Grüne Woche in Berlin: Bauern kündigen neue Proteste an
Veröffentlicht 18. Januar 2024Zuletzt aktualisiert 19. Januar 2024Hühner stolzieren herum und gackern, Ferkel spielen unter einer wärmenden Lampe, ein riesiger Bulle wird von einem Bauern an einem Nasenring in seine mit frischem Stroh gepolsterte Box geführt. Auf der Grünen Woche, der weltweit größten Messe der Agrar- und Ernährungswirtschaft in Berlin, wollen sich die Landwirte von ihrer besten Seite zeigen.
Doch so richtig positive Stimmung will in diesem Jahr nicht aufkommen. Zu frisch sind die Bilder von zehntausenden wütenden Bauern, die eine Woche lang mit ihren Traktoren Straßen blockierten und ihrem Frust lautstark Luft machten. In erster Linie darüber, dass die Regierung die Steuerrückzahlungen für den Dieselkraftstoff abschaffen will, der in der Landwirtschaft verwendet wird.
Bauern wollen weiter protestieren
Die Bauern fordern die Rücknahme der Kürzungen, doch die Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP wollen hart bleiben. Für die Bauern heißt das, dass ihr Protest weitergehen wird. "Ab kommenden Montag (22.1.) werden wir wieder mit Aktionen, und zwar flächendeckend in der ganzen Bundesrepublik, fortfahren", kündigte Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied zum Auftakt der Grünen Woche an. Die bisherigen Proteste seien im Vergleich nur das "Vorbeben" gewesen. "Wenn sich nichts verändert, dann kommt es möglicherweise zur Eruption."
Und dann sagt Rukwied noch das: "Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Landwirte seit der Wende (friedliche Revolution in der DDR 1989 und deutsche Wiedervereinigung 1990, Anmerkung der Redaktion) in dieser Art und Weise ihren Unmut gegenüber der Politik zum Ausdruck gebracht haben."
Die Deutschen kaufen gerne billig ein
Denn die Subventionskürzungen sind nur ein Auslöser für die aktuellen Proteste. Die Landwirtschaft ist eine hoch subventionierte Branche, die seit vielen Jahren von den Früchten ihrer Arbeit nicht mehr leben kann. In vielen Betrieben stammt knapp die Hälfte des Einkommens aus Fördertöpfen, allen voran der Europäischen Union. Das verursacht Frust.
Im europäischen Vergleich müssen die Deutschen sehr wenig Geld für ihre Lebensmittel ausgeben. Laut der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung waren es 2022 im Schnitt nur 11,5 Prozent des Einkommens. Nur in Irland, Luxemburg und Österreich geben die Menschen anteilig weniger für Nahrungsmittel aus. Zum Vergleich: In Italien waren es 14,4 Prozent, in Frankreich 13,3 Prozent.
Discounter diktieren die Preise
Ein Grund für die niedrigen Preise in den Supermärkten ist die Marktmacht der Handelskonzerne. Kleinere Anbieter sind in den letzten Jahren verschwunden, die Discounter größer geworden. Edeka, Rewe, Lidl und Aldi teilen sich die Republik. Sie diktieren den Lebensmittelproduzenten die Preise. Wer nicht bereit ist, billig zu liefern, verschwindet aus den Regalen der Händler.
Am unteren Ende der Lieferkette stehen die Landwirte, die für Milch, Fleisch, Getreide und Gemüse oft nicht einmal das Geld bekommen, das die Erzeugung kostet. Gleichzeitig sind in den vergangenen Jahren die gesetzlichen Anforderungen zum Tierwohl, Klima- und Artenschutz an die Landwirte massiv gestiegen. "Landwirtschaft kann nicht hohe gesellschaftliche Leistungen erfüllen und dabei die billigsten Lebensmittel erzeugen. Da klafft eine Lücke, und die muss geschlossen werden", bringt es Martin Schulz, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft, auf den Punkt.
40 Cent mehr für ein Kilogramm Fleisch?
Wie diese Lücke geschlossen werden kann, darüber machen sich Experten seit Jahren Gedanken. Nachdem zuletzt 2019 rund 40.000 Bauern in Berlin demonstriert hatten, um auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen, wurden zwei Kommissionen ins Leben gerufen. Eine zur Zukunft der Landwirtschaft, eine zur Tierhaltung.
