Großbritannien hebt Corona-Alarmstufe an
21. September 2020In Großbritannien droht nach Einschätzung von Fachleuten ein rapider Anstieg der Corona-Todeszahlen,wenn das Land nicht umgehend gegensteuert. Sollte die Pandemie nicht eingeschränkt werden, könnten bis Mitte Oktober 50.000 Infektionen pro Tag hinzukommen, warnten der Chefarzt für England, Chris Whitty, und der Wissenschaftsberater der Regierung, Patrick Vallance. "Wenn man auf diesem Pfad weitergeht, wird die Zahl der Toten in direktem Zusammenhang mit COVID weiter klettern, potenziell auf einer exponentiellen Kurve. Das bedeutet, eine Verdoppelung und eine Verdoppelung und noch eine Verdoppelung." Sehr schnell könne man dann von relativ kleinen "auf wirklich sehr große Zahlen" kommen.
Täglich 200 Tote im November?
Zu befürchten sei eine tägliche Todesfallrate von 200 Fällen ab Mitte November, sollte sich die Lage im selben Tempo weiter verschlechtern, sagte Vallance. Ohne Kursänderung werde Großbritannien "ein sehr schwerwiegendes Problem" bekommen.
Die Situation im größten Landesteil des Vereinigten Königreiches sei mit jener in Spanien und Frankreich vergleichbar, wo sich die Zahl der täglichen Corona-Neuinfektionen etwa alle sieben Tage verdopple, sagte Whitty. Die englische Bevölkerung forderte er auf, die Abstandsregeln wegen der Pandemie einzuhalten. "Dies ist nicht das Problem von Irgendjemandem. Dies ist unser aller Problem", betonte Whitty.
Angesichts rasch wachsender Neuinfektionen erhöhte die Regierung in London die offizielle Covd-19-Warnstufe auf vier von zuvor drei. Stufe vier bedeutet, dass die Virus-Übertragung groß ist.
Zugleich beschloss die Regierung, in ganz England die Restriktionen in der Gastronomie zu verschärfen Ab Donnerstag müssen alle Restaurants, Pubs und Bars um 22 Uhr schließen, wie das Kabinett am Montagabend mitteilte. Auch darf in den gastronomischen Einrichtungen nur noch am Tisch bedient werden.
Täglich 6000 neue Infektionen
Bereits jetzt zählt Großbritannien mit offiziell 41.777 Verstorbenen die meisten Corona-Todesfälle in Europa und die fünftmeisten weltweit. Täglich kommen mindestens 6000 Infektionen hinzu, wie aus Daten hervorgeht, die allerdings bereits eine Woche alt sind. Die Krankenhauseinweisungen verdoppeln sich alle acht Tage, das Test-System ist an seine Grenzen geraten.
Das Virus breitet sich in allen Landesteilen aus, doch nach Angaben der Experten verfügen nicht einmal acht Prozent der Bevölkerung über Antikörper gegen die Krankheit COVID-19. Es müsse gehandelt werden, und zwar schnell, mahnten die beiden Wissenschaftler. Der Winter stehe bevor.
Einschränkungen in mehreren Regionen
Bereits seit einer Woche gelten in einigen Teilen Englands verschärfte Maßnahmen.Wer gegen eine verhängte Quarantäne verstößt, muss mit empfindlichen Bußgeldern in Höhe von bis zu 10.000 Pfund (11.000 Euro) rechnen. Striktere Maßnahmen wurden zuletzt für große Teile von Wales, wo ab Dienstagabend knapp ein Drittel der Bevölkerung sich nur noch eingeschränkt bewegen darf. Auch die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon stimmte ihre Landsleute bereits auf weitere Einschränkungen ein.
Und wegen steigender Corona-Infektionszahlen gelten auch in Nordirland ab Dienstagabend wieder stärkere Maßnahmen. So dürfen sich drinnen bis auf wenige Ausnahmen keine Angehörigen verschiedener Haushalte mehr miteinander treffen, wie die Regierung mitteilte. Im Freien werden noch Treffen von maximal sechs Menschen aus zwei Haushalten erlaubt sein. Allein in den vergangenen 48 Stunden hat es in Nordirland fast 400 neue Fälle gegeben.
Was plant Boris?
Premierminister Boris Johnson will sich an diesem Dienstag zu den stark steigenden Infektionszahlen in Großbritannien äußern und den Plan seiner Regierung zur Eindämmung der Pandemie im Herbst und Winter vorstellen. Die Regierung erwägt striktere Vorkehrungen, allerdings will sie einen erneuten vollständigen Lockdown vermeiden. Zur Debatte steht Medienberichten zufolge unter anderem eine erneute Schließung der Pubs in England vom kommenden Wochenende an.
Gesundheitsminister Matt Hancock brachte aber auch einen vollständigen neuen Lockdown ins Spiel. "Das Virus breitet sich aus. Wir befinden uns an einem Kipppunkt", sagte er bei einer Rede im Parlament. "Wir müssen alle unseren Teil dazu beitragen, um die Ausbreitung (des Virus) zu stoppen."
kle/AL (rtr, afp, dpa)