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Gute Spekulanten, schlechte Spekulanten

Janosch Delcker, New York14. April 2013

Kritiker nennen sie "Hungertreiber". Spekulanten, die mit Nahrungsmitteln handeln, haben keinen guten Ruf. Doch das Geschäft mit den Rohstoffen hat eine lange, weitgehend unbekannte Geschichte.

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Korn liegt auf einem Ein-Dollar-Schein. (Foto: FOTOLIA)
Bild: Schlierner/Fotolia

Wie eine Festung steht die Warenterminbörse New York Mercantile Exchange (NYMEX) an der Südspitze Manhattans. Auf dem Parkett hinter der unscheinbaren beigefarbenen Fassade werden neben Baumwolle und Erdöl auch Nahrungsmittel wie Kaffee, Kakao oder Zucker gehandelt. Doch die NYMEX hat ein Problem. Denn während der letzten Jahre sind die Spekulationen mit Lebensmitteln in Verruf geraten. Das Zocken mit Nahrung sei unethisch, sagen Kritiker. Banken und Fonds, die mit Lebensmittelpreisen spekulieren, werden als "Hungermacher" bezeichnet.

Dabei sind Lebensmittelspekulationen kein neues Phänomen. "Sie gehen zurück bis zu den alten Römern und Griechen", sagt Kara Newman. Die New Yorker Autorin hat 2012 das Buch "Das geheime Finanzleben des Essens" veröffentlicht. Ursprünglich erfüllten Spekulationen eine Art Schutzfunktion, sagt Newman: "So konnte der Produzent sein Produkt absichern und sich vor Katastrophen oder Nahrungsüberschuss in der Zukunft schützen."

Lebensmittel-Blasen

Durch sogenannte "Terminkontrakte" oder "Futures" verpflichten sich Produzenten und Abnehmer, zu einem Zeitpunkt in der Zukunft bestimmte Mengen an Waren zu liefern, beziehungsweise abzunehmen. Allerdings kann niemand voraussehen, ob sich bis dahin die Preise ändern. Genau hier springen Spekulanten ein, die das Risiko auf sich nehmen. Tauchen Preisschwankungen auf, haften die Spekulanten. Natürlich hoffen sie darauf, mit Gewinn aus dem Geschäft herauszugehen.

Autorin Kara Newman, die ein Buch geschrieben hat zum geheimen Finanzleben von Essen (Foto: DW/Janosch Delcker)
Autorin Kara Newman: "Nahrungsmittelspekulationen schon bei den Griechen und Römern"Bild: DW/J. Delcker

Lange Zeit galten die Nahrungsmittelmärkte als stabil. Doch allein während der letzten fünf Jahre stiegen die Lebensmittelpreise zweimal zunächst rapide, dann fielen sie drastisch. Beobachter sprachen von Lebensmittel-Blasen. Woher kommen diese Preisschwankungen?

Regeln, die keine mehr sind

Mitten in Manhattan liegt die Zentrale der Anti-Hunger-Organisation "Why Hunger". Im Jahr 2008 wurden die Aktivisten auf die ungewöhnlichen Preisschwankungen auf den Lebensmittelmärkten aufmerksam, erzählt Mitarbeiterin Siena Chrisman: "Unsere Experten sagten uns, die Gründe dafür lägen in einer Deregulierung des Rohstoffmarkts und einer neuen, extremen Form der Spekulation."

Früher wurden Rohstoffe und Nahrungsmittel in den USA ausschließlich auf den Parketten der zwei großen Terminbörsen in New York und Chicago gehandelt. Doch mittlerweile sind viele der alten Regeln außer Kraft gesetzt. Für die Beobachter begann das im Jahr 1991: Mit der Einführung eines sogenannten "Commodity Indexes" fing die Industrie an, für Rohstoffanlagen zu werben. Seitdem wurde der Markt schrittweise für privates Kapital geöffnet.

Rohstoffhandel ähnlich wie bei Aktien

"Wir hatten das große Glück, dass sogenannte ETFs eingeführt wurden, börsengehandelte Fonds, die in Rohstoffe investieren", sagt George Gero. Er ist Händler beim Vermögensverwalter RBC mit über dreißig Jahren Erfahrung an der NYMEX.

