Goethe-Medaillen 2024 für Lateinamerika und den Südbalkan
28. August 2024Sie vereint ihre Kraft und Ausdauer sowie ihr unbedingter Glaube an die gesellschaftsverändernde Kraft der Kultur. Die Goethe-Medaillen 2024 gehen an die Theatermacherin Carmen Romero Quero aus Chile, die literarische Übersetzerin Claudia Cabrera aus Mexiko und die Kulturmanagerin Iskra Geshoska aus Nordmazedonien. Drei Frauen, die sich "auch von Gegenwind und Hindernissen nicht entmutigen lassen", so Carola Lentz, Präsidentin des Goethe-Instituts im DW-Interview.
Verliehen wird der wichtigste Preis der auswärtigen Kulturpolitik Deutschlands bei einem Festakt am 28. August in der Goethestadt Weimar.
Einsamer Kampf in Skopje
Wenn Iskra Geshoska Besuchern das Zentrum ihrer Heimatstadt Skopje zeigt, kommt die Wut zurück: über die falschen neoklassizistischen Fassaden, die mit Säulen, Stuck und Skulpturen eine Nationalgeschichte simulieren, die es so nie gegeben hat. Über eine Kulissenarchitektur, die eine nationalkonservative Regierung der Hauptstadt Nordmazedoniens vor über einem Jahrzehnt aufgezwungen hat. Das wahre Skopje, eine Mischung aus römisch-byzantinisch-osmanischer Geschichte und sozialistischer Baumoderne, ist dabei zu verschwinden. "Sie stehlen unsere Geschichten", sagte Iskra Geshoska der DW, "und wir müssen mit einer Strategie des kreativen Widerstands antworten."
Mit Kreativität und Widerstand hat die Kunstwissenschaftlerin Erfahrung. Die von ihr vor über zwei Jahrzehnten gegründete NGO Kontrapunkt und der Kulturort Tocka wurden schnell Plattformen für die unabhängige Kulturszene des Landes. So kritisch und unbequem, dass Tocka auf massiven politischen Druck hin 2010 geschlossen werden musste. "Diese kleine Gemeinschaft, die für eine unabhängige, zeitgenössische Kultur kämpft, ist wie ein einsamer Baum inmitten einer Wüste", sagt Geshoska - und entwickelt trotzig weiter Projekte wie den Kulturort Jadro oder ein Festival der kritischen Kultur.
Iskra Geshoska ist Tochter von Schauspielern. Ihre Liebe zum Theater teilt sie mit der Preisträgerin Carmen Romero Quero, Leiterin von Teatro a Mil, dem wichtigsten Theaterfestival Südamerikas, gegründet vor mehr als 30 Jahren in Santiago de Chile.
Fixpunkt der Kulturszene Chiles
Von Anfang an setzte Carmen Romero Quero auf eine kraftvolles, gesellschaftskritisches Theater, das die Folgen der chilenischen Militärdiktatur ebenso thematisiert wie Menschenrechte und soziale Ungleichheit. So wurde sie zum Fixpunkt der Kulturszene Chiles und zu einer der wichtigsten öffentlichen Intellektuellen. Für Michelle Bachelet, die als chilenische Präsidentin in zwei Amtszeiten für eine aktive Kulturpolitik eintrat, ist Carmen "eine Visionärin und Pionierin. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, auch den Menschen, die sich Kultur nicht leisten können, einen Zugang zu ermöglichen. Ich glaube, das hat das Leben vieler Menschen verändert."
Übersetzen gegen das Vergessen
Auch für Claudia Cabrera, eine der besten literarischen Übersetzerinnen aus der deutschen Sprache ins mexikanische Spanisch, ist Theater ein Thema. Gerade hat sie ein Schlüsselwerk von Anna Seghers, "Der Ausflug der toten Mädchen", für eine Bühnenfassung in Mexiko-Stadt neu übersetzt. Für sie eine völlig andere Erfahrung als das Übersetzen von Romanen, wie sie im DW-Gespräch beschreibt: "Wenn ich Theater-Stücke sehe, die ich selber übersetzt habe, kann ich hautnah erleben, ob die Übersetzung stimmt: Lachen sie an der richtigen Stelle? Sind sie im richtigen Moment entsetzt?"
Die Neuübersetzung der Weltliteratur von Seghers, die in den 1940er-Jahren im Exil in Mexiko lebte, ist ihr aktuelles Projekt. Zuvor hat sie Kafka und Musil übersetzt, sowie Heiner Müller, Rainer Werner Fassbinder und Cornelia Funke. Ihr Herz aber hängt an der Exilliteratur. "Das ist für mich durchaus eine bewusste Handlung, antifaschistische Literatur zu übersetzen", sagt sie. "Wir leben in einer sehr gefährlichen Zeit und wir dürfen nicht vergessen, was vor 80 Jahren geschehen ist."