Guinea-Bissau: Niederlage für die Pressefreiheit
27. April 2022Tagelang blieb der guinea-bissauische Radiosender Rádio Jovem (RJ) stumm. Keine Informationen, keine Nachrichten. Er war nicht der einzige: Guinea-Bissaus Regierung schloss Anfang April landesweit 79 Radiosender, nachdem eine plötzlich gesetzte Frist von 72 Stunden zur Zahlung der Lizenzgebühren abgelaufen war.
Für viele wirtschaftlich ohnehin angeschlagene Sender in dem westafrikanischen Staat war das nicht zu leisten. Von den insgesamt 88 offiziell angemeldeten Radiostationen seien nur neun beim Ministerium für soziale Kommunikation vorstellig geworden, um zu zahlen. Wer ohne die Gebühren zu begleichen "heimlich" weiter sendet, dem drohen bis zu drei Jahre Gefängnis.
Guinea-Bissaus Journalisten sind verzweifelt: Das schwarze Loch für Informationen in dem westafrikanischen Land wird immer größer. Augusto Mário da Silva, Präsident der Guineischen Liga für Menschenrechte (LGDH), forderte die sofortige Rücknahme der Entscheidung und beschuldigte die Regierung, sich in die redaktionelle Arbeit der Medien einmischen zu wollen. "Der Entscheidung, die Radiosender zwangsweise zu schließen, liegt kein Schutz des öffentlichen Interesses zugrunde."
Beseitigung des demokratischen Rechtsstaates?
Die Regierung wolle vielmehr ein diktatorisches Regime errichten - "mit dem Ziel, alle Grundrechte und -freiheiten zu beseitigen, die in unablässigem Kampf für die Demokratie im Lande errungen wurden", so da Silva. Die Regierung ziele darauf ab, "den demokratischen Pluralismus zu beschneiden und den Bürgern ihre verfassungsmäßig garantierten Grundfreiheiten zu nehmen".
Auch die Afrikanische Partei für die Unabhängigkeit von Guinea und Cabo Verde (PAIGC) verurteilte die Senderschließung. Sie rief die Zivilgesellschaft des Landes dazu auf, "technische, rechtliche oder andere Unterstützung für die Wiederherstellung und den Betrieb aller Radiostationen und aller Medien" zu leisten, um "die politischen und bürgerlichen Freiheiten" sowie das Recht auf Information und Meinung zu erhalten und zu festigen.
Laut dem guinea-bissauischen Rechtsexperten Cabi Sanhá handelt die Regierung "in einem rechtlichen Vakuum". Zwar gebe es ein Gesetz, doch das stütze sich lediglich auf ein zwar geplantes, aber nie beschlossenes Rundfunkrecht, erläutert Sanhá im DW-Gespräch. "Es ist schwer zu verstehen, wie die Regierung mit nur einem Wimpernschlag beschlossen hat, die Radiosender zu schließen. Das ist wirklich besorgniserregend."
"Drastisch, absurd, illegal"
Die Informationsfreiheit in Guinea-Bissau hänge am seidenen Faden, sagt auch der Generalsekretär der Gewerkschaft der Journalisten und Medientechniker (SINJOTECS), Diamantino Domingos Lopes. "Das Schließen der Radiostationen bedeutet, dass wir im Kampf um die Pressefreiheit eine weitere Niederlage erlitten haben."
Nach Angaben des Gewerkschafters müssen Radiostationen für eine Sendelizenz jährlich rund 400 Euro jährlich zahlen - viele Sender könnten diesen Betrag aber nicht aufbringen. Sie hätten bereits mit technischen und finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen und seien oft nicht einmal in der Lage, die Gehälter ihrer Mitarbeiter zu zahlen, so Lopes im DW-Interview.
Auch seiner Ansicht nach hatte die Regierungsentscheidung, die Sender nach Ablauf der 72-Stunden-Zahlungsfrist zu schließen, keine Rechtsgrundlage. "Vielleicht wollen sie der Gesellschaft Informationen vorenthalten. Wenn es keine Informationen gibt, gibt es Desinformation, und die Folgen sind sehr verheerend."
Politische Krisen an allen Enden
Guinea-Bissau wird seit seiner Unabhängigkeit 1974 von politischer Instabilität geplagt. Mangelnde Wirtschaftsentwicklung, Armut, anhaltende Gewalt und Einschüchterung politischer Gegner prägen das Land in der Folge. Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2021 belegt Guinea-Bissau Platz 162 von 180.
Die ehemalige portugiesische Kolonie hat seit 1980 mehr als ein Dutzend Putsche oder Putschversuche erlebt. Zuletzt gab es im Februar einen erfolglosen Versuch, den umstrittenen Präsidenten Umaro Sissoco Embaló mit Gewalt zu entmachten. Wie die portugiesische Nachrichtenagentur Lusa berichtet, sind nun Truppen der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) in Guinea-Bissau eingetroffen, um das fragile Land nach dem Putschversuch vom Februar zu stabilisieren.
Der politische Stillstand des westafrikanischen Staates habe die Medien und die Journalisten geschwächt, sie anfällig für politischen Druck gemacht, und zu einer zunehmenden Einmischung der Regierung in die staatlichen Medien geführt, so Reporter ohne Grenzen. Das Recht auf Zugang zu Informationen sei nicht gewährleistet, Journalisten zensierten sich mittlerweile selbst. Einige seien ins Ausland geflohen, um Angriffen, Drohungen und Einschüchterungen zu entgehen.
Angriffe auf Medien und Kritiker
Wie groß der Druck auf Journalisten ist, zeigt ein Beispiel kurz nach dem missglückten Putsch Anfang Februar. Zum wiederholten Mal besetzten bewaffnete Anhänger von Präsident Embaló den Hauptsitz des staatlichen Rundfunks und Fernsehens Radio Capital FM, zerstörten Büros und verletzten fünf Mitarbeiter. Sie beschuldigten Radio-Capital-Journalisten der "Voreingenommenheit" zugunsten von Embalós Rivalen. Einige Monate später griffen Bewaffnete einen anderen regierungskritischen Radiosender an und zerstörten dessen Sendeanlage.
Der politische Analyst Rui Landim, ein bekannter Kritiker der Regierung und Moderator bei Radio Capital FM, wurde nachts von bewaffneten und vermummten Männern in seinem Haus attackiert. Die Regierung verurteilte die Angriffe und versprach, die Vorfälle zu untersuchen. Nach Aussagen von Landim trugen die Angreifer Uniformen der Polizei-Schnelleingreiftruppe. Der Moderator vermutet daher die Regierung und den Präsidenten hinter dem Angriff.
Journalisten zum Schweigen bringen
Medien spielten eine große Rolle bei der Lösung von Problemen und Journalisten mundtot zu machen, nutze nur denen, die Kritik unter den Teppich kehren wollten, kritisiert Mediengewerkschafter Lopes.
Doch Guinea-Bissau habe seine Unabhängigkeit und mit ihr die Presse- und Meinungsfreiheit mit viel Schweiß errungen. "Dem Land diese Freiheit zu nehmen, wäre schlimmer als das, was die Kolonialisten taten." Er und andere Journalisten hoffen nun, dass die Regierung in Bissau zu einem Kompromiss bereit ist, um, wie sie sagen, das Überleben der Radiosender und somit der Pressefreiheit in Guinea-Bissau zu garantieren.
Mitarbeit: Iancuba Dansó (Bissau), Inês Cardoso, Cristina Krippahl