Großbritannien gedenkt der Opfer
6. Juni 2017Bei einer landesweiten Schweigeminute haben zahlreiche Menschen in Großbritannien der Opfer des Terroranschlags in London gedacht. In der Hauptstadt versammelten sich mittags Trauernde bei strömenden Regen auch an einem der Tatorte, der London Bridge. Viele Menschen legten Blumen nieder, einige weinten. Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes und der Krankenhäuser versammelten sich geschlossen vor ihren Dienststellen. Die Polizei hat inzwischen alle drei an dem Angriff beteiligten Männer identifiziert.
Unterdessen geraten die britischen Sicherheitsbehörden trotz ihrer schnellen Reaktion auf den Anschlag am Samstagabend mit mindestens sieben Toten und vielen Verletzten immer mehr unter Druck. Einer der mutmaßlichen Attentäter, Khuram Shazad B., hatte vergangenes Jahr in einer Fernsehdokumentation mit dem Titel "Die Dschihadisten von nebenan" mit einer Fahne der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) posiert und war den Sicherheitsbehörden bekannt.
Wenige Tage vor der britischen Parlamentswahl teilte Großbritanniens Anti-Terror-Chef Mark Rowley mit, der Mann sei damals überprüft worden. Aber die Behörden hätten keine Belege gefunden, dass er einen Anschlag plane. Daraufhin sei der in Pakistan geborenen Brite als nachrangig eingestuft worden.
"Warum haben sie den Dschihadisten aus dem Fernsehen nicht gestoppt?", titelte die Boulevard-Zeitung "The Sun". Der "Daily Mirror" schrieb: "Wie zur Hölle konnte er ihnen durch die Lappen gehen?" Im konservativen "Daily Telegraph" hieß es: "Während wir stolz darauf sind, eine offene und tolerante Gesellschaft zu sein, ist es schon erstaunlich, dass Leute, die solch eine Gefahr für Leib und Leben darstellen, in der Lage sind, ihre kranke Ideologie ohne Konsequenzen im Fernsehen auszubreiten."
Trotz seiner Verbindungen zu radikalen Islamisten arbeitete B. von Mai bis Oktober 2016 für die Londoner U-Bahn. Die Zeitung "The Times" berichtete, der 27-Jährige habe Verbindungen zu einem der Attentäter des Londoner Terroranschlags vom 7. Juli 2005, bei dem Dutzende Menschen getötet worden waren, sowie zu einem bekannten Hassprediger gehabt.
Er lebte im Ostlondoner Stadtteil Barking, wie auch der zweite mutmaßliche Attentäter Rachid R. Der 30-Jährige aus Marokko, der sich zeitweise auch als Libyer ausgab, war der Polizei offenbar nicht bekannt. Der dritte Angreifer ist nach Behördenangaben italienisch-marokkanischer Herkunft.
Zwölf Verdächtige, die nach dem Anschlag vom Samstagabend festgenommen worden waren, sind inzwischen wieder auf freiem Fuß. In der Nacht zum Dienstag durchsuchten Beamte eine Wohnung im Ostlondoner Stadtteil Ilford. Dabei sei niemand festgenommen worden, teilte die Polizei mit.
Noch immer liegen mehr als 30 Verletzte in Krankenhäusern, darunter 18 in kritischem Zustand. Mehrere Menschen werden zudem noch vermisst, darunter eine 21-jährige Australierin. Die Polizei hatte die Attentäter acht Minuten nach den ersten Notrufen erschossen.
Der britische Außenminister Boris Johnson zeigte in der BBC Verständnis für kritische Fragen, "wie diese Person durch unser Netz schlüpfen konnte". Er betonte aber, die Verantwortung für den Anschlag liege bei den Terroristen. Ähnlich äußerte sich der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan. Er warnte aber auch vor neuen Kürzungen bei der Polizei, wenn Premierministerin Theresa May die Wahl an diesem Donnerstag gewinnt. Kritiker werfen der Regierungschefin vor, sie trage aus ihrer Zeit als Innenministerin eine Mitverantwortung dafür, dass es heute 20.000 Stellen weniger bei der Polizei gebe als 2010.
Am Samstagabend waren drei Männer mit einem Lieferwagen auf der London Bridge in Menschen hineingefahren und hatten anschließend Passanten und Kneipenbesucher im beliebten Borough Market mit langen Messern attackiert. In dem Lieferwagen wurden Medienberichten zufolge mehrere Zündsätze gefunden, sogenannte Molotow-Cocktails. Die London Bridge ist weitgehend wieder für den Verkehr freigegeben, der Borough Market hingegen war weiterhin abgesperrt. Dort setzten Ermittler ihre Arbeit fort.
Derweil forderten mehr als 130 Imame und muslimische Religionsführer in Großbritannien, den Attentätern der Anschläge in London und Manchester das traditionelle Bestattungsgebet zu verweigern. Man sei "geschockt und abgestoßen" vom Verhalten der Attentäter, deren "unhaltbares Handeln, den hohen Lehren des Islam widerspricht", heißt es in einer entsprechenden Erklärung des britischen Muslimrates (MCB). Daher werde man das Totengebet Salat al-Janaaza, bei dem um Vergebung für die Taten des Verstorbenen und seinen Eintritt in das Paradies gebetet wird, für die Attentäter nicht sprechen. Die Imame fordern andere Muslime und religiöse Autoritäten auf, ihrem Beispiel zu folgen und den Tätern das Totengebet zu verweigern. Die Unterzeichner gehören Medienberichten zufolge verschiedenen Strömungen des Islam an.
stu/cr (afp, dpa)