Grüne geben sich kämpferisch
20. November 2010Die Grünen bereiten sich auf ein aufregendes Wahljahr 2011 vor. In mindestens zwei Bundesländern, in Baden-Württemberg und Berlin, wollen sie in die Regierungen einziehen, vielleicht sogar als stärkste Partei. Bei ihrem Parteitag in Freiburg zeigten sich die Grünen am Samstag (20.11.2010) kämpferisch und optimistisch.
Parteichefin Claudia Roth rief die Delegierten und Mitglieder dazu auf, für eine Gesellschaft zu kämpfen, die auf Solidarität und Gerechtigkeit gründe. Die schwarz-gelbe Regierung sei eine Schande für Deutschland. Sie sorge dafür, dass der Zugang zu Gesundheit und Bildung vom Geldbeutel abhängig seien. Sie sei verantwortlich für die Umverteilung von unten nach oben. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe vom Herbst der Entscheidungen gesprochen. In Wirklichkeit aber spalte und blockiere sie das Land.
Wiederwahl des Spitzenduos
Zusammen mit ihrem Ko-Vorsitzenden Cem Özdemir stellte sich Roth den Delegierten zur Wiederwahl. Sie wolle weiterhin an der Spitze der Partei für eine bessere Zukunft kämpfen, mit Leidenschaft, bunt und für manche vielleicht auch ein wenig schrill, sagte die 55-Jährige, die für ihre farbenfrohe Kleidung und ihre gefärbten Haare bekannt ist. Mit 79,3 Prozent der Stimmen lag sie 3,4 Prozentpunkte hinter ihrem letzten Ergebnis.
Cem Özdemir dagegen konnte zulegen. Mit seiner Vision einer gerechteren Gesellschaft, die vor allem den Kindern und Jugendlichen Zugang zu Bildung und Chancengleichheit garantieren solle, gelang es ihm, die Delegierten zu überzeugen. "Ich spreche von einer Gesellschaft, in der Arbeiterkinder, die aus einfachen Familienverhältnissen kommen, nicht mehr scheitern und aussortiert werden. Ich spreche von einer Gesellschaft, in der Kinder und Jugendliche sich entfalten können", sagte Özdemir, der vor dem Beginn seiner politischen Laufbahn als Erzieher gearbeitet hatte. Die Grünen sollten sich auch dafür einsetzen, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter aufgehe. Er wolle nicht, dass sich in Deutschland die Reichen in abgeschlossenen Wohnvierteln vor den Armen abschließen und schützen müssten wie im Heimatland seiner Frau, Argentinien.
Mit seiner leidenschaftlichen Rede riss der in Baden-Württemberg geborene Sohn türkischer Gastarbeiter die Delegierten zu Begeisterungsstürmen hin. Bei seiner Wiederwahl erhielt er 88,5 Prozent der Stimmen, ein Zuwachs von 9,3 Prozentpunkten.
Zoff wegen Olympia
Am späten Samstagabend brach dann doch eine hitzige Debatte über die Münchner Olympia-Bewerbung 2018 aus, für die sich Parteichefin Roth stark macht. Ein Teil der Winterspiele soll in Garmisch-Partenkirchen ausgetragen werden. Olympia-Gegner kritisierten, die Spiele seien nur vorgeblich ökologisch ausgerichtet, unberührte Flächen würden unnötig zugebaut, außerdem müssten die Spiele im Kunstschnee stattfinden. Roth und weitere Befürworter hielten entgegen, die Grünen könnten nur bessere Bedingungen erreichen, wenn sie die Veranstaltung mitorganisierten.
Mit versteinerter Miene verfolgte die Grünen-Chefin die Verkündung der Entscheidung über einen Antrag gegen die Bewerbung, der eine Mehrheit fand. Als Konsequenz verlässt Roth das Kuratorium für die Bewerbung.
Unterstützung für die Spitzenkandidaten
Viel Unterstützung bekam auch der Spitzenkandidat der Grünen für die Landtagswahl in Baden-Württemberg im März 2011, Winfried Kretschmann. Er sprach sich deutlich gegen das Bahnprojekt "Stuttgart 21" und für mehr außerparlamentarische Bürgerbeteiligung aus. Dafür könne das öffentliche Schlichtungsverfahren im Streit um den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs als Blaupause dienen, sagte er unter dem Beifall der Delegierten. Seit Jahren werfe man den Grünen vor, eine Nein-Sager-Partei zu sein. Mit solchen Plattitüden müsse nun Schluss sein. Wenn man verhindern wolle, dass der Stuttgarter Hauptbahnhof abgerissen und unter die Erde verlegt werde, müsse man ein klares Nein dazu sagen.
Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Renate Künast, plädierte in ihrer Rede für mehr Bürgerbeteiligung. Sie sei im Grundgesetz zwar festgeschrieben, könne sich aber nicht nur in Wahlen erschöpfen. Die Bürger wollten sich nicht mehr damit begnügen, alle vier oder fünf Jahre an die Wahlurne zu gehen. Sie wollten an allen 365 Tagen eines Jahres ihre Meinung kundtun und sich an Entscheidungen beteiligen.
Künast will bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin im nächsten Herbst als Spitzenkandidatin der Grünen für das Amt des Regierenden Bürgermeisters antreten. In Freiburg gab sie sich siegesgewiss und wurde dafür von den Delegierten mit viel Beifall bedacht. "Jetzt heißt der Auftrag grün", rief die 54-jährige den Delegierten zu. Der Auftrag laute, jetzt die Demokratie für das 21. Jahrhundert zu entwickeln und wer, wenn nicht die Grünen, sei dazu am besten geeignet.
Autorin: Bettina Marx/Pia Gram
Redaktion: Thomas Grimmer/Michael Wehling