Grüner Wasserstoff dringend gesucht
5. November 2019Bis auf den letzten Platz und darüber hinaus war das Konferenzzentrum im Berliner Westhafen besetzt, in das vier Ministerien zu einer nationalen Wasserstoffkonferenz eingeladen hatten. 700 Teilnehmer, viele davon aus der Industrie, waren gekommen. Wasserstoff als Energieträger, eine Technologie, die vor mehr als einem Jahrzehnt im Wettbewerb mit der batteriebetriebenen Elektromobilität das Rennen verloren hatte, scheint heute wieder zu mobilisieren.
Das liegt vor allem daran, dass die Energiewende ins Stocken gekommen ist. Deutschland wird seine für 2020 gesteckten Klimaziele verfehlen. Das soll sich 2030 und 2050 nicht wiederholen. Doch wie soll massiv CO2 eingespart werden, ohne den Verkehr und die Wirtschaft lahmzulegen und in den Gebäuden Heizungen und Klimaanlagen auszuschalten? Die Bundesregierung will diese Fragen mit einer Nationalen Wasserstoffstrategie beantworten, die Ende des Jahres vorliegen soll.
Wasserstoff ist nichts Neues
In der Industrie werden derzeit Pläne aus den Schubladen geholt, die fast in Vergessenheit geraten waren. Schon 2003 hatten alle führenden deutschen Automobilbauer Antriebstechnologien auf Wasserstoffbasis so weit entwickelt, dass sie in PKWs passten und funktionierten. Auch in anderen Bereichen waren Möglichkeiten zur Erzeugung, Speicherung und Verwendung des Gases entwickelt worden.
Doch während Länder wie Japan, Südkorea und die Niederlande inzwischen als Vorreiter in Sachen Brennstoffzellen- und Wasserstofftechnologien gelten und ihre nationalen Energiesysteme mithilfe von Wasserstoff umbauen, baute Deutschland Kapazitäten ab. "Wir haben da vielleicht etwas den Anschluss verloren", räumt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer fast ein bisschen reumütig ein.
Das Aschenputtel im Gasgeschäft
Sein bayerischer Parteifreund Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, erinnert sich daran, dass in seiner Heimat bereits Ende der achtziger Jahre ein wasserstoffbetriebener Bus fuhr. "1992 wurde der von der Industrie eingestellt. Wir haben 30 Jahre verloren", stellt Müller bitter fest.
Die sollen nun möglichst schnell wieder aufgeholt werden. "Wasserstoff war so etwas wie das Aschenputtel im Gasgeschäft", sagt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier über den Energieträger, den man auf mehreren Wegen herstellen kann. Am einfachsten durch Elektrolyse, also durch die Aufspaltung von Wasser mit Hilfe von Strom.
Grauer und grüner Wasserstoff
Rund 57 Terawattstunden Wasserstoff wurden 2015 in Deutschland produziert. Ein Großteil wird in Raffinerien und in der Industrie genutzt. Knapp die Hälfte davon zur Herstellung von Ammoniak und Methanol. Weitere 40 Prozent kamen in der Mineralölverarbeitung zum Einsatz. Erzeugt wird der Wasserstoff zum Großteil unter Einsatz von fossilen Rohstoffen. Man nennt ihn in diesem Fall "grauen" Wasserstoff. Im Gegensatz zu "grünem" Wasserstoff, der mit erneuerbaren Energien erzeugt wird.
Davon gibt es in Deutschland eine ganze Menge. Strom aus Windkraft gibt es gerade im Norden der Republik, wo die meisten Windräder stehen, im Überfluss. Auf lange Sicht wird das aber nicht reichen, um den Bedarf zu decken. Entwicklungsminister Gerd Müller setzt daher auf eine Energiepartnerschaft mit Afrika. Dort scheine die Sonne an 365 Tagen im Jahr. Die Energiewende habe internationale Dimensionen, zudem sei es eine Möglichkeit, die Armut in Afrika zu bekämpfen. "In den nächsten zehn Jahren müssen dort 200 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen."
Wasserstoff, aber auch künstlicher Kraftstoff
In Solarkraftwerken könnte Strom gewonnen werden, mit dem zum einen Wasserstoff hergestellt werden könnte, aber auch der künstliche Kraftstoff Methanol. Die Technologie, so Müller, komme aus Deutschland. Ein Anfang werde derzeit in Marokko gemacht, wo bereits ein großes Solarkraftwerk steht. "Wir haben dazu eine Kooperation mit Marokko unterzeichnet und das Ziel ist, bereits 2020 in die Produktion für Methanol zu kommen." In Marokko werde die Kilowattstunde Strom für umgerechnet zwei Cent produziert. "Damit ist das Methanol, das wir produzieren werden, marktfähig."
Die Herstellung von CO2-neutralem Wasserstoff biete für Deutschland große industriepolitische Chancen, betont auch Wirtschaftsminister Altmaier. "Diese müssen wir nutzen und bereits heute die Weichen dafür stellen, dass Deutschland bei Wasserstofftechnologien die Nummer 1 in der Welt wird."
60.000 Autos bis 2022
Verkehrsminister Scheuer setzt darauf, dass Wasserstoff auch in der Automobilbranche vermehrt zum Einsatz kommt. Seine Zielmarke bis 2022 beziffert er mit 60.000 Wasserstoff-Autos. "Jetzt muss die Automobilindustrie bezahlbare Fahrzeuge auf den Markt bringen und den Menschen zeigen, dass die Technik zuverlässig funktioniert."
Ein Blick zurück zeigt, dass man das auch früher hätte haben können. 2010 versprachen acht große Automobilhersteller, darunter auch Daimler, bis 2015 rund einhunderttausend PKW mit Brennstoffzellenantrieb auf die Straße zu bringen. Die Technologie war zu dieser Zeit fast serienreif.