Grünenthal entschuldigt sich für Contergan
31. August 2012Bei der Einweihungsfeier des wohl ersten Denkmals für die weltweit 10.000 Opfer des Arzneimittelskandals sagte der Geschäftsführer des Pharma-Unternehmens, Harald Stock, es sei bedauerlich, dass Grünenthal nicht viel früher auf die Opfer zugegangen sei. "Darüber hinaus bitten wir um Entschuldigung, dass wir 50 Jahre lang nicht den Weg zu Ihnen, von Mensch zu Mensch, gefunden haben. Stattdessen haben wir geschwiegen."
"Wir wünschten, es wäre nie geschehen"
Tausende schwangere Frauen hatten nach der Markteinführung 1957 das als ungefährlich angepriesene Schlafmittel Contergan geschluckt – vor allem, weil es auch gegen Schwangerschaftsübelkeit half. Doch bald kamen weltweit etwa 10.000 Kinder mit Fehlbildungen vor allem an Armen und Beinen zur Welt. Allein in Deutschland waren 5000 Menschen betroffen. Erst 1961 zog der Stolberger Pharmakonzern das Medikament zurück.
Bislang hatte das Unternehmen in Stellungnahmen immer nur von Verantwortung gesprochen und sein Bedauern ausgedrückt. Das Wort "Entschuldigung" war aber bisher nicht gefallen, da nach früherer Argumentation des Unternehmens darin das Wort "Schuld" enthalten ist. Stock sagte bei der Veranstaltung, dass Grünenthal bei der Entwicklung von Contergan nach dem damaligen Wissensstand und Kenntnisstand gehandelt habe. "Wir wünschten, es wäre nie geschehen." In den vergangenen Jahren habe man bemerkt, wie wichtig Gespräche mit den Betroffenen sein.
Opferverbände sehen im Denkmal eine PR-Maßnahme
In Deutschland leben noch rund 2400 Contergan-Opfer (im Bild der Vorsitzende des Bundes Contergangeschädigter und Grünenthalopfer, Andreas Meyer). Sie sind inzwischen 50 Jahre und älter. Viele von ihnen hätten anstatt eines Denkmals lieber eine Verbesserung ihrer Lebenssituation gesehen. Die Enthüllung der rund 60 Zentimeter hohen Bronzeskulptur, die ein Mädchen mit verkürzten Gliedmaßen darstellt, wurde von Protesten von Betroffenen begleitet. Kritiker aus dem Publikum meldeten sich zu Wort und warfen Grünenthal vor, finanziell viel zu wenig für die Opfer zu tun.
Opferverbände hatten bereits zuvor die Unterstützung des Konzerns für das Denkmal als PR-Maßnahme kritisiert. Der Bundesverband Internationale Contergan/Thalidomid Allianz (ICTA) Deutschland forderte das Unternehmen auf, mit den Opferverbänden über die geforderten Entschädigungen in Millionenhöhe zu verhandeln. Die Contergan-Opfer benötigten ganz konkrete Unterstützung, um ihren Alltag zu bewältigen, und diese Unterstützung werde von Grünenthal verweigert.
1971 war nach langen Auseinandersetzungen eine Stiftung eingerichtet und mit 200 Millionen Mark ausgestattet worden. Das Geld kam jeweils zur Hälfte von Grünenthal und vom Bund. Aus diesem Fonds erhalten die Geschädigten eine Rente. Die Betroffenen haben immer wieder mehr Hilfsleistungen von dem millionenschweren Konzern gefordert.
pg/qu (dpa, dapd, epd, kna)