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Politik

Zwischen Selbstzensur und Political Correctness

Alexander Görlach
28. Mai 2019

Was eine Gesellschaft wahrnimmt und wie sie fühlt, wird nicht zuletzt beeinflusst durch ihre Sprache. Deswegen hat es schon immer Versuche gegeben, Sprache und damit das Denken zu lenken, meint Alexander Görlach.

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Zitattafel Prof.  Dr. Alexander Görlach
Bild: DW

Die direkte Konsequenz des Rechts auf Meinungsfreiheit ist die freie Rede. Denn was nutzt einem die Freiheit der Gedanken, wenn man sie nicht äußern kann? Zugleich wissen wir, dass zwischen dem, was man den ganzen Tag lang denkt, und dem, was man durch die Prozedur des Sprechens schärft und am Ende dem "Gehege der Zähne entfleuchen" lässt (Homer), ein Unterschied besteht.

Die sprichwörtliche "allmähliche Verfassung der Gedanken beim Reden”, in Heinrich von Kleists gleichnamigem Essay weist auf diesen elementaren Zusammenhang hin: dass nämlich Sprechen, Denken und Bewusstsein miteinander verknüpft sind. Was man sagt, legt offen, was man denkt und wie man die Welt sieht. Nicht alles Gedachte ist bereits spruchreif und schon die Lateiner wussten, dass Schweigen aus einem Menschen einen Philosophen machen kann, wie es im "Trost der Philosophie" bei Boethius heißt.

Ein erbitterter Streit seit Jahren

Was kann und darf man also sagen, und was sollte man für sich behalten? Darüber tobt seit Jahren in vielen Demokratien der Welt ein erbitterter Streit. Zunächst einmal ist ein Innehalten in Dankbarkeit angebracht: Es ist großartig, dass wir, die in der freien Welt leben, das Privileg haben, unumschränkt denken und sprechen zu können.

Den Menschenrechten ist längst nicht überall auf der Welt zum Durchbruch verholfen. Als wäre das noch nicht schlimm genug, haben die despotischen Gegner der Freiheit an vielen Orten zum Sturm auf die freie Welt geblasen: Sie feuern, meist online, Streit an und überhitzen Debatten mit Absicht. Der Preis der Freiheit, sei - wie es Thomas Jefferson zugeschrieben wird - ewige Wachsamkeit. Wenn wir uns also in Konflikten über die freie Rede zerreiben, freuen sich am Ende nur die Feinde der Freiheit. Gleichzeitig wissen wir alle, dass unreif Gesprochenes Freundschaften strapazieren, Beziehungen beenden und Familienmitglieder beleidigen kann. Von daher gilt es, die Worte gut zu wählen, die wir äußern - um des lieben Friedens Willen, der so leicht gestört werden kann.

Symbolbild Frau mit geschlossenen Augen und Plaster auf dem Mund
Nicht ohne Grund hat sich die Redensart "Schweigen ist Gold" bis in unsere Tage gehaltenBild: picture-alliance/blickwinkel/McPhoto

Denn jedes freiheitliche Gemeinwesen ist vom Kompromiss abhängig, von einem Zustand, der im Diskurs errungen wird. Daher entsteht Öffentlichkeit auch nur da, wo Menschen sich über eine Sprache und ihre Verwendung ins Benehmen setzen. Innerhalb der sprachlichen Korridore, über die Konsens errungen wird, können dann die anstehenden Themen und Streitpunkte diskutiert werden. Im Über-das-Ziel-hinaus-Schießen kann Innovatives und auch Kathartisches liegen. Gleichzeitig leben Sprachgemeinschaften aber auch von den Tabus, die sie sich geben.

All das ist nicht neu, aber dennoch herrscht hierüber derzeit Verwirrung, weil die Welt der Kommunikation in Bewegung geraten ist: Es gibt zum einen eine Pluralisierung der Stimmen, die auf dem Aufbruch alter Milieus und ihrer eingespielten Sprachverwendung resultiert. Zum Anderen sind die drängenden Fragen der Gegenwart nicht mehr vollumfänglich mit den Konsensen der Vergangenheit zu verstehen und zu bewältigen. Guter Rat ist in dieser Gemengelage also nicht selten teuer.

In Deutschland und den USA haben nun Erhebungen gezeigt, dass Menschen aller Altersgruppen und Schichten von bestimmten Themen daher lieber die Finger lassen, sich also eher selbst zensieren, als sie anzugehen. Oder aber sie haben die Nase voll von "Sprachlenkung", also von Regeln, die ihnen zur Verwendung bestimmter Begriffe von außen nicht nur empfohlen, sondern geradezu aufgedrückt erscheinen. In den USA wird diese sogenannte "Political Correctness” (PC) von der breiten Mehrheit abgelehnt, in Deutschland, so das Institut für Demoskopie Allensbach, werden Themen wie Flüchtlinge und Patriotismus im Gespräch mit Verwandten und Arbeitskollegen streng gemieden.

