Grundsteuer: Das Urteil zur Bodenrevolution
9. April 2018Deutschland ist ein beliebtes Anlageziel für Investoren aus aller Welt. Das Land ist stabil, die Wirtschaft boomt und auf dem Immobilienmarkt lassen sich Traum-Renditen einfahren. In Ballungszentren wie München oder Frankfurt ist Grund- und Bodenbesitz so wertvoll wie nie. Mehr als 20.000 Euro kann ein Quadratmeter Bauland inzwischen wert sein - Tendenz steigend. Gerade in den vergangenen fünf Jahren kletterte der Wert von Boden in astronomische Höhen.
Das schafft auch unerwünschte Anreize: Selbst in attraktivsten Innenstadtlagen lassen Investoren Bauland vielerorts brachliegen, weil die Einnahmen auch ohne Bebauung sprudeln. "Die Grundstücks- und Baulandpreise steigen derzeit um zehn bis fünfzehn Prozent pro Jahr und das sind sichere Renditen, für die ich nichts tun muss", erklärt Ökonom Michael Voigtländer, Immobilienexperte beim Institut der Deutschen Wirtschaft Köln. Rund 600.000 Baugenehmigungen bleiben deshalb ungenutzt, weil mancher Investor auf weiter steigende Gewinne spekuliert.
Deutschland ist ein Mekka für Immobilienspekulanten
Auf dem Miet- und Wohnungsmarkt sorgt das für Verwerfungen: Wo Grund und Boden unerschwinglich sind, da stockt der Wohnungsbau, obwohl die Nachfrage groß ist. Und genau das konstatieren Wirtschaftsforschungsinstitute für Deutschlands Großstädte: Etwa eine Million Wohnungen fehlen. Allein in Berlin ziehen pro Jahr über 40.000 Menschen zu, ohne dass entsprechend gebaut wird. Das macht bezahlbaren Wohnraum zur Mangelware, denn bei solchen Bodenpreisen lohnt das Investment nur noch im Hochpreis-Segment. Die Kehrseite ist auch, dass neue Mietverträge im vergangenen Jahr einen Aufschlag von neun Prozent hatten. Kaum verwunderlich, dass die Wohnungskrise die Gesellschaft zunehmend in Gewinner und Verlierer spaltet.
Schreiend ungerecht empfinden es in dieser Situation viele, dass die Gewinne aus der Bodenspekulation allein in private Taschen fließen und kein sozialer Ausgleich stattfindet. Der Grund dafür liegt in der aktuellen Besteuerung, denn die auf Gebäude und Grundbesitz fällige Grundsteuer wird nach einem hoffnungslos veralteten Messverfahren erhoben. Die Bodenspekulation von heute lässt sich damit nicht erfassen, weil die Bewertungsgrundlagen in Westdeutschland letztmalig im Jahr 1964, in Ostdeutschland sogar 1935 erhoben wurden. Eigentlich hätte der Wert der Gebäude auf den Grundstücken alle sechs Jahre neu ermittelt werden sollen. Weil das zu aufwendig war, unterblieb es inzwischen für viele Jahrzehnte lang. Ehemalige Randlagen von Großstädten sind so zu Luxusvierteln gereift. Steuerlich werden sie allerdings weiter wie Industriebrachen behandelt. Besonders wenig zahlen Eigentümer von unbebautem Land, was für Bodenspekulation attraktiv ist und besonders viel Rendite verspricht.
Bundesverfassungsgericht entscheidet über Grundsteuer
Mit einer fairen Besteuerung hat all das nichts mehr zu tun. Und genau das ist der Grund, warum eine Vielzahl von Bürgern Verfassungsklage eingereicht hat. Am Dienstag (10.4) wird das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sein Urteil verkünden, und schon vorab ist klar, dass die Richter Deutschlands Politik den Auftrag zur Reform der Immobilienbesteuerung geben werden. Unklar ist, wie grundlegend der Reformauftrag ausfallen wird. Und umstritten ist auch, wie reformwillig sich die deutsche Politik zeigen wird. Im Bundesrat, der parlamentarischen Vertretung der Bundesländer, wurden in den vergangen Monaten bereits drei verschiedene Reformmodelle diskutiert, ohne dass sich eine Einigung abzeichnete. Allen bisher diskutierten Modellen gemeinsam ist, dass die Vorschläge möglichst wenig am bestehenden Modell ändern wollen. Reformwillen beweist das nicht.
