"Den Konflikt in Syrien politisch lösen"
19. Februar 2017Deutsche Welle: Herr Grandi, der Krieg in Syrien hat die schwerste Flüchtlingskrise in der jüngeren Geschichte ausgelöst. Millionen Syrer sind sowohl innerhalb als auch außerhalb des Lands vertrieben. Anfang des Monats sind Sie von einer Reise nach Syrien zurückgekommen. Was ist das Wichtigste, um den Binnenflüchtlingen dort zu helfen?
Filippo Grandi: Ein Wort: Frieden. Das ist das Wichtigste. Wir humanitären Organisationen sind durch die Tatsache ermutigt, dass es Gespräche über Frieden gibt, auch wenn es voreilig wäre zu spekulieren, ob diese Gespräche erfolgreich sein werden. Aber Frieden ist der Schlüssel.
Wenn wir über den Syrienkrieg in Bezug auf Flüchtlinge reden, müssen wir über Lösungen nachdenken. Es ist klar, dass die beste Lösung für die Menge der vertriebenen Menschen innerhalb Syriens wäre, in ihre Häuser zurückzukehren. Das können sie nur, wenn ihre Häuser wiederaufgebaut werden. Ich habe unglaublich viel Zerstörung gesehen. Wiederaufbau ist nur möglich, wenn es Frieden gibt. Also ist das die Anstrengung, auf die sich die internationale Gemeinschaft konzentrieren sollte.
"Frieden ist der Schlüssel"
Gegen Syrien wurden strenge Sanktionen verhängt. Beeinträchtigen die Sanktionen die Arbeit des UNHCR vor Ort?
Im Moment ist die Arbeit, die wir machen - und auch die anderen UN-Institutionen, die NGOs, das Rote Kreuz - grundsätzlich humanitärer Natur. Und darauf wird politisch hoffentlich Rücksicht genommen. Aber wie ich schon sagte, wir müssen diesen Konflikt politisch lösen. Nur so können wir all diese Probleme überwinden. Wir sind noch nicht so weit.
Wir müssen an die Menschen denken, die von dem Konflikt betroffen sind und sie weiterhin unterstützen. Ich bin sehr besorgt darüber, dass die Notlage der Syrer vergessen wird, weil seit einigen Monaten aus verschiedenen Gründen kaum noch Menschen von dort nach Europa kommen. Wir dürfen diese Millionen von Menschen nicht vergessen, nicht nur die Flüchtlinge in Europa, sondern auch in Syriens Nachbarländern und Syrien selbst. Sie brauchen weiterhin beträchtliche Hilfe.
Vor ungefähr einem Jahr hat die internationale Gemeinschaft auf einer Konferenz in London Hilfe für Syrien zugesagt. Was ist aus diesem Versprechen geworden?
Meiner Meinung nach war die Konferenz in London ein sehr guter Ansatz. Zum einen, was den Umfang der zugesagten Hilfe betrifft - tatsächlich wurden die meisten finanziellen Zusagen eingehalten. Zum anderen wegen der Art der Hilfe, die zugesagt wurde. Es war nicht nur humanitäre Hilfe, auch wenn das ein wichtiger Teil war. Die Hilfe war auch stark abgestimmt etwa auf Schulbildung syrischer Kinder, auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, was sowohl den Flüchtlingen als auch ihren Gastländern zugute kommt. Das ist ein Musterbeispiel, ein neuer Ansatz für den Umgang mit dieser massiven Vertreibung.
Die internationale Gemeinschaft sollte diese Beziehung zu Syrien aufrechterhalten und sie auf andere Flüchtlingssituationen übertragen. Die gibt es ja nicht nur in Syrien. Es gibt viele solche Flüchtlingssituationen im Nahen Osten, in Afrika und in anderen Teilen der Welt. Das Modell der Londoner Konferenz ist ein gutes Modell. Es fängt an, Auswirkungen zu haben und es lohnt sich, das andernorts zu wiederholen.
"Unterstützung tief in der Gesellschaft der USA verwurzelt"
Der neue US-Präsident Donald Trump scheint sich multilateralen Institutionen nicht besonders verpflichtet zu fühlen. Wir wissen nicht, was er etwa über die UN denkt. Haben Sie die Sorge, dass die Finanzierung des UNHCR von Seiten der USA unter der neuen Regierung austrocknet?
Es ist zu früh zu sagen, wie die strategischen Entscheidungen der neuen US-Regierung bezüglich multilateraler Hilfe sein werden. Ich kann derzeit nur hoffen, dass die jahrzehntelange starke Unterstützung der USA für die UN und für multilaterale Institutionen weitergehen wird. Ich vertraue darauf, dass die USA verstehen, dass ihre Herausforderungen global sind, wie für alle anderen auch. Deshalb brauchen die USA globale Institutionen, um diesen Herausforderungen zu begegnen, darunter auch der Flüchtlingsproblematik.
Ich will einen weiteren Punkt hinzufügen: Diese Unterstützung kommt nicht von irgendwelchen Politikern. Die Unterstützung ist tief in der US-amerikanischen Gesellschaft verwurzelt. Ich bin sicher, dass diese Regierung, die ja sehr sensibel darauf achtet, was die Menschen fühlen und denken, das wahrnimmt und versteht und entsprechend reagiert.
Wenn Sie einen Wunsch an die Regierung von Donald Trump richten könnten, was würden Sie sich wünschen?
Dass sie engagiert bleibt beim Umgang mit und beim Lösen der Flüchtlingssituation. Und natürlich bei anderen Herausforderungen, denen sich unsere Welt in allen Bereichen gegenübersieht.
Filippo Grandi ist Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR).
Das Interview führte Matthias von Hein.