksamen Schutz ihrer Vogelpopulationen durchzusetzten. Was kann da verbessert werden?
Die meisten afrikanischen Länder haben bereits Gesetze, die das Vergiften verbieten. Aber es gibt natürlich einen Unterschied zwischen Gesetzen auf dem Papier und Gesetzen, die wirklich umgesetzt werden. Dies ist eine große Herausforderung im Moment in Afrika. Der Aufbau von mehr Kapazitäten wird der Schlüssel sein, um das zu ändern. Außerdem müssen wir aus guten Erfahrungen anderer Länder lernen.
Vielen Dank für das Interview.
Borja Heredia ist der führende Experte bei der #link:http://www.cms.int/:Convention on Migratory Species (CMS)#, wenn es um Vögel geht. Der Biologe hat im Fachbereich Ökologie an der Universität von Madrid promoviert. Mitte der Achtziger Jahre arbeitete er im spanischen Umweltministerium. Sein Fokus liegt auf der Erhaltung bedrohter Arten, er arbeitet Strategien aus und organisiert Projekte auf diesem Gebiet.