Tsipras kündigt vollständige Reformliste an
20. März 2015Das normale Gipfel-Programm war schon abgearbeitet, da begann schließlich das Sondertreffen im kleinen Kreis zur Bewältigung der griechischen Krise. Mehr als drei Stunden lang redeten mit Angela Merkel und François Hollande die beiden politischen Führer der größten Gläubigerländer mit dem griechischen Ministerpräsidenten - flankiert von den Chefs der EU-Institutionen. Ihre Forderung: Athen möge sich endlich an die Vereinbarung halten, die die Regierung am 20. Februar im Kreise der Finanzminister abgeschlossen hatte. Vor einem Monat hatte Griechenland zugestimmt, Strukturreformen umzusetzen, um im Gegenzug noch ausstehende Milliardenzahlungen aus dem jüngsten Hilfspaket zu erhalten.
Die Lage in Griechenland ist ernst
Um das Brüsseler Krisentreffen hatte Ministerpräsident Tsipras gebeten - unterhalb der höchsten Chefebene war der Syriza-Politiker nicht bereit, über eine Lösung der Probleme zu verhandeln. Nach Mitternacht lieferten EU-Diplomaten erste Berichte aus dem Privatissimum im Ratsgebäude: Es habe einen sehr offenen Meinungsaustausch gegeben, deutliche Worte seien gefallen und die Beteiligten schätzten die Lage in Griechenland als ernst ein. Niemand wisse, wie es um die Finanzen tatsächlich stehe. Die fällige Überweisung an den IWF für den heutigen Freitag sei zwar gesichert, Anfang April jedoch könne es schon kritisch und das Geld knapp werden. Aber es gebe Fortschritte: Die Teilnehmer der Runde hätten Alexis Tsipras klar gemacht, dass er sich an die Bedingungen der Vereinbarung vom Februar halten müsse. Und er habe das verstanden. Die Beamten und Experten der Gläubiger-Institutionen (früher Troika), inzwischen in "Brüssel Gruppe" umgetauft, müssten ihre Arbeit machen dürfen. Und schließlich: Es gebe kein weiteres Geld ohne Reformschritte in Athen.
Merkel will auf Tsipras Reformwillen vertrauen
Als zwei Stunden später eine erkennbar müde Bundeskanzlerin aus der Runde berichtete, war diese Botschaft auf das reine Gerippe reduziert. So sehr bemühte sich Angela Merkel, jede persönliche Regung oder gar Bewertung des Gespräches zu unterlassen, um die Feuerchen der gegenseitigen Beschuldigungen und der aggressiven Rhetorik nicht wieder anzufachen. Und sogar in der Wortwahl kam sie griechischen Empfindlichkeiten entgegen, sprach von "Arrangement", statt von Hilfspaket, wie bislang die gängige Bezeichnung für die Milliarden-Unterstützung für Griechenland genannt wurde. Innerhalb einer Woche, so konkretisierte die Bundeskanzlerin, solle der griechische Regierungschef eine "volle Liste mit Reformen" vorlegen, die er auch umsetzen wolle. Die Finanzminister der Eurogruppe könnten dann umgehend wieder zusammen treten und die Vorhaben bewerten. Kein Wort mehr davon, dass Athen bis Ende April warten und erste konkrete Schritte nachweisen müsse, wie man es im Februar verabredet hatte. "Griechenland hat seinen Willen bekundet, eine solche Liste schnell vorzulegen, weil die Lage danach ruft", fügte Angela Merkel noch hinzu. Was heißt: Griechenland steht kurz vor dem Bankrott.
Nach Verkündung dieser wenig aufrüttelnden Botschaft wusste die Bundeskanzlerin schließlich auf eine Frage der Journalisten keine Antwort: Was unterscheidet diese Versprechen der griechischen Regierung von den früher gegebenen, die sie umgehend wieder gebrochen hatte? Denn solche Versicherungen hatte man schließlich schon mehrfach gehört. "Sie haben manches schon gehört, es ist nur nichts passiert", fasste Angela Merkel den wochenlangen fruchtlosen Verhandlungsprozess zusammen, jetzt aber könne tatsächlich etwas geschehen. "Wir vertrauen darauf, dass es so kommt. Wir hoffen, dass es so kommt."
Die griechische Regierung setzt auf baldige Finanzspritze
Kurz darauf gab dann ein strahlend lächelnder Alexis Tsipras seine Lesart der nächtlichen Veranstaltung: Er sei jetzt deutlich optimistischer. "Ich glaube, heute haben wir den Prozess wieder auf die Schiene gesetzt." Alle Seiten seien bereit, die Schwierigkeiten zu überwinden. Und vor allem habe man das gemeinsame Verständnis des Beschlusses vom 20. Februar bekräftigt. Griechenland werde seine eigenen Strukturreformen vorschlagen, so Tsipras weiter, und müsse keine Maßnahmen durchführen, die die Wirtschaft schwächten. Was nach Sicht seiner Regierung eigentlich alle Sparmaßnahmen ausschließen würde. Und schließlich: Die Beteiligten wollten darauf hin arbeiten, dass die griechische Wirtschaft sich möglichst bald wieder finanzieren könne. Ob er damit eine Rückkehr an den Kapitalmarkt meint, von der sein Land meilenweit entfernt ist, wurde nicht deutlich. Oder geht es darum, wie im Laufe des Abends wohl von griechischer Seite gestreut wurde, dass nach Überreichung der Reformliste ein Teil der ausstehenden Milliardensumme schon in der nächsten Woche ausgezahlt werden soll?
Es bleiben am Ende allerhand offene Fragen. Welche Auslegung der Eurogruppen-Vereinbarung ist bindend - die der 17 anderen Finanzminister oder die der griechischen Regierung? Gibt es dabei überhaupt Überschneidungen? Zahlen die Gläubigerländer nun doch den Preis, um Griechenland im Euro zu halten und finanzieren einfach weiter den Haushalt des Landes? Denn es geht nicht nur um die sieben Milliarden, die noch aus dem alten Paket gezahlt werden sollen. Alle Brüsseler Wirtschaftsexperten sprechen inzwischen von einem dritten Hilfspaket für Athen, das spätestens im Sommer gebraucht wird: Kostenpunkt zwischen 40 und 60 Milliarden Euro. Das Gespräch auf Chefebene hat allen Beteiligten nur eine kurze Atempause verschafft.