London: Hängepartie für EU-Bürger
30. März 2017"Ich bin fürchterlich besorgt", sagt der deutsche Regisseur Jörg Tittel. "Ich fühle mich plötzlich wie ein Fremdkörper, und ich habe dieses Land bisher als meine Heimat angesehen." Tittel ist mit seiner britischen Kollegin Alex Helfrecht verheiratet, das Paar hat zwei Kinder, die im Vereinigten Königreich zur Welt gekommen sind. Der Deutsche ist einer der vielen EU-Bürger, die nicht wissen, was nach dem Brexit aus ihrem Leben in Großbritannien wird.
Premierministerin Theresa May hat zwar angedeutet, die Rechte der EU-Bürger in Großbritannien hätten "Priorität" bei den anstehenden Brexit-Verhandlungen, doch das genügt vielen EU-Bürgern, die auf der Insel leben und arbeiten, nicht. Sie, ihre Familien, Kollegen und Arbeitgeber hätten sich von der May Regierung eine Garantie für ihr Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich gewünscht.
"Schlag ins Gesicht"
Viele finden den Prozess unnötig kompliziert und intransparent. Regisseur Tittel empfindet das als "Schlag ins Gesicht" für Menschen wie ihn, die "Steuern gezahlt, Arbeitsplätze geschaffen und ihre Kultur mitgebracht haben".
Sergio Dias Figueiredo aus Portugal arbeitet im Gebäudemanagement und lebt seit über sechs Jahren in Großbritannien. Er hat bereits eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung beantragt, um "auf der sicheren Seite zu sein". Aber sein erster Antrag wurde wegen unzureichender Angaben abgelehnt. "Der Antrag ist 85 Seiten lang, und nun wollen sie auch noch Einkommenssteuer-Nachweise und Details über meiner Kontobewegungen der letzten fünf Jahre sehen", klagt Figueiredo. "Mir kommt das nicht richtig vor, dass ich so detaillierte Auskünfte über mein Leben preisgeben muss."
Auch der finnische Ökonom Tuomas Haanperä hätte seine Dokumente lieber jetzt als gleich zusammen, der ganze Prozess ist ihm vor allem lästig: "Man ist darauf ja überhaupt nicht vorbereitet, vorher brauchte man das einfach nicht." Insbesondere stört ihn, dass er zusammen mit den anderen Dokumenten auch seinen Pass einreichen muss und ihn erst zurück erhält, wenn alles bearbeitet ist. "Ich kann es mir einfach nicht leisten, auf unbestimmte Zeit keinen Reisepass zu haben", sagt Haanperä.
Ehemann hat für den Brexit gestimmt
Andere EU-Bürger warten lieber ab, wie die polnische Außenhandelskauffrau Anna Doherty. Sie ist zwar mit einem Briten verheiratet und lebt seit zehn Jahren auf der Insel, sorgt sich aber dennoch um ihren Status: "Mein Ehemann und seine Familie haben geschlossen für den Brexit gestimmt und meinten, das würde mich nicht betreffen. Aber woher wissen sie das?" Doherty fürchtet, dass man ihr die Wiedereinreise verweigern könnte, wenn sie das Land einmal verlässt. "Aber das Beste ist wohl, erst einmal abzuwarten."
Für zusätzliche Verunsicherung sorgt, dass es kaum Hilfe von den Behörden gibt: Wer einen Antrag stellen sollte und was man dafür braucht, das muss man selbst herausfinden. Vivian Marangoni, Brasilianerin mit italienischem Pass, ist Anwältin im Öffentlichen Dienst. Sie sagt, dass viele sich in Internetforen und sozialen Netzwerken erkundigen. Dort würden massenhaft mehr oder weniger verlässliche Informationen - und Horrorgeschichten - ausgetauscht.
Hängepartie ohne Ende?
Alastair Bayliss, Sprecher des Innenministeriums, betont, dass die Regeln bisher unverändert seien und es seit Oktober 2016 die Möglichkeit gebe, den 85-seitigen Antrag online auszufüllen - wenngleich er dann ausgedruckt und per Post gesendet werden müsse.
Colin Yeo, Fachanwalt für Immigrationsrecht, findet dennoch, dass der Prozess deutlich einfacher sein könnte. Das Innenministerium habe ihn in den letzten zwei oder drei Jahre über Umwege immer komplizierter gemacht. "Früher haben wir kaum Mandanten aus EU-Ländern betreut", berichtet Yeo. Aber seit 2015 die Einbürgerungsvorschriften geändert wurden und nach dem Brexit-Votum 2016 seien die Zahlen rasant gestiegen. "Diese Menschen sind sehr nervös und stocksauer über die Art und Weise, wie sie behandelt werden", sagt Yeo. "Bisher ist völlig offen, wann und wie den hier lebenden EU-Bürgern welcher Status zuerkannt wird."
Das kann Bernard Ryan, Professor für Migrationsrecht von der Universität Leicester, bisher nur so beantworten: Wenn alle Anträge in der jetzigen Geschwindigkeit bearbeitet werden, sagt er, werde das Innenministerium 25 Jahre brauchen, um alle Fälle zu bearbeiten.