Grüne: Krise beim Parteitag
23. November 2023Eigentlich hatten Bündnis 90/Die Grünen für dieses Wochenende in Karlsruhe einen entspannten Parteitag geplant: Seit fast zwei Jahren ist die Öko-Partei wieder mit an der Macht in Deutschland, nach langen Jahren in der Opposition.
Ihre Regierungsmitglieder, allen voran Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck, gelten in der Partei als unangefochten. Auf der Tagesordnung in Karlsruhe steht die Wiederwahl der Parteispitze, die Amtsinhaber Ricarda Lang und Omid Nouripour sind unumstritten.
Nouripour: "Koalition ist nicht nur ein Erfolg"
Alles gut also, wären da nicht: die extrem angespannte Weltlage und vor allem der Zustand der Regierungskoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und der wirtschaftsliberalen FDP. Ob dieses Bündnis es schafft, bis zur nächsten Bundestagswahl im Herbst 2025 durchzuhalten, ist zur Zeit mehr als offen.
Trotzdem macht Nouripour erst einmal gute Miene zum bösen Spiel. Zwar räumte er zu Beginn der Woche ein, dass die Ampel-Koalition "keine Erfolgsgeschichte von A bis Z" sei.
Aber: "So viele Dinge, für die wir jahrzehntelang gekämpft haben, haben wir jetzt miteinander gemacht." Über Jahrzehnte sei etwa diskutiert worden, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei: "Jetzt gibt es ein Einwanderungsgesetz. Die Diskussion ist vorbei, wir haben gewonnen." Dabei ist die Zuwanderung im immer rauer werdenden gesellschaftlichen Klima zur Zeit eher ein Reizthema.
Von der Euphorie zu Beginn ist wenig übrig
Ende 2021 begannen die Grünen ihre Regierungszeit mit hohen Ansprüchen: Dem Klimaschutz wollten sie auf die Sprünge helfen, das gesellschaftliche Miteinander fördern und eine zuwandererfreundliche Politik machen.
Aber schon kurz nach Beginn der Ampel-Koalition überfiel Russland die Ukraine, schnell sprachen sich die Ministerinnen und Minister der Grünen für Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Die Energiepreise schnellten in die Höhe, Habeck etwa musste das Regime in Katar um Gaslieferungen bitten.
Das komplizierte Gesetz für den Umbau von Gebäudeheizungen in einen umweltfreundlichen Standard misslang, im Sommer stimmte Außenministerin Baerbock dann zum Entsetzen vieler Mitglieder der Grünen einer neuen EU-Regel zu, wonach Asylbewerber aus Ländern mit nur geringer Anerkennungsquote in haftähnlichen Bedingungen an den EU-Außengrenzen festgehalten werden können. Auch in Deutschland selbst wurden die Asylbestimmungen verschärft.
Die Grünen sind von alten Umfragewerten weit entfernt
Und dann kam der Krieg im Nahen Osten, der sprunghaft steigende Antisemitismus in Deutschland, der Siegeszug der Rechtspopulisten von der "Alternative für Deutschland" (AfD), die in den Umfragen mittlerweile deutlich vor den Grünen liegen.
Die Werte der Umweltschutz-Partei liegen zwar stabil bei etwa 14 Prozent, aber von Höhenflügen wie vor etwa zweieinhalb Jahren, als die Zustimmungsraten bei über 20 Prozent lagen, sind die Grünen weit entfernt.
Habeck und der Klimaschutz: Mühsam und frustrierend
Zuletzt kam es dann vor allem für Habeck knüppeldick: Das Bundesverfassungsgericht, ebenfalls in Karlsruhe, verbot der Regierung auf eine Klage der Opposition von CDU und CSU hin, 60 Milliarden Euro an Corona-Hilfen, die nicht mehr benötigt wurden, für den Klimaschutz auszugeben.
Schon zuvor hatte es heftig in der Koalition geknirscht: Vor allem der FDP gehen die Investitionen, die Habeck für eine nachhaltige Zukunft plant, viel zu weit. Habeck gab sich nach der Gerichtsentscheidung geradezu trotzig: "Es fehlt der deutschen Industrie eine große Summe, die Transformation zu bewältigen."
Die Regierung sei kurz davor gewesen, Verträge etwa mit der Stahlindustrie zu schließen, damit diese in Deutschland klimafreundlicher produzieren könne und nicht abwandere. Habeck weiter: "Ich bin nicht bereit, das so zu akzeptieren. Also müssen wir das Geld an anderer Stelle finden." Fragt sich nur, an welcher. Und was SPD und FDP dazu sagen.
Grüne kehren an ihren Gründungsort zurück
Jetzt also der Parteitag. Der Ort ist für die Grünen geschichtsträchtig. 1980 gründete sich die Partei in Karlsruhe, damals ein bunter, wilder Haufen aus Öko-Freaks, Vertretern der Friedensbewegung und Feministinnen, der seinen langen Weg innerhalb des Parteiensystems antrat. Manch ein Beobachter vermutet auch deshalb, auf dem jetzigen Parteitag könnten die Grünen in altes Wunschdenken verfallen und der harten Realität entfliehen.
Omid Nouripour glaubt das nicht: "Wir zielen weiter auf die Breite und werden in Karlsruhe auch ein umfassendes politisches Angebot vorlegen." Es gehe um den Erhalt von Wohlstand, Klimaschutz und Gerechtigkeit in Deutschland. Er erwarte, so der Parteichef weiter, ein Treffen, "das die Hand ausstreckt für die Diskussion, die es braucht, um den Krisen gerecht zu werden." Auf jeden Fall wird es mit vier Tagen einer der längsten Parteitage der Geschichte. Und mit 4000 Anmeldungen auch einer der besucherstärksten.