Zwischen Bratwurst und Klimakrise
16. Januar 2020Mehr als 1800 Aussteller aus 72 Ländern - damit steuert die Internationale Grüne Woche, die weltweit wichtigste Landwirtschafts- und Ernährungsmesse, auch 2020 auf Rekordkurs. Am Wochenende reisen aus 70 Ländern die Agrarminister und mehr als 2000 weitere Spitzenvertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu einer agrarpolitischen Konferenz, dem "Global Forum for Food and Agriculture" an. Nicht ohne Grund wird die Grüne Woche auch das "Davos der Agrarwirtschaft" genannt.
Doch der Duft von thüringischen Bratwürsten, peruanischem Kakao und marokkanischem Kaktusfeigenkernöl, der über den 27 restlos ausgebuchten Messehallen in Berlin liegt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich über der Agrar- und Ernährungsbranche dunkle Wolken zusammengezogen haben. "Nie zuvor stand die Grüne Woche so stark im Zeichen der Klimadebatte", sagt Messechef Christian Göke. Viele Aussteller würden in diesem Jahr das gesellschaftliche Bedürfnis nach Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und umweltfreundlichen Produktionsverfahren widerspiegeln.
Ein Kilogramm Hähnchenschenkel für 1,99 Euro
Doch ein Müsli, das 40 Prozent Bananen enthält, die im Handel nicht mehr verkäuflich wären oder Europas erstes Proteinpulver aus Insekten, ein Zero-Waste-Bier, das aus aussortiertem Brot gebraut wird, oder ein Erfrischungsgetränk aus Bio-Zitrusschalen, die aus Saftpressen in Supermärkten oder Bars stammen, sind derzeit noch Nischenprodukte.
Zu lange kannte die Produktion von Lebensmitteln nur eine Richtung: Immer mehr sollte immer billiger hergestellt werden. In Deutschland haben sich die Menschen daran gewöhnt, dass Lebensmittel nicht viel kosten müssen. Statistisch gesehen geben die Bundesbürger nicht einmal zehn Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Der Handel macht es ihnen einfach. Ein Kilogramm Hackfleisch oder Hähnchenschenkel für 1,99 Euro, ein Liter Milch für 70 Cent, ein Brot für weniger als ein Euro - in deutschen Discountern ist das eine Selbstverständlichkeit.
Klare Kennzeichnung fehlt
Klaus Müller, Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, kritisiert: "Wenn jahrzehntelang der Handel, aber auch viele Landwirtschaftsfunktionäre gesagt haben, jedes Stück Fleisch, jedes Obst und Gemüse ist gleich gut, dann haben sie Verbrauchern einen Sinn und auch eine Zahlungsbereitschaft für unterschiedliche Qualitäten aberzogen."
Viele Verbraucher verschließen die Augen davor, dass billig angebotenes Fleisch zwangsläufig aus Massentierhaltung stammen und billiges Obst und Gemüse mit Pestiziden belastet sein muss. Insgesamt werden in Deutschland rund 170.000 Lebensmittelprodukte angeboten. Seit kurzem gibt es beim Fleisch einen Hinweis darauf, ob die Tiere in konventioneller Stallhaltung, mit etwas mehr Platz, oder mit Freilauf gehalten wurden. Eine vierte Kategorie kennzeichnet Bio-Fleisch, das unter anderem artgerechte Haltung und eine Fütterung ohne Antibiotika voraussetzt. Bei Obst und Gemüse gibt es den Unterschied zwischen konventioneller und Bio-Ware.
Motorenöl darf teuer sein, Salatöl nicht
Am Ende fällt die Kaufentscheidung in Deutschland meistens immer noch über den Preis. "Auf der einen Seite zu beklagen, dass das alles nicht vorankommt und auf der anderen Seite schulterzuckend bei drei Cent mehr die Loyalität zu eigenen Überzeugung aufzugeben, das ist schon traurig", kritisiert Christoph Minhoff von der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungswirtschaft.
