Greenpeace: TTIP bringt Gentechnik
2. Mai 2016"Lebensmittelsicherheit ist kein Tauschobjekt." Mit diesen Worten reagierte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CDU) auf die Veröffentlichung der #TTIPleaks-Papiere am Montag durch Greenpeace. In einem Radiointerview mit dem Bayrischen Rundfunk verwies der CSU-Politiker darauf, dass europäische Standards für Lebensmittelsicherheit in einem TTIP-Vertrag "nicht gegen gemeinsame Technikstandards eingetauscht werden können".
Die Umweltschutzorganisation hatte am Sonntag 250-Seiten bisher geheimer Verhandlungsdokumente veröffentlicht. Aus den Papieren gehen die unterschiedlichen Positionen der EU- und US-Unterhändler hervor.
Greenpeace wies insbesondere auf die Auswirkungen auf europäische Umwelt- und Verbraucherschutzstandards hin. Die USA übten massiv Druck auf die EU aus, damit gentechnisch-veränderte Lebensmittel in Europa zugelassen würden. Im Gegenzug sollte die EU-Automobilindustrie freien Zugang jenseits des Atlantiks erhalten.
Greenpeace: "Vorsorge-Prinzip ist in Gefahr"
Jürgen Knirsch, Handelsexperte von Greenpeace, wurde bei der Vorstellung der Geheimpapiere auf der Internetkonferenz re:publica in Berlin konkret. "Wenn die Positionen der Amerikaner sich im endgültigen Vertrag wiederfinden, dann ist das mit einem Schlag das Ende des Vorsorgeprinzips in Europa."
Diesem Prinzip zufolge sollen Gesetze auf EU und nationaler Ebene nur dann erlassen werden, wenn sie nach eingehender Prüfung keine ersichtlich negativen Konsequenzen auf Mensch, Tier und Umwelt haben. Wissenschaftlich zu beweisen sind solche Bedenken bisher nicht zwingend.
Umweltschützer befürchten, dass TTIP durch die Hintertür mit mit dieser in Europa anerkannten Praxis brechen würde. "Wenn ein Problem nicht eindeutig mit wissenschaftlichen Ergebnissen zu widerlegen ist, dann gilt es nicht mehr als Gefahr", befürchtet Greenpeace-Experte Knirsch.
Was zunächst bürokratisch klingt, könnte sich auf die Lebensmittelsicherheit in Europa auswirken. Aufgrund des Vorsorgeprinzips verpflichten sich nämlich viele EU-Staaten, gentechnisch veränderte Organismen und Lebensmittel erst gar nicht zuzulassen. Grund dafür ist die Befürchtung, dass vom Einbringen gentechnischer Mutationen in den natürlichen Kreislauf der Tier und Pflanzenwelt eine Gefahr ausgehen könnte.
"Mit TTIP wäre dies vorbei", sagt Greenpeace. Internationale Konzerne könnten sich mit dem jetzt bekannt gewordenen Regelwerk vor europäischen Gerichten Recht verschaffen – und die Zulassung gentechnisch veränderter Lebensmittel einklagen. "TTIP hat das Zeug", so Jürgen Knirsch, "ein unschönes Wettrennen in Gang zu setzen. Es wird mit diesem Vertrag kein Rennen nach oben, sondern ein Rennen nach unten geben."
Die Grünen triumphieren
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel schaltete sich in die Debatte ein. Ihr Regierungssprecher sagte, die Kanzlerin wolle "den zügigen Abschluss eines ehrgeizigen Abkommens". Auf die Einhaltung hoher Umwelt- und Verbraucherstandards werde natürlich Rücksicht genommen, so der Sprecher.
Von Seiten der Opposition erntete die Bundeskanzlerin dafür Häme. Die Sorgen der Menschen hätten sich als berechtigt entpuppt, sagte Grünen-Fraktionsvorsitzender Anton Hofreiter in Berlin. Und darauf sei die Bevölkerung nicht durch die Bundesregierung, sondern erst durch die Arbeit eines Whistleblowers hingewiesen worden.
Während die Grünen Greenpeace dankten, verurteilte der Verband der Chemischen Industrie (VCI) in Deutschland das Vorgehen der Umweltschützer. Die Auslegung der Dokumente gehe in die falsche Richtung, sagte Verbandssprecher Utz Tillmann. „Verschwiegen wird, dass Europa bestimmte Grundprinzipien, wie zum Beispiel das Vorsorgeprinzip, niemals aufgeben kann. Denn sonst könnten und würden das Europäische Parlament und der Ministerrat TTIP niemals zustimmen“.
Lesen am Brandenburger Tor
Greenpeace-Mann Jürgen Knirsch will sich von derlei Aussagen nicht beeindrucken lassen. Am Montagmorgen projizierte die Organisation den Vertragstext mit Lichtlasern auf die Fassade des Reichstagsgebäudes in Berlin. Außerdem richtete sie einen unmittelbar vor dem Brandenburger Tor in Berlin einen sogenannten TTIP-Leserraum ein.
Hinter gläsernen Wänden können dort Passanten auf acht Plätzen die geheimen TTIP-Texte lesen. Im Vorfeld hatte die Organisation das Journalisten-Recherchenetzwerk von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung die Dokumente auf ihre Echtheit überprüfen lassen.
Auch der Informant wurde geschützt, in dem die Texte ohne Namensnennung noch einmal komplett abgeschrieben wurden, bevor sie auf www.ttip-leaks.org im Netz gelandet sind. "Wir haben uns zu diesem Schritt entschieden," so Stefan Krug von Greenpeace Deutschland, "um Transparenz in eine skandalös intransparente Debatte zu bringen."