Neue Atomsysteme
5. Dezember 2006Der britische Premier Tony Blair hat Pläne für eine bis zu 30 Milliarden Euro teure Modernisierung der Atomstreitmacht seines Land vorgelegt. "Es wäre unklug und gefährlich, Großbritanniens unabhängige, atomare Abschreckung aufzugeben", sagte Blair am Montag (24.11.2006) vor dem britischen Unterhaus. Obwohl der Kalte Krieg vorüber sei, könne eine atomare Bedrohung in den nächsten Jahrzehnten nicht ausgeschlossen werden. Als Staaten, von denen möglicherweise Gefahr drohe, nannte er den Iran und Nordkorea. Blair wies auf "mögliche Verbindungen" zwischen einigen dieser Länder und dem "internationalen Terrorismus" hin.
"Wirkungsvollste Abschreckung"
Zuvor hatte das Kabinett ein neues Weißbuch zur Modernisierung des gegenwärtigen Trident-Systems, das auf vier U-Booten stationiert ist und über 200 Sprengköpfe verfügt, vorgelegt. Die Zahl der U-Boote könnte von vier auf künftig drei sinken. Damit würden auch 40 der bisher 200 Trident-Atomraketen überflüssig. Das erste Boot der aktuellen Vanguard-Klasse war 1992 in Betrieb genommen worden. Die Kosten für das geplante System belaufen sich Blair zufolge auf zwischen 15 und 20 Milliarden Pfund (22,3 bis 30 Milliarden Euro).
Die Lebenszeit des bisherigen britischen Atomwaffen-Arsenals endet 2024. Eine Prüfung aller verfügbaren Optionen habe ergeben, dass auf U-Booten stationierte Atomwaffen die wirkungsvollste Abschreckungsmöglichkeit böten, hieß es in dem Weißbuch der Regierung. Eine günstigere glaubwürdige Alternative gebe es nicht. Wegen der langen Entwicklungsdauer müssten die Entscheidungen über die neuen Systeme jetzt getroffen werden.
Konservative Unterstützer
Laut den von Blair vorgestellten Plänen will die britische Regierung auch in Zukunft einen Erstschlag weder ausschließen noch eindeutig androhen. Das soll die Planungen der möglichen Gegner erschweren. Allein der britische Premier hat die Vollmacht, den Einsatz britischer Atomwaffen zu autorisieren, auch wenn dieser innerhalb eines NATO-Krieges geschieht. Die konservative Opposition begrüßte die Regierungspläne.
Kritiker auch in Blairs Labour-Partei werfen der Regierung vor, sie laufe Abrüstungsbemühungen entgegen. Das britische Parlament soll Anfang des kommenden Jahres über die Modernisierungspläne abstimmen. Dabei könnte Blair wegen des parteiinternen Widerstands auf Stimmen der konservativen Opposition angewiesen sein. Für Labour sind Atomwaffen ein heikles Thema, weil die Partei bis Ende der 1980-er Jahre für eine einseitige nukleare Abrüstung geworben hatte.
Pflicht zur Abrüstung
Aus Sicht von Kritikern ist die Reduzierung der Atomsprengköpfe viel zu gering, um dem internationalen Kampf gegen die Verbreitung von Atomwaffen neuen Schwung zu geben. Zuletzt hatte UN-Generalsekretär Kofi Annan in der vergangenen Woche in einer Grundsatzrede die Atommächte ermahnt, ihre Pflicht zur Abrüstung gemäß dem Atomwaffensperrvertrag ernster zu nehmen. Die "Kampagne für nukleare Abrüstung" legte gemeinsam mit mehr als 30 Abgeordneten aus Blairs Labour-Partei einen Alternativplan vor und forderte entschlossenere Entscheidungen der Regierung. "Wir müssen ernsthaft danach fragen, wen wir abschrecken wollen und ob das Trident-System das richtige Mittel dafür ist", sagte der Labour-Abgeordnete Peter Kilfoyle der Nachrichtenagentur Reuters.
Im Vergleich zu den Atommächten USA, Russland, China und Frankreich hat Großbritannien die kleinste Atomstreitmacht. Indien und Pakistan verfügen ebenfalls über Atomwaffen. Israel hat einen Atomwaffenbesitz nie bestätigt, gleichwohl stufen Experten das Land als Atommacht ein. Mit einem Atomwaffentest Anfang Oktober erklärte sich Nordkorea zur achten Atommacht der Welt. (stu)