Ist das da Mantarochen in deiner Suppe?
17. März 2015
Ich erinnere mich daran, dass ich traditionelle chinesische Medizin genommen habe. Damals war ich noch ein Teenager. Es schmeckte irgendwie erdig, nach Hustensaft. Die bittere, braune Flüssigkeit war in durchsichtigen Plastikflaschen und trug chinesische Schriftzeichen. Ich hatte keine Ahnung, was da genau in den Flaschen war. Und wann immer ich meine Mutter fragte, schaute ich in ein genauso ahnungsloses Gesicht. “Das ist was Gutes”, sagte sie dann immer, “was Gesundes”, als sie mir den Saft einflößte. Jeden Tag, monatelang.
Sie hoffte, dass die ranzige Brühe mein Wachstum fördern würde. Aber, nun ja, Wunder hat das Gebräu zumindest bei mir wohl nicht bewirken können. Ich habe es nur auf 1,55 Meter geschafft. Und meine Mutter führt das heute noch darauf zurück, dass ich nicht genug von der Medizin genommen habe.
Mal ganz abgesehen davon, dass die Einnahme dieser Medizin für die Betroffenen unangenehm war; sie können, ganz unbewusst, auch Teil einer globalen Tragödie geworden sein. Ohne zu wissen, was sie da schlucken, könnten die Konsumenten eine Industrie unterstützt haben, die bedrohte Arten jagt, wie etwa den Mantarochen und seinen nahen Verwandten, den Teufelsrochen.
Beide werden wegen ihrer Kiemen getötet. Die wiederum werden zur Produktion von Pseudo-Medizin und Tonika verwendet, die man Peng Yu Sai nennt.
Die Rochen pflanzen sich nur selten fort - sie kommen auf etwa 5 bis 15 Nachkommen in ihrem Leben - also brauchen die schon ohnehin dezimierten Populationen sehr lange, um sich wieder zu erholen.
Man geht davon aus, dass 99 Prozent des weltweiten Manta-Kiemen-Konsums in Guangzhou, China, stattfindet. Die US-Organisation WildAid sagt, dass in der Stadt ungefähr 138.000 Kilogramm Kiemenplatten von Manta- und Teufelsrochen im Jahr von beinahe 150.000 Tieren entfernt werden. Diese Ware hat einen Marktwert von 30 Millionen US-Dollar. Dagegen will die Organisation vorgehen. Ihr Ziel ist es, dem illegalen Handel mit Wildtieren ein Ende zu setzen. Sie unterstützt Meeresschutz-Programme und versucht die Nachfrage durch Kampagnen einzudämmen.
Auch wenn die Kiemen offiziell nicht als traditionelle chinesische Medizin gelten, Anbieter preisen ihr Peng Yu Sai trotzdem als “sehr gesund” an. Es soll eine ganze Reihe von Beschwerden lindern oder heilen können. Darunter chronischen Husten, Windpocken und sogar Krebs. Auch jungen Müttern wird geraten, eine Suppe aus Kiemen zu trinken, weil diese angeblich den Milchfluss fördert.
Alles, nur nicht gesund
Das aber sei völliger Unsinn, sagt May Mei, die WildAid-Verantwortliche in China. “Die Suppe wird als eine Art Wundermittel gesehen, als eine Medizin, die quasi alles heilen kann”, sagt Mei. “Die Leute nutzen sie als traditionelle chinesische Medizin, dabei ist sie das gar nicht.”
Und damit nicht genug, laut einem Bericht von WildAid vom Juni 2014 sind die Kiemen von Manta- und Teufelsrochen hochgradig mit Arsen, Kadmium und Quecksilber verseucht. Eine investigative Recherche des chinesischen Medien-Netzwerks "Southern TV Guangdong" hat das bestätigt.
Der Grad der Verunreinigung mit Arsen, den WildAid ermittelt hat, ist viermal höher als der, den die Weltgesundheitsorganisation WHO als unbedenklich angibt. Der Kadmium-Anteil war sogar fünfmal höher als der erlaubte Höchstwert.
Nach Angaben der WHO besteht ein erhöhtes Risiko an verschiedenen Arten von Krebs zu erkranken, sollte man zu lange Lebensmittel zu sich nehmen, die mit Arsen verunreinigt sind. Vor allem Haut-, Blasen- und Lungenkrebs könnten die Folge sein. Es könnte aber auch zu Entwicklungsstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes kommen. Kadmium wiederum greift die Nieren an und verursacht dort irreparable Schäden.
Ein Bericht im American Journal of Epidemiology zeigt auf, dass schwangere Frauen, die Arsen ausgesetzt sind, ein erhöhtes Risiko für eine Fehl- oder Totgeburt haben. Kinder, die nach einer regulären Schwangerschaft geboren werden, haben ein erhöhtes Risiko in frühester Kindheit zu sterben.
Aufmerksamkeit schaffen
Schwermetalle, wie sie in den Kiemen der Rochen vorkommen, seien ein Zeichen für Tierarten am oberen Ende der Nahrungskette, sagt Dr. Severin Bühlmann. Er hat Phytax gegründet, ein Labor, das auch traditionelle chinesische Arzneimittel auf ihre Reinheit hin untersucht. Arsen und Kadmium gäbe es aber auch in Pflanzen und Pilzen.
“Niemand weiß wirklich etwas über die Langzeitfolgen von Schwermetallen”, sagt Bühlmann. Und ergänzt: Konsumenten müssten schon über einen sehr langen Zeitraum regelmäßig Suppen aus Kiemenplatten zu sich nehmen, um gefährdet zu sein.
Damit die Öffentlichkeit besser über Peng Yu Sai Bescheid weiß, hat WildAid im vergangenen Juni eine Social Media-Kampagne gestartet. Dabei ging es einerseits um die Zahl der Manta- und Teufelsrochen, aber auch um die Gesundheit der Menschen. Der Schwerpunkt der Kampagne lag dabei in Guangzhou, wo die Organisation Plakate in der U-Bahn aufhängen ließ und bekannte Schauspieler wie Wu Xiubo, ein Idol in China, um Auftritte in TV-Spots bat.
Vor der Kampagne, sagt Mei von WildAid, seien den Menschen die Ausmaße des Themas überhaupt nicht bewußt gewesen. “Die meisten wußten nicht mal, was Manta-Rochen eigentlich sind, woher die Suppe kommt und wie der Fisch überhaupt aussieht”, sagt sie. “Nach dem Auftakt wurde ihnen langsam klar, was sie da eigentlich zu sich nahmen.”
Der Sache auf den Grund gehen
Die Schutz-Organisation ist dabei, ihre Zusammenarbeit mit der chinesischen Regierung weiter auszubauen, um den Handel und Import von Rochenkiemen endgültig zu verbieten. Bis jetzt gibt es allerdings keine Verbote. Eine nicht-representative Markterhebung von WildAid im Oktober hat zumindest einen Rückgang des Handels verzeichnet, sowohl beim Angebot als auch bei der Nachfrage in Guangzhou.
Weil man ja wissen möchte, was man so isst, rief ich also meine Mutter an, während ich für diese Geschichte recherchierte. Ich fragte sie, ob sie eine Idee habe, wie ich herausbekommen könnte, was denn nun in dieser braunen Flüssigkeit gewesen sei.
“Natürlich”, sagte sie und googelte den Begriff “Wachstumsmedizin” auf Koreanisch. Wie sich herausstellte, scheinen Wachstumspräparate immer Hirschhornsalz zu enthalten, also das Horn eines männliches Hirsches. Dazu kommen Distelsamen. Über die genauen anderen Inhaltsstoffe kann ich aber leider nur spekulieren.