Großbritannien lädt zum Europagipfel
18. Juli 2024Grüne Rasenflächen auf sanften Hügel, Enten in einem Teich mit Seerosen, eingerahmt von hohen Bäumen. Und mitten im Park ein riesiges Schloss aus dem 18. Jahrhundert. Das ist Blenheim Palace, Familiensitz der Herzöge von Marlborough.
Viel englischer als dieser kann ein Park nicht sein. Blenheim Palace in der Nähe von Oxford diente als perfekte Kulisse für Filme wie Harry Potter, Mission impossible, James Bond und Downton Abbey.
Das Schloss ist auch Geburtsstätte des großen britischen Staatsmanns Winston Churchill, der schon vor 80 Jahren eine Einigung Europas forderte. Der imposante Blenheim Palace ist aus der Sicht der britischen Gastgeber der ideale Ort, um mit der "Europäischen Politischen Gemeinschaft" über die Zukunft des Kontinents zu sprechen.
Der neue britische Premier Keir Starmer ist erst seit knapp zwei Wochen im Amt. Er sagte den über 40 Gästen aus allen europäischen Staaten, außer Russland und Belarus, Großbritannien wolle sich unter der Labour-Regierung Europa wieder annähern, ohne den Austritt aus der Europäischen Union, den Brexit, rückgängig zu machen.
"Wir wollen mit Ihnen allen zusammenarbeiten, um die Beziehungen wiederherzustellen, unsere gemeinsamen Interessen wiederzuentdecken und die Bande des Vertrauens und der Freundschaft zu erneuern, die das Gefüge des europäischen Lebens zusammenhalten", sagte Starmer.
Die Idee, den Blenheim Palace für einen selbstbewussten Auftritt Großbritanniens auszuwählen, hatte allerdings schon die abgewählte konservative Vorgängerregierung. Die Planungen liefen schon seit Monaten.
Die EU-Führung reagierte positiv auf die britischen Annäherungsversuche. Die EU sei bereit zu Gesprächen, sagte der EU-Ratsvorsitzende Charles Michel, um die Beziehungen nach dem Brexit neu zu starten.
Charles Michel: Europa muss widerstandfähiger werden
Bei dem Gipfel wurden auch die Entwicklungen in den USA thematisiert. In Gesprächsrunden ging es immer wieder um das Attentat auf den republikanischen Präsidentschaftsbewerber Donald Trump und die offensichtlichen Schwächen des amtierenden Präsidenten Joe Biden.
"Wir müssen widerstandsfähiger werden und unsere Werkzeuge schärfen, mit denen wir wirklich Einfluss ausüben und uns besser verteidigen können", sagte EU-Ratspräsident Charles Michel in einem Interview mit der DW in Bensheim Palace. Um mehr Souveränität gegenüber den USA zu erlangen, müsse Europa an zwei Pfeilern arbeiten, der wirtschaftlichen Innovationsfähigkeit und der militärischen Verteidigung, meinte Michel.
"Wir müssen vielmehr tun, als wir vor der Invasion der Ukraine durch Russland geglaubt haben." Er nehme nicht an, so Michel, dass es das amerikanische Volk zulassen werde, der Ukraine die Unterstützung zu entziehen und damit Russland in die Hände zu spielen. Das würde ein schlechtes Beispiel für andere Autokraten setzen, zum Beispiel China. Daran könnten die USA kein Interesse haben.
"Strategische Intimität"
Formale Beschlüsse fallen auf dem Gipfel der "Europäischen Politischen Gemeinschaft" (EPG) nicht. Das Ganze ist eher eine Art "speed-dating" für Spitzenpolitiker, die sich sonst nicht so oft begegnen.
Der persönliche Kontakt zwischen EU-Chefs und Nicht-EU-Chefs zähle, meint Steven Blockmans, Experte für Europapolitik bei der Denkfabrik CEPS in Brüssel.