Siena Chrisman von der Organisation Why Hunger (Foto: DW/Janosch Delcker)
Aktivistin Siena Chrisman: "Extreme Spekulation ist Schuld an Schwankungen"Bild: DW/J. Delcker

Im Prinzip können durch ETFs Rohstoffe ähnlich gehandelt werden wie Aktien oder Anleihen. Seit 2004 der erste Rohstoff-ETF eingeführt wurde, ist ihre Zahl mittlerweile auf Hunderte gestiegen. George Geros Büro befindet sich im 33. Stock eines verglasten Hochhauses in Midtown Manhattan. Über seinem Schreibtisch hängt der postergroße Druck eines Fotos. Es zeigt ihn auf dem Parkett der NYMEX inmitten einer aufgescheuchten Menge von Händlern im Jahr 1985.

Es wirkt wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Denn obwohl nach wie vor ein kleiner Teil vor Ort auf Zuruf stattfindet, findet ein Großteil des Handels mittlerweile elektronisch statt. Dadurch, und einhergehend mit der Öffnung der Märkte, wurde die Zahl der Spekulanten im Terminhandel immer größer.

Vor allem beim privat arrangierten Handel sei es schwierig, an Informationen zu gelangen, sagt Lucas Bernard: "So bekommen die Transaktionen ein Eigenleben." Der Volkswirt unterrichtet am City College of Technology der New Yorker City University. Ende letzten Jahres hat er gemeinsam mit zwei anderen Ökonomen ein Modell zum Rohstoffhandel entwickelt. Darin sprechen sie von der "Finanzialisierung" des Rohstoffmarkts. Das bedeutet, der Handel von Rohstoffen folge nun den Gesetzmäßigkeiten der Finanzmärkte.

Der Markt ist unruhig geworden

Einige der wichtigsten Anleger in Rohstoffmärkten sind mittlerweile große Akteure wie Altersvorsorgefonds und Pensionskassen. Aufgeschreckt durch die globale Wirtschaftskrise seit 2007 suchten sie Schutz vor den Risiken der Aktien- und Anleihemärkte und investierten vermehrt in Rohstoffe, deren Markt als vergleichsweise ruhig galt.

Händler George Gero, der am New York Mercantile Exchange arbeitet (Foto: DW/Janosch Delcker)
Händler George Gero: "Börsengehandelte Rohstoff-Fonds waren unser Glück"Bild: DW/J. Delcker

Doch auch dieser einst verhältnismäßig überschaubare Markt ist unruhig geworden. Und so haben einige Investoren das Interesse an den Rohstoffmarkten schon wieder verloren: Laut der US-Wirtschaftszeitung "Wall Street Journal" haben Investoren wie US-Pensionsfonds und andere Institutionen in den vergangenen zwei Jahren fast zehn Milliarden Dollar aus handelbaren Indizes herausgezogen, die mit Rohstoffen verknüpft sind. Beispielsweise hat Calpers, der größte Pensionsfonds der USA, im Oktober 55 Prozent seiner Anlagen in Rohstoffindizes verkauft.

Verantwortlich für den Hunger?

Wie kaum ein anderes Finanzprodukt steht der Handel mit Rohstoffen, vor allem mit Nahrungsmitteln, in der Kritik. "Studien von Volkswirten des Massachusetts Institut für Technologie, der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und der UN haben eine Verbindung festgestellt zwischen den Rohstoffspekulationen und den starken Preisschwankungen bei Lebensmitteln", sagt Aktivistin Siena Chrisman von "Why Hunger".

Damit äußert sie eine weit verbreitete Kritik. Zwar bestreiten auch die Kritiker nicht, dass viele Faktoren zu steigenden und fallenden Lebensmittelpreisen beitragen. Das sind zum Beispiel gute oder schlechte Ernten, Ölförderung, steigende und fallende Nachfrage oder auch ganz schlicht das Wetter. Die starken Schwankungen würden jedoch von Spekulationen verursacht.

Volkswirt Lucas Bernard von der City University of New York (Foto: DW/Janosch Delcker)
Volkswirt Lucas Bernard: "Transaktionen bekommen Eigenleben"Bild: DW/J. Delcker

Der endgültige Nachweis fehlt

Es gibt auch andere Stimmen. Im Dezember letzten Jahrs hatten 40 deutsche Professoren in einem offenen Brief die Ansicht vertreten, ein Zusammenhang zwischen Spekulationen und Preisschwankungen auf dem Nahrungsmittelmarkt sei wissenschaftlich nicht erwiesen. Eines ist aber unbestritten: Einige der heutigen Investoren auf dem Rohstoff-Markt haben nur noch wenig mit der ursprünglichen Funktion von Spekulanten zu tun.