Ein breites Bündnis aus Wirtschaft, Lokalpolitik, Gewerkschaften und Umweltverbänden fordert die Politik auf, jetzt einen Systemwechsel einzuläuten und die Gewinne aus dem Verkauf von Boden und Immobilien gerechter zu besteuern. Die Chance für eine solche Bodenrevolution war noch nie so groß wie jetzt, finden die Befürworter. Besonders lautstark engagiert sich die Initiative "Grundsteuer: Zeitgemäß", die der Ökonom Dirk Löhr mit dem Naturschutzbund Deutschland gegründet hat. Zeitgemäß, das ist für die inzwischen rund 50 institutionellen Mitglieder der Initiative die Einführung einer Bodenwertsteuer.
Mit der Bodenwertsteuer gegen Bodenspekulation vorgehen
Im Kern soll mit diesem Modell einzig und allein das Grundstück und seine Lage zum Kriterium für die Höhe der Besteuerung gemacht werden. Wie viel der Boden tatsächlich wert ist, das wäre damit der Maßstab für eine gerechtere Besteuerung. Die Datengrundlage für dieses Steuermodell liegt bereits vor, weil alle zwei Jahre Gutachterausschüsse in jeder Stadt Richtwerte veröffentlichen, wie viel der Boden an verschiedenen Standorten der Stadt wert ist. Eine Aktualisierung der Gebäude-Gutachten, die für die meisten anderen Reformalternativen notwendig wären, entfiele damit. Das dürfte viel Zeit und vor allem viel Geld für teure Gutachten sparen. Steuerexperten schätzen, dass eine Neubewertung der rund 41 Millionen Wohn- und Gewerbeimmobilien bis zu zehn Jahre dauern würde.
Urteilt das Bundesverfassungsgericht erwartungsgemäß, dürfte das Gericht allerdings nach spätestens zwei Jahren eine Reform in Form eines verabschiedeten Gesetzes erwarten. Der Reformdruck spielt also den Befürwortern der Bodenwertsteuer in die Hände. Die Vorteile auch, findet Ökonom Löhr. "Verlieren würden bei dieser Reformvariante die Eigentümer ungenutzter Grundstücke, die spekulativ gehalten werden, die würden um das Vier- bis Fünffache höher als heutzutage besteuert". Die Gewinner wären nach Löhrs Berechnungen Mieter in Mehrfamilienhäusern, vor allem in Ballungsgebieten. "Deren Steuerbelastung dürfte sich in der Regel halbieren". Aus der Sicht von Dirk Löhr sind das durchaus erwünschte Politikergebnisse, gerade in einer Zeit, wo viele sich um den Zusammenhalt in einer zersplitterten Gesellschaft Sorgen machen.
Bundespolitik verkennt die Dringlichkeit der Bodenbesteuerung
In der deutschen Politik wollen diese Argumente nicht so recht durchdringen. Union und SPD setzen lediglich auf kleine Korrekturen am bestehenden Steuermodell. So wurde im Koalitionsvertrag vereinbart, neben der bestehenden Grundsteuer B für bebaute Flächen eine Grundsteuer C einführen zu wollen. Diese Grundsteuer C würde baureife Brachflächen, die von ihren Besitzern ungenutzt liegen gelassen werden, stärker zur Kasse bitten. Ein richtiger Ansatz, aber nicht konsequent zu Ende gedacht, sagen die Befürworter der Bodenwertsteuer. Denn das Problem der veralteten Bemessungsgrundlage bei der Bestimmung der Grundsteuer bliebe weiter bestehen. Und viele andere Vorteile, die ein Systemwechsel mit sich brächte, blieben ungenutzt. Dass es am Dienstag in Deutschland um etwas geht, das machten Vertreter der rund 11.300 Städte und Kommunen bereits deutlich. Nach der Gewerbesteuer ist die Grundsteuer die zweitwichtigste Einnahmequelle der deutschen Lokalpolitik, mit über dreizehn Milliarden Euro jährlichem Steueraufkommen. Würde diese Einnahmequelle wegbrechen, wären viele Städte binnen kürzester Frist in akuter Geldnot. Was auch immer in Karlsruhe entschieden wird, es hat Gewicht. Vielleicht sogar so viel, dass im oft reformunwilligen Deutschland eine kleine Bodenrevolution möglich wird.