Der Verbraucher bestimme, ob und wie schnell sich mehr Umweltschutz und bessere Haltungsbedingungen für Tiere durchsetzen würden, betont Minhoff. Was sich nicht verkaufe, werde vom Handel auch nicht angeboten. Die Bundeslandwirtschaftsministerin gibt ihm Recht. Die Einstellung der Konsumenten müsse sich ändern, appelliert Julia Klöckner. "Für ein ordentliches Motorenöl zahlen Autofahrer bereitwillig 40 Euro pro Liter, beim Salatöl sind zwei Euro schon zu viel."
Bauern fürchten um ihre Existenz
Leidtragende sind die Umwelt und die Landwirte. Milchbauern bekommen für einen Liter Milch derzeit nur 32 Cent pro Liter. Laut der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft liegt der Erzeugerpreis bei 44 Cent. Aber nicht nur mit der Tierhaltung, auch auf dem Acker lässt sich immer weniger Geld verdienen. Im letzten Abrechnungsjahr habe es einen Einkommensrückgang von 18 Prozent gegeben, sagt der Präsident des Bauernverbandes, Joachim Rukwied.
Den sinkenden Preisen stehen gestiegene Kosten für Umweltauflagen und gesetzlich vorgeschriebenen Tierwohlstandards gegenüber. Weitere Verschärfungen sieht das Agrarpaket der Bundesregierung vor, das Agrarministerin Klöckner und Umweltministerin Svenja Schulze erarbeitet haben. Es sieht neben Änderungen bei den Direktzahlungen aus den EU-Agrarsubventionen ein staatliches Tierwohl-Label sowie ein Aktionsprogramm Insektenschutz mit Einschränkungen beim Einsatz von Pestiziden und ein Verbot des Pflanzengifts Glyphosat ab 2024 vor.
Mit Traktoren nach Berlin
Viele Bauern wollen das nicht hinnehmen. Sie sehen sich in ihrer Existenz bedroht. Deutschlandweit protestieren sie seit Monaten gegen in ihren Augen unbezahlbare Auflagen. Tausende werden am Samstag mit ihren Traktoren auf einer großen Agrar-Demo in Berlin erwartet. "Das Agrarpaket muss wieder aufgeschnürt werden", fordert auch Bauernverbandspräsident Rukwied, der vor dem Start der Grünen Woche von einer "erheblichen Verunsicherung" unter den Landwirten spricht.
Nur noch ein Drittel der Bauern planten, in ihre Betriebe zu investieren. 3,8 Milliarden Euro sollen es in diesem Jahr sein. "Ich kann mich noch an fünf Milliarden Euro in einem halben Jahr erinnern", so Rukwied. Viele Bauern fragten sich, wie es mit der Tierhaltung weitergehe. "Ein Stall kostet Millionen und sie brauchen 25 bis 30 Jahre, bis der sich amortisiert hat", so der Verbandspräsident, der von der Politik mehr Planungssicherheit fordert.
Wie geht es weiter in Europa?
Doch das setzt Entscheidungen voraus. Auch auf europäischer Ebene. Auf der Grünen Woche will Rukwied als oberster deutscher Bauern-Lobbyist nicht nur mit dem neuen EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski über die zukünftige europäische Agrarpolitik sprechen, sondern auch mit dem stellvertretenden EU-Kommissar Frans Timmermans über den geplanten European Green Deal, der den Klimaschutz in der EU voranbringen will.
"Auch wir Landwirte nehmen die Klimaveränderung wahr und das nicht erst seit diesem oder letzten Jahr", sagt Rukwied. "Die neue Agrarpolitik wird grüner werden und muss das auch, damit wir eine gesellschaftspolitische Akzeptanz bekommen." Bei der künftigen Weichenstellung wollten die deutschen Bauern "mitarbeiten und mitgestalten", verspricht der Verbandspräsident und macht keinen Hehl daraus, dass es bei den Verhandlungen vor allem auch ums Geld gehen wird. "Eine grünere Agrarpolitik ist nur möglich, wenn das Agrarbudget stabil bleibt."