Demokratie unter Schock
19. September 2013Waren die Schlägertruppen der rechtsradikalen "Goldenen Morgenröte" wieder am Werk? Die Partei bestreitet dies und droht Journalisten, die etwas anderes behaupten, mit Gerichtsverfahren. Doch die Hinweise verdichten sich, dass der Mörder eines Linksaktivisten in Keratsini, einer Arbeitervorstadt von Piräus, den Rechtsradikalen zumindest freundlich gesinnt war.
Das Opfer war Pavlos Fyssas, ein in der Athener Hip-Hop-Szene beliebter Musiker und Linksaktivist, der am Dienstagabend die Champions-League-Partie des griechischen Meisters Olympiakos Piräus gegen Paris St. Germain in einem Café am Fernsehen live verfolgte. Aus ungeklärten Gründen kam es mit anderen Cafébesuchern zum Streit, der später eine traurige Fortsetzung fand: Laut Augenzeugen griffen 15 Schläger, die sich als Mitglieder der "Goldenen Morgenröte" ausgaben, den 34-jährigen Aktivisten und seine Clique auf offener Straße an. Wenig später kam ein 45-Jähriger hinzu, der mit einem Messer zwei Mal auf Fyssas einstach. Der Täter sei vorher nicht im Café gewesen, er sei offenbar per SMS herbeigerufen worden, um Fyssas zu töten, berichten Augenzeugen weiter.
"Verbrechen bis ins letzte Detail organisiert"
Allein schon diese Aufgabenteilung zeuge von einer hohen, bisher unbekannten kriminellen Energie, meint der ehemalige Vizepräsident der griechischen Richtervereinigung, Konstantinos Logothetis, im TV-Sender 'Skai'. "Der Mörder hatte mit dem eigentlichen Streit nichts zu tun, er hat nicht etwa im Affekt gehandelt, vielmehr wurde er einfach zum Tatort bestellt, um zu töten. Er hatte die notwendige kriminelle Energie und Ausbildung, sowie den Willen, dies zu tun. Es handelt sich also um ein bis ins letzte Detail organisiertes Verbrechen", erläutert der erfahrene Richter.
Der Mord von Keratsini war der bisherige Höhepunkt einer Reihe von politisch motivierten Gewalttaten, die in Griechenland Aufsehen erregten. Am vergangenen Freitag (13.09.2013) wurden bei Zusammenstößen zwischen Rechtsradikalen und Linksaktivisten in der Athener Arbeitervorstadt Perama acht Menschen verletzt. Am Wochenende stürmten rechte Schläger eine Gedenkfeier für die Opfer des griechischen Bürgerkrieges (1946-1949) auf dem Peloponnes, um den Hauptredner tätlich anzugreifen. Einen rauen Ton lieferte neulich auch der Chef der rechtspopulistischen Partei "Unabhängige Griechen", Panos Kammenos, der mit den Rechten um Stimmen konkurriert: Am Rande einer Parteiveranstaltung in einem nordgriechischen Ferienort ermunterte er seine Anhänger, den sozialistischen Bürgermeister "zu lynchen".
Suche nach Strategie gegen Rechts
Im Gespräch mit der DW beklagt der Politanalyst Tassos Kokkinidis eine gefährliche Polarisierung der politischen Landschaft: "Die politischen Parteien in Griechenland sind vor allem darauf bedacht, ihre eigenen kurzfristigen Interessen zu schützen", meint Kokkinidis. Sich gegenseitig auszustechen sei vielen Politikern immer noch wichtiger, als eine gemeinsame Strategie zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus zu entwerfen. Dabei müsse doch jedem klar sein, dass die "Goldene Morgenröte" eine verbrecherische Organisation darstelle, meint der Politikwissenschaftler.
Nach dem Mord von Keratsini ließ der konservative Minister für öffentliche Ordnung, Nikos Dendias, einen Arbeitsbesuch in Rom absagen und trat persönlich vor die Kamera, um die Bürger zu beruhigen und eine Politik der harten Hand anzukündigen: Angesichts "der Ereignisse" könne die Regierung nicht untätig bleiben und werde die Strafgesetze zur Bildung einer kriminellen Vereinigung deutlich verschärfen, versprach Dendias. Mindestens genauso wichtig sei aber auch eine Verständigung aller politischen Kräfte im Land über den Umgang mit dem Faschismus und mit politisch motivierter Gewalt, betonte der Minister.
Angst vor Eskalation der Gewalt
Politikwissenschaftler Kokkinidis bezweifelt, dass dieser Aufruf auf fruchtbaren Boden fällt. Die Linkspartei Syriza, derzeit die zweitstärkste politische Kraft im Land, habe den Vorschlag zur Ausarbeitung einer gemeinsamen Strategie praktisch abgelehnt, da sie der Regierung indirekt Mitverantwortung für die steigende Gewaltbereitschaft in der Politik vorwerfe, berichtet Kokkinidis. Er befürchtet sogar, dass nach dem grausamen Mord an dem Linksaktivisten Fyssas politisch motivierte Gewalttaten in Zukunft zunehmen. "Schon heute kursieren in Sozialen Medien Aufrufe zu Vergeltungsschlägen und Großdemonstrationen gegen die "Goldene Morgenröte", warnt der Analyst.
Seine Befürchtungen scheinen sich zu bestätigen: Am späten Mittwochabend kam es am Rande einer "antifaschistischen Protestveranstaltung" unweit des Tatorts in Keratsini zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Mutmaßliche Anarchisten griffen eine Polizeistation an und setzten sie in Brand; daraufhin feuerten Ordnungskräfte Tränengas in die Menge, um diese auseinanderzutreiben. Mehrere Menschen wurden verletzt. Auf der Kundgebung ließ sich überraschend auch Rechtspopulist Kammenos blicken, der von Demonstranten mit Fäusten attackiert und ebenfalls verletzt wurde.
Unlängst regte der Menschenrechtsbeauftragte des Europarates ein Verbot der "Goldenen Morgenröte" an. Nach Informationen des Athener Online-Portals 'To Vima' denkt die griechische Regierung mittlerweile ernsthaft darüber nach. Jedenfalls sei es nicht mehr ausreichend, die Rechtsradikalen allein mit politischen Mitteln bekämpfen zu wollen, mahnt der Chefredakteur der Tageszeitung 'Kathimerini', Nikos Xydakis, im griechischen Fernsehen: "Demokratie bedeutet Freiraum und Toleranz gegenüber allen, aber doch nicht gegenüber denjenigen, die unsere Demokratie abschaffen wollen. Bis heute profitieren diese Menschen von der Toleranz der Demokratie. Nun wird es Zeit, dass sie auch die eiserne Hand der Demokratie spüren", sagt Xydakis.