1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Grass und die Griechen

Stephanos Georgakopoulos6. Juni 2012

Endlich wieder ein Deutscher, den die Griechen mögen! Günter Grass' neues Gedicht "Europas Schande" ist Balsam für die geschundene griechische Seele. Doch macht es auch Hoffnung?

https://p.dw.com/p/158ek
Die EU-Flagge bei Nacht über dem Akropolis-Hügel mit Pantheon und Propylea (ddp images/AP Photo/Petros Giannakouris)
Bild: AP

Spätestens seit seinem neuen Gedicht “Europas Schande” kennt fast jeder in Griechenland den Literaturnobelpreisträger Günter Grass. Das Gedicht erschien letzten Samstag gleichzeitig in der deutschen und der griechischen Presse. Sogar in den Fernsehnachrichten zur Primetime fand “Europas Schande” seinen Platz. Ziemlich erstaunlich, da die griechischen Fernsehsender für Kultur und ihre Vertreter eigentlich nie viel Sendezeit übrig haben.

Verständnis und Unterstützung sind immer willkommen

Gerade in diesen Tagen, kurz vor dem erneuten Wahlgang am 17. Juni, ist in Griechenland die Zuspitzung der Krise förmlich zu spüren. Zeitungsschlagzeilen und Nachrichtensendungen spiegeln diese dramatische Entwicklung wieder. Die Mehrheit der Bevölkerung ist der festen Überzeugung, dass die Wahl letztendlich über den Verbleib des Landes in der Eurozone entscheiden wird. In dieser Situation ist jedes Signal von Verständnis und Unterstützung gerade aus dem europäischen Ausland mehr als willkommen. Die Stimmen derjenigen, die Europas Schuldenkrise und die Situation in Griechenland nicht nur als Kosten-Nutzen Analyse betrachten, scheinen den Griechen aus der Seele zu sprechen. „Europas Schande“ ist vielleicht nur ein Gedicht. Es ist aber ein wichtiges Signal zur richtigen Zeit, glaubt man in Griechenland.

Die Kulturministerin hat im Namen des Premiers und der übrigen Regierung Günter Grass in einem Brief gedankt und betonte, dass sein Gedicht "dem griechischen Volk in diesen schwierigen Tagen Kraft gegeben hat". Viele Zeitungen druckten in den Tagen nach der Veröffentlichung das Gedicht ab unter Schlagzeilen wie etwa: "Grass interveniert mit einem Gedicht für Griechenland“, "Ein Poem des Protestes für Griechenland“, "Griechenland bedankt sich bei Grass für Europas Schande“.

Tod des Sokrates (469 - 399 v.Chr.), der den mit Gift gefüllten Kelch leert. Philosoph, Stich
Kein Gift bei Grass: "Sauf endlich, sauf! ... doch zornig gibt Sokrates Dir den Becher randvoll zurück"Bild: picture-alliance/Judaica-Sammlung Richter

Einige Kommentatoren rätselten sogar über den Titel des Gedichtes. Was ist den wirklich gemeint? Dass der Umgang mit Griechenland eigentlich eine Schande für Europa ist? Oder ist Griechenland eine Schande für Europa? Vielleicht sogar beides gleichzeitig?

Kampf eines Zwerges gegen einen übermächtigen Riesen

Bei all der Freude über das Gedicht gibt es auch skeptische Stimmen. In einem Kommentar der Athener Zeitung "Ta Nea“ (Die Nachrichten) ist zu lesen: "Ist das die Hilfe die wir wirklich brauchen? Das Gedicht gleicht einer Grabrede. Die Bilanz eines Lebens mit seinen guten und schlechten Seiten, mit seinen glücklichen und traurigen Momenten. Die Aussage dieses Gedichts geht aber weit darüber hinaus über das, was der Schriftsteller ausdrücken wollte. Selbst die, die fest daran glauben, dass Griechenland zu Europa gehört, sind nicht imstande einige wenige Worte darüber zu finden, wie es in Griechenland weitergehen soll“.

Der in Deutschland bekannte griechische Schriftsteller Petros Markaris sieht das Gedicht jedoch positiv und bescheinigt ihm eine wichtige Signalwirkung. Er freue sich, dass berühmte Kollegen mit literarischen Mitteln über die Krise schreiben und wertet "Europas Schande“ als ein wichtiges Poem.

Berlin/ ARCHIV: Der Schriftsteller und Nobelpreistraeger fuer Literatur, Guenter Grass, spricht im Willy-Brandt-Haus in Berlin (Foto vom 07.10.11). Der Literaturnobelpreistraeger Guenter Grass hat mit einem eigens verfassten Gedicht zum Atomkonflikt mit dem Iran eine Antisemitismus-Debatte entfacht. Der Publizist Henryk M. Broder bezeichnete den Schriftsteller am Mittwoch (04.04.12) in einem Beitrag fuer die Tageszeitung "Die Welt" als "Prototyp des gebildeten Antisemiten". Grass' Gedicht traegt den Titel "Was gesagt werden muss". In seiner Gedichtanalyse wirft Broder dem Literaten antisemitische Motive vor: "Damit im Nahen Osten endlich Frieden einkehrt und auch Guenter Grass seinen Seelenfrieden findet, soll Israel, Geschichte werden'. So sagt es der iranische Praesident, und davon traeumt auch der Dichter beim Haeuten der Zwiebel." Grass habe schon immer ein "Problem" mit Juden gehabt, "aber so deutlich wie in diesem, Gedicht' hat er es noch nie artikuliert". (zu dapd-Text) Foto: Clemens Bilan/dapd // Eingestellt von wa
"Rechtloses Land, dem der Rechthaber Macht den Gürtel enger und enger schnallt". Grass fühlt mit den Griechen.Bild: dapd

Vielleicht bringt die Aussage, die in einigen griechischen Internetblogs aus Anlass des Gedichts von Günter Grass zu lesen ist, die Sache letztendlich auf den Punkt. Sie lautet zusammenfassend: "Wir würden gerne den Kraftakt unseres Landes ein bisschen so sehen wie den Kampf eines Zwerges gegen einen übermächtigen europäischen Riesen, der eher auf Statistiken und auf Defizite achtet als auf Menschen und ihre Zukunft“. Und da kommt "Europas Schande“ just zum richtigen Zeitpunkt, meinen griechische Blogger.