Selbstzensur ist eigene Wahl und Freiheit

Die beiden Phänomene sind zu unterscheiden: Eine Selbstzensur ist nicht wünschenswert, sie ist aber immer noch Ausdruck der eigenen Wahl und Freiheit. Denn man muss nicht jederzeit und in jeder Situation mit jedem eine Diskussion über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung beginnen. Es kann klug im Sinne Boethius' sein, auch einmal zu schweigen. Sprachlenkung hingegen öffnet immer die Tür einen Fußbreit ins Totalitäre. Denn hier ist die Frage ja, wer eine bestimmte Verwendung von Sprache vorschreibt und wer sie sanktioniert. In der Diktatur Francos war es den Basken verboten, ihre Sprache zu sprechen. Zum kulturellen Selbstausdruck, zur Identität gehört nichts so sehr wie die Sprache. Wer sie verbietet, verbietet auch den Menschen, der sie spricht. In der zunehmend polarisierten Welt nehmen sich die beiden großen Lager nicht viel, die etwas grob als "nationalistisch" und "kosmopolitisch" oder als "konservativ" und "liberal" bezeichnet werden. Beide definieren die In-Gruppe genauso minutiös, wie die Gruppe jener, die nicht dazu gehören. Und es wird sehr schnell ausgeschlossen, wer sich dem neuen Code nicht umgehend anschließt. 

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Alle denken das Gleiche - für viele Gruppen und Staaten der ideale und erstrebte Zustand

Gleichzeitig ist wahr, dass man die Wahrnehmung und das Bewusstsein einer Gesellschaft nur dann ändern kann, wenn man mittels der Sprache das Denken ändert. In diesem Sinne werden heute junge, unverheiratete Frauen nicht mehr "Fräulein" genannt, um sie so allein auf ihren "Wert" auf dem "Eheschließungsmarkt" zu reduzieren. Wer könnte nach dem Nachdenken über diesen Sprachwandel nicht nicken und zustimmen? Denn Sprache bildet immer unsere Vorurteile und unsere Werturteile ab. Und Sprache ist immer im Wandel. Und dieser Wandel verläuft stets kontrovers. Gegen manche Formen kann und muss man sich wehren, andere hingegen sollte man willkommen heißen.

Ein Wolf im Schafspelz

Der Furor, mit dem heute auf beiden Seiten des Atlantik gegen die sogenannte "politische Korrektheit" gewettert wird, scheint angesichts des Versuchs der Sprachlenkung gerechtfertigt, ist aber ein Wolf im Schafspelz: Ziel des Sprechens ist die Verständigung, der Kompromiss. Den wollen die Populisten, welche die schärfsten Gegner von PC sind, aber in keiner Weise! Ihr Geschäft ist das Ressentiment. Das setzt nicht auf Empathie, was ja das Verstehen des Anderen bedeutet. Umgekehrt gibt es im anderen Lager, bei den so genannten "Liberalen" ebenfalls Stilblüten, die keinen Bestand vor Verstand und Geschichte haben. Die sogenannte "Bibel in gerechter Sprache", welche die Evangelische Kirche in Deutschland vor einigen Jahren herausgebracht hat, ist ein solcher Rohrkrepierer. In vergangenen, biblischen Zeiten gab es eben keine Gleichberechtigung der Geschlechter, Steinigungen waren an der Tagesordnung - die Bibel ist voll von horrenden Erzählungen. Das wird aber nicht besser, wenn das wegretuschiert und durch eine Übersetzung nivelliert wird, die nichts mit dem Urtext mehr zu tun hat. Solche alten Texte muss man aushalten, kommentieren und so in einen Kontext stellen.

So richtig dies ist, ist aber auch die Aussage, dass es kein Privileg auf Fortsetzung von Diskriminierung gibt, nur weil das früher, in einer angeblich besseren Zeit, un-sanktioniert möglich war. Das krakeelen ja die Populisten dieser Welt und ernten dafür Zuspruch. Homosexuelle sind keine "Schwuchteln" und Schwarzafrikaner keine "Neger". Dass solche Beschimpfungen früher üblich waren, sollte den PC-Hassern unserer Tage eher die Schamröte ins Gesicht treiben, als lauthals darauf zu pochen, dass man das doch noch werde sagen dürfen.

Alexander Görlach ist Senior Fellow des Carnegie Council for Ethics in International Affairs und Senior Research Associate an der Universität Cambridge am Institut für Religion und Internationale Studien. Der promovierte Linguist und Theologe war zudem in den Jahren 2014-2017 Fellow und Visiting Scholar an der Harvard Universität, sowie 2017-2018 als Gastscholar an der National Taiwan University und der City University of Hong Kong. Von ihm ist jüngst im Verlag Herder erschienen: "Homo Empathicus. Von Sündenböcken, Populisten und der Rettung der Demokratie".

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