Die Mehrkosten für den Umbau der Tierhaltung hin zu mehr Tierwohl wurden bis 2040 mit jährlich 3,6 Milliarden Euro beziffert. Damit die Landwirte nicht auf diesen Kosten sitzen bleiben, schlugen die Experten unter anderem vor, tierische Produkte zu verteuern. Fleisch sollte pro Kilogramm 40 Cent mehr kosten. Umgesetzt wurden die Vorschläge allerdings nicht.
Minister Özdemir fordert "Tierwohl-Cent"
Es sei zu viel Veränderung auf einmal verlangt worden und dagegen habe es zu viele Widerstände gegeben, analysiert Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Der Grüne hat das Amt seit zwei Jahren inne und inzwischen reichlich Erfahrung damit, was alles nicht durchsetzbar ist.
"Wenn man es verhindern möchte, findet man immer Gründe, und jeden möglichen Grund, warum es gerade nicht geht, habe ich jetzt schon mal gehört."
In den Bauern-Protesten sieht Özdemir nun aber die Chance, Fleisch tatsächlich schrittweise teurer zu machen. Um welchen Betrag, das kann er noch nicht sagen, es seien aber zunächst deutlich weniger als 40 Cent nötig.
Der Minister spricht symbolisch von einem "Tierwohl-Cent". Der Aufschlag könnte direkt bei den Schlachthöfen erhoben und an die Landwirte abgeführt werden. Ausarbeiten müsste das Gesetz das von der FDP geführte Bundesfinanzministerium, das sich bis jetzt gegen eine Tierwohl-Abgabe gestellt hatte.
Das Ende der Freiwilligkeit
"Die Mehrzahl der Leute will mehr Tierschutz, Klimaschutz und Arten-Schutz, sie kaufen aber nicht immer so ein", erklärt Özdemir seinen Plan. "Jetzt haben wir einen Hebel dafür, das kann wirklich die Transformation sein. Wer gutes deutsches Fleisch haben will, der muss mir folgen." Übersetzt heißt das: Wenn es kein billiges Fleisch mehr gibt, kann es auch niemand mehr kaufen.
"Ideologisch unterfütterte Bevormundung" nennt das Christoph Minhoff. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) nutzte den Auftakt der Grünen Woche für eine Breitseite gegen Özdemir und die gesamte Bundesregierung. Sie könne nicht den Verbrauchern vorschreiben, was sie kaufen sollen, und den Landwirten vorschreiben, dass sie Produkte produzieren, die nicht gekauft werden.
"Immer mehr neue Ideen, immer mehr oben drauf. Wir haben darauf hingewiesen, dass wir keine Politik im Kühlschrank wollen, und der Verbraucher will es auch nicht."
Weniger Zucker, Salz und Fett
Das gelte auch für die neue Ernährungsstrategie, die Landwirtschaftsminister Özdemir gerade auf den Weg gebracht hat. Darin geht es unter anderem um eine gesündere Ernährung in Kantinen, Mensen und Kindertagesstätten sowie weniger Fett, Zucker und Salz in verarbeiteten Lebensmitteln. Diese drei Zutaten sind allerdings Geschmacksträger, die die Produktion verbilligen. Sie zu ersetzen, das kostet.
Entsprechend abwehrend fällt die Reaktion der Ernährungsbranche aus. Die Regierung versuche, der Industrie "detaillierte Vorschriften in ihrem Kerngeschäft zu machen", kritisierte Minhoff. Höhere Auflagen, aber auch höhere Energiekosten, höhere Personalkosten und mehr Bürokratie ließen die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland rapide abnehmen. In seiner Branche würden das 83 Prozent der Unternehmen so sehen.
Laut einer Umfrage der BVE planen nur noch zehn Prozent der Unternehmen, ihre Investitionen in Deutschland auszubauen, 43 Prozent wollen sie dagegen reduzieren und sechs Prozent planen eine vollständige Einstellung am deutschen Standort. "Das Geld wird künftig im Ausland investiert", so die Prognose von Minhoff.
Bauern haben Unterstützung aus der EU
Ein normaler Landwirt hat diese Möglichkeit nicht. Deswegen wollen die deutschen Bauern weiter protestieren. Von den Bauernverbänden im europäischen Ausland habe er unterstützende Signale erhalten, so Verbandspräsident Rukwied. "Das Angebot nach Deutschland zu kommen, unseren Protest zu unterstützen, weil eben vieles nachjustiert werden muss in der Agrarpolitik, also die Solidarität ist da. Und es gibt Überlegungen, in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten auch zu protestieren."
Der Artikel wurde am 18. Januar 2024 veröffentlicht und am 19. Januar 2024 aktualisiert.