"Genug Gründe für Beitritt"
13. März 2013Deutsche Welle: Seit fast zehn Jahren ist Litauen Mitglied der Europäischen Union. Jetzt soll der nächste Schritt folgen: 2015 möchten Sie den Euro einführen - obwohl die Wirtschaftskrise noch nicht überwunden ist. Warum?
Dalia Grybauskaitė: Wissen Sie, die Wirtschaftskrise ist nicht die Eurokrise. Auch Länder, die nicht den Euro haben, kämpfen mit wirtschaftlichen Problemen - und andersherum: Manche Länder mit Euro haben keinerlei Schwierigkeiten. Es ist doch so: Alle neuen Mitgliedsstaaten haben bei der Aufnahme unterzeichnet, dass sie den Euro so bald wie möglich einführen. So gesehen ist es eine Verpflichtung. Und für Litauen speziell gilt außerdem: Wir haben de facto den Euro bereits, denn unsere Währung ist direkt an den Euro gebunden zu einem festen, starken Kurs. Unsere Geldpolitik hängt also sehr von der Europäischen Zentralbank ab. Wir haben keine eigenen währungspolitischen Instrumente. Die Verpflichtungen und Beschränkungen der Eurozone gelten schon für uns – wir profitieren aber kaum von ihr! Es gibt also genug Gründe, der Eurozone so schnell wie möglich beizutreten.
Die Krise dauert weiter an. Einige Staaten müssen anderen immer wieder finanziell beispringen. Haben Sie Sorge, das System könnte kollabieren?
Es geht ja nicht um den Euro an sich. Es geht um Wirtschaft und Finanzpolitik und politische Verantwortung in einigen Mitgliedsstaaten - die gab es nämlich nicht immer. Man kann den Euro nicht dafür verantwortlich machen, wenn man selbst im eigenen Land außerstande ist, verantwortungsvolle politische Entscheidungen zu treffen.
Sie haben 2009, als die Krise Litauen hart traf, Verantwortung übernommen und harte Sparmaßnahmen verordnet. Sie haben keine Finanzhilfe vom Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragt, sagten sogar: "Länder, die sich nicht selbst helfen können, sind schwach." Warum dieser Weg?
Ich denke, dass Litauen es sehr gut alleine geschafft hat, ohne eine Diktatur von außen. Das ist das, was ich meine: Wenn es politischen Willen gibt und politische Verantwortung, braucht man keine Hilfe. Es geht darum, wie man ein Land managt. Dieser Mangel an Verantwortung ist ganz genau das Problem der südeuropäischen Länder.
Ihr Nachbarland Lettland hat den anderen Weg gewählt und Finanzhilfe beantragt. Heute ist es eines der am stärksten wachsenden Länder Europas. War ihre Entscheidung dennoch richtig?
Als Ökonomin sage ich: je größer der Fall, desto größer natürlich das Wachstum. Es hängt davon ab, auf welcher Basis man es misst. Litauen wächst ebenfalls stark. Aber das ist ein gesundes Wachstum, eben weil unser Fall nicht so tief war wie der von Lettland. Als Politiker eine Entscheidung zu treffen und die gesamte Verantwortung dafür zu übernehmen - das ist etwas, worauf man stolz sein kann. Ich hatte früher schon einmal mit dem IWF zu tun, 1999 nach der Krise in Russland. Und meine Erfahrung damals war, dass einem keiner hilft. Weder IWF, noch irgendein Plan oder Fonds der EU - solange man sein eigenes Land nicht im Griff hat.
Sie haben Südeuropa erwähnt: Spanien, Griechenland - auch diese Länder haben tiefe Einschnitte erlebt. Dort protestierten die Menschen auf den Straßen. Warum war das hier nicht so?
Ich muss sagen: Selbst diese Länder hatten nicht so heftige Einschnitte wie wir! Wir haben die Staatsausgaben um zwölf Prozent gekürzt - wir hatten keine andere Wahl. Die Märkte waren dicht. Und Hilfe, die wir hätten kriegen können, wäre nicht so schnell da gewesen, wie wir sie gebraucht hätten. Deshalb hat die Regierung mit meiner Unterstützung schnelle Entscheidungen gefällt. Natürlich geht es darum, wie man die Leute überzeugt. Man muss bei sich anfangen: Mein Gehalt zum Beispiel wurde um 30 Prozent gekürzt! Auch die Gehälter der Regierung wurden stark beschnitten. Wenn ich die Leute bitte, geduldig zu sein und zu leiden, dann muss ich als Beispiel dienen. Das gilt für jeden Politiker, der an der Macht ist. Es geht nur über das persönliche Beispiel, dann vertrauen dir die Menschen, dann kann man sie überzeugen, ein bisschen länger auszuharren und ihnen versprechen, dass es besser wird. Bei uns hat es nach zwei Jahren gewirkt. Die Gehälter erholen sich langsam wieder. Es geht um das Vertrauen zwischen Politikern und Bürgern.Geht es auch um einen Mentalitätsunterschied?
Manchmal kritisieren wir uns, dass wir zu selbstkritisch sind, zu wenig optimistisch im Vergleich zu den Südeuropäern. Aber das ist nicht der einzige Grund. Das Misstrauen zwischen der politischen Elite und den Bürgern ist seit viel zu langer Zeit in einigen der südeuropäischen Länder gewachsen. Und das hat den Ländern, Gesellschaften und Wirtschaften dort einen ziemlich schweren Schlag versetzt. Hier waren die Leute auch nicht glücklich, aber es war eben notwendig. Und die Sparmaßnahmen haben unserer Wirtschaft geholfen, sich innerhalb von anderthalb Jahren zu erholen. Also mussten wir gar nicht so lange leiden.
Wie sehen Sie die Zukunft des Landes - krisenfrei?
Ich denke, jedes Jahr wird es uns besser gehen. Wir haben 50 Jahre Besetzung überstanden, also überstehen wir auch die guten Jahre - ich scherze gerade ein wenig. Natürlich werden sich einige Dinge verändern. Es hängt sehr davon ab, wer an der Macht ist. Der Populismus im Land wächst, wie fast überall, vermutlich als Folge der wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Die politischen Parteien verlieren an Rückhalt, weil sie es nicht schaffen, sich schnell genug anzupassen, zu verändern. Das frustriert die Leute. Aber da ähnelt sich die Entwicklung fast überall in der Europäischen Union.
Dalia Grybauskaitė ist seit 2009 Präsidentin von Litauen. Zuvor arbeitete sie fünf Jahre lang als EU-Kommissarin für Finanzplanung und Haushalt in Brüssel. Die studierte Volkswirtin gilt in der Bevölkerung als "Eiserne Lady". Im Mai erhält Grybauskaitė den Karlspreis der Stadt Aachen für ihre "bedeutenden persönlichen Verdienste um die europäische Integration und die für Europa beispielgebende Entwicklung ihres Landes."
Das Interview führte Monika Griebeler.
DW-Journalistin Monika Griebeler ist derzeit zu Gast in der Redaktion des litauischen Nachrichtenportals delfi.lt - im Rahmen des journalistischen Austauschprogramms "Nahaufnahme" des Goethe-Instituts. Während dieses Projektes tauschen Journalisten aus Deutschland und anderen europäischen Ländern für einige Wochen ihre Arbeitsplätze. Im Dezember 2012 war die litauische Journalistin Vytenė Stašaitytė zu Besuch bei der Deutschen Welle.