"Die EPG ist natürlich ein eher informelles Ereignis, auch wenn sich hier die Führungspersönlichkeiten treffen. Sie ist ein Platz für strategische Intimität sozusagen, mit freier Zeit einfach zu reden, ohne Vorgaben." Der Schwerpunkt liege auf sozialem Austausch und Diskussionen über die Sicherheitsfragen, die den Kontinent berühren, so Steven Blockmans.
Orban hält an seinem Alleingang fest
Bundeskanzler Olaf Scholz nannte es ein "klares Zeichen" für die Einigkeit Europas in der Ablehnung der russischen Aggression gegen die Ukraine, dass sich so viele europäische Staaten im Rahmen der "Europäischen Politischen Gemeinschaft" zu einem Gipfel versammeln.
Doch in der EU tanzt ein Mitglied derzeit massiv aus der Reihe. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban ist derzeit auch Ratspräsident der Union und reiste mit der Forderung nach Friedensverhandlungen nach Kiew, Moskau und Washington.
Seine "Friedensmission" gehe trotz massiver Kritik der übrigen 26 EU-Staaten weiter, sagte Orban in Blenheim Palace. Er verstehe nicht, warum die anderen Europäer seine Forderung nach Waffenstillstand und Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland nicht unterstützten.
"Mein Punkt ist einfach: Beim Krieg zwischen der Ukraine und Russland handelt es sich um eine europäische Krise, eine europäische Angelegenheit. Die Europäer sollten also nicht nur die Außenpolitik der Demokraten in den USA kopieren, sondern selbst souverän handeln", forderte Viktor Orban. Er tritt wie der republikanische Präsidentschaftsbewerber Donald Trump dafür ein, die militärische und finanzielle Hilfe für die Ukraine zu stoppen.
Der deutsche Bundeskanzler und viele andere Staats- und Regierungschefs widersprachen. Viktor Orban vertrete nur seine eigene Meinung und spreche nicht für die Europäische Union.
Der britische Gastgeber meinte etwa, man könne Russland nur vereint entgegentreten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mahnte in der Diskussion in der Gipfelrunde, Russland könne nur mit Stärke begegnet werden.
"Alles, was uns stärker macht, macht Russland schwächer", sagte Selenskyj, dessen Land seit zweieinhalb Jahren von der russischen Armee attackiert wird. "Die Einheit Europas sollte nicht durch Einzelne betrogen werden, die sich Druck oder Erpressung beugen", fügte der ukrainische Präsident mit Blick auf Ungarns Ministerpräsidenten Orban hinzu.
Selenskyj: Beschränkungen für weitreichende Waffen müssen fallen
Russische Flugplätze, Abschussrampen, Munitionsfabriken und Nachschubwege müssten auch Hunderte Kilometer hinter der Front bekämpft werden, mahnen militärische Berater der EU in Brüssel immer wieder an. Dieser Forderung können mehr und mehr westliche Politiker etwas abgewinnen.
Deutschland und die USA haben als Hauptwaffenlieferanten bisher nur den Einsatz in Frontnähe zugelassen. Großbritannien hat keine Beschränkungen verfügt, hat aber auch weniger weit reichende Waffen geliefert. Mit Slowenien und Tschechien unterzeichnete Präsident Selenskyj im Blenheim Palace bilaterale Sicherheitsabkommen, die bereits mit zahlreichen Staaten bestehen.
Nächster Stopp: Budapest
Der nächste Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft soll am 7. November ausgerechnet in Ungarn stattfinden. Ob die anti-russische Koalition zur Unterstützung dann weiter hält, wird sich zeigen.
Nur zwei Tage vorher könnte bei den Wahlen in den USA ein Ukraine-kritischer und NATO-kritischer Kandidat das Präsident das Rennen machen. Beim Gipfel in Blenheim-Palace ging es auch darum, Europa für eine mögliche zweite Präsidentschaft von Donald Trump fit zu machen. "Wie bereitet man sich auf jemanden vor, den man überhaupt nicht berechnen kann?", fragte ein hoher EU-Diplomat in Blenheim-Palace rhetorisch.