Roma Griechenland
4. November 2013"Das war mal wieder typisch" empört sich Stelios Kalamiotis. Für den rüstigen Roma aus dem Athener Vorort Chalandri hat die Medienberichterstattung über das bulgarische Roma-Mädchen Maria, das offenbar aus finanzieller Not von ihren bulgarischen Eltern an eine fremde Familie in Griechenland abgegeben wurde, alte Ressentiments gegen Sinti und Roma geweckt. Der "kleine blonde Engel", wie die griechisch Boulevard-Presse Maria nennt, sei entweder entführt oder von ihren bulgarischen Eltern in Griechenland verkauft worden, war zu lesen.
"Da wurde sogar geschrieben, dass die Kleine von der eigenen Mutter missbraucht und von ihren Zieheltern wie ein Tanzbär behandelt worden sei. Jeder hatte eine Geschichte zu erzählen", klagt Kalamiotis. Doch Untersuchungen hätten ergeben, dass diese Anschuldigungen gar nicht stimmten. Natürlich müsse die Justiz weiter ermitteln, aber ohne Beeinflussung, sagt der aufgebrachte Roma.
Ein "Kulturverein" im Kampf gegen die Zwangsräumung
Auch in eigener Sache appelliert Kalamiotis an die griechische Justiz: Er gehört zu den 300 Menschen, die seit 1970 in einer Roma-Siedlung im Athener Vorort Chalandri leben und derzeit behördlich aufgefordert werden, ihr Zuhause zu verlassen. Der Grund: Ihre Unterkünfte stünden auf Grundstücken fremder Besitzer, die nun ihre Ansprüche geltend machten - vielleicht auch deshalb, weil der Ort zunehmend an Wert gewinne und als Filetstück im Athener Immobiliengeschäft gehandelt werde.
Stelios Kalamiotis und die anderen Roma in der Siedlung leben in extremer Armut und schlagen sich durch den Großstadt-Dschungel als Müllsammler oder Gelegenheitsverkäufer. In Chalandri haben sie gemeinsam einen "Kulturverein" gegründet, um sich juristisch gegen ihre Zwangsräumung zu wehren. Kalamiotis, der heute dem Kulturverein vorsitzt, bezweifelt die Gültigkeit der Eigentumstitel.
Das Geld kommt bei den Roma nicht an
Vor Jahren habe das Parlament über Zwangsumsiedlungen der Roma debattiert, erinnert sich der Mittfünfziger. Dabei habe er erfahren, dass die umstrittenen Grundstücke während der griechischen Militärdiktatur (1967-1974) einer Beamten-Wohnungsbau-Genossenschaft zugeschoben worden seien. Dennoch sagt Kalamiotis: "Ich wäre bereit, diese Siedlung zu verlassen, wenn der Staat mir eine Wohnung in der gleichen Gegend zuweist oder mir hilft, ein eigenes Haus zu bauen. Dafür gibt es ja genügend Geld."
Dass für die Roma genügend Geld zur Verfügung steht, aber bei den wirklich Bedürftigen nur wenig davon ankommt, meint auch Panagiotis Dimitras, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation Greek Helsinki Monitor. Zentrale Probleme vieler griechischer Roma seien die Wohnungssituation, sowie der mangelnde Zugang ihrer Kinder zu guter Schulbildung, erklärt der Menschenrechtsaktivist. Daran habe sich in den letzten Jahren auch nicht viel geändert - trotz ehrgeiziger Regierungsprojekte und finanzieller Unterstützung aus EU-Töpfen.
Im Jahr 1996 habe der damalige Ministerpräsident Kostas Simitis ein Programm zur Besserstellung der griechischen Roma angekündigt mit dem erklärten Ziel, jedem Bedürftigen eine Wohnung und jedem Roma-Kind einen Schulabschluss zu garantieren, sagt Dimitras. Die Bilanz sei ernüchternd. "Zig Millionen Euro, darunter auch EU-Subventionen, wurden dafür gezahlt, doch ein Großteil der Hilfsgelder wird offenbar fehlgeleitet und versickert durch Korruption und Misswirtschaft", kritisiert der Menschenrechtsaktivist.
Zwischen bitterer Armut und Assimilation
Nicht einmal die genaue Zahl der Roma in Griechenland konnte bis heute ermittelt werden: Nach Medienschätzungen seien es zwischen 150.000 und 250.000; Menschenrechtsaktivisten sprechen von über 300.000 Roma. Experten zufolge sei eine exakte Schätzung auch deswegen schwierig, weil die meisten griechischen Roma mittlerweile als "sozial angepasst" gelten würden, sich ein bürgerliches, wenn auch bescheidenes, Leben aufgebaut hätten und mitunter sogar ihre Herkunft verschweigen würden.
Trotz weitreichender Assimilation leben Zehntausende Roma allerdings immer noch in Slum-Siedlungen. Diese Menschen stehe es zu, von den laufenden Hilfsprogrammen zu profitieren. Dimitras sagt, dass die Verwaltung zwar die bereitgestellten Hilfsgelder freigebe, aber nicht prüfe, ob sie den Bedürftigen tatsächlich zugutekommen würden. Auf dem Papier funktioniere alles reibungslos, doch in der Praxis würde nur wenigen Menschen geholfen. Besonders deutlich zeige sich dies in einer unzureichenden schulischen Bildung, kritisiert der Vertreter von Greek Helsinki Monitor.
Bildung - Weg aus der Isolation
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe Griechenland bereits wegen zweier Ghetto-Schulen verurteilt, die für Roma bestimmt seien; doch beide Schulen blieben weiter bestehen, moniert Dimitras. "Eine dieser Schulen befindet sich im mittelgriechischen Ort Sofades, wo man eine Vorzeige-Siedlung für Roma gebaut hat. Dort sind die Roma-Wohnungen luxuriöser ausgestattet als viele Nachbarhäuser. Doch ausgerechnet bei der Schule bleibt alles beim Alten: 500 Roma-Kinder werden in die Ghetto-Schule gedrängt und können dort gar nichts lernen".
Experten sehen einen Teufelskreis: Von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht, haben Roma-Kinder keine Bildungs- und Aufstiegschancen und dadurch wird ihre soziale Ausgrenzung erst recht gefestigt.
Im Zuge der jahrelangen Auseinandersetzung mit den Behörden, die seine Siedlung zwangsräumen wollen, hat auch der Athener Roma Stelios Kalamiotis das Problem erkannt und erklärt es mit seinen eigenen Worten: "Weißt du, warum wir leiden? Weil wir nicht lesen und schreiben können. Und deswegen werden wir benachteiligt", empört sich der fünffache Familienvater.