Härtetest Trump: Wären Deutschland und die EU vorbereitet?
24. Januar 2024Donald Trump hat die Vorwahlen der Republikaner in New Hampshire für sich entschieden. Damit steigt noch einmal die Wahrscheinlichkeit, dass bei den Präsidentschaftswahlen im November Amtsinhaber Joe Biden und Ex-Präsident Trump gegeneinander antreten – so wie schon 2020. Dabei geben nicht nur Umfragen Donald Trump eine reelle Chance, das Weiße Haus zurückzuerobern. Die New York Times gewann aus Gesprächen mit Politikern und Firmenchefs am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos den Eindruck, die Eliten der Welt rechneten bereits mit einem Sieg Trumps. Für viele in Europa ein Schreckensszenario.
Je näher ein möglicher Wahlsieg Donald Trumps rückt, desto warnender werden die Stimmen des europäischen Spitzenpersonals: Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank, sah in einem Interview mit dem Sender France 2 in der möglichen Wahl Donald Trumps eine "klare Bedrohung" für Europa. Belgiens Premierminister Alexander De Croo warnte Mitte Januar in einer Rede vor dem Europaparlament: "Wenn 2024 'America First' zurückbringt, wird Europa mehr denn je auf sich allein gestellt sein." Der ehemalige schwedische Ministerpräsident Carl Bildt rechnet in einem Papier der Denkfabrik European Council on Foreign Relations, ECFR, mit weitreichenden globalen Konsequenzen bei einer Wiederwahl Trumps. "Die USA würden ihre Klimapolitik aufgeben und ihre Investitionen in fossile Brennstoffe ausweiten. Die NATO würde - bestenfalls - ruhen. Es gäbe behagliche Treffen Trumps mit den Kumpels Putin und Orbán. Handelskriege würden sich verschärfen."
Militärische Fähigkeiten stärken - und die Wirtschaft!
Die Frage ist also: Wie sich vorbereiten auf das Szenario Trump 2.0.? Sudha David-Wilp denkt da zuerst an militärische Fähigkeiten. "Europa muss zu einem starken Akteur werden, militärisch, in einem konventionellen Sinne und in der Lage sein, sich um Sicherheitsfragen in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zu kümmern", sagt im DW-Interview die Direktorin des Berliner Büros des German Marshall Funds. Die Denkfabrik wird unter anderen von der US-Regierung, der deutschen Regierung und der EU-Kommission finanziert. Daneben müsse Europa auch wirtschaftlich stark werden, um sich auf mögliche protektionistische Maßnahmen einer zweiten Trump-Administration vorzubereiten.
Der Bundestagsabgeordnete Jürgen Hardt fürchtet, Deutschland sei schlecht auf eine zweite Amtszeit von Donald Trump vorbereitet. Der außenpolitische Sprecher der oppositionellen CDU/CSU-Fraktion kritisiert gegenüber der DW: "Wir haben in den letzten drei Jahren viel zu wenig getan, um Joe Biden dabei zu helfen, zu beweisen, dass sein kooperativer Stil mit Europa erfolgreicher ist als der konfrontative Stil Trumps. Wir haben weder versucht, gemeinsam eine China Strategie zu entwickeln, noch haben wir uns bei unseren Verteidigungsausgaben an die Absprachen gehalten. Da hat sich erst unter dem Druck des Ukraine-Krieges etwas bewegt."
Gerade in Bezug auf die Ukraine sind die Befürchtungen vor einer zweiten Amtszeit groß. Von Donald Trump ist Widersprüchliches zu hören. Das Spektrum ist breit: Versprechungen, er werde als Präsident den Ukraine-Krieg innerhalb eines Tages beenden; Drohungen, er werde die Ukraine-Hilfe komplett einstellen; Ankündigungen, Kiew mehr zu geben, als es je bekommen habe. Sudha David-Wilp sieht die Lage nüchtern, verweist auf die parteiübergreifende Unterstützung für die Ukraine - auch wenn die Begeisterung in den Reihen der Republikaner im Repräsentantenhaus schwindet. Zugleich warnt David-Wilp: "Unabhängig davon, wer im November gewinnt - ich glaube, die meisten Amerikaner sind der Meinung, dass Europa einen größeren Teil der Last schultern sollte, wenn es um militärische Hilfe und den Wiederaufbau der Ukraine geht. Weil sie auf dem europäischen Kontinent liegt."
Gestörtes Verhältnis zur NATO
Sorgen bereitet in europäischen Hauptstädten auch Trumps Verhältnis zur NATO. Während seiner ersten Amtszeit hatte er sich nur mühsam davon abhalten lassen, aus dem westlichen Verteidigungsbündnis auszutreten. EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton verstärkte kürzlich die Verunsicherung, als er vor dem Europaparlament eine aufschlussreiche Anekdote erzählte: Demnach habe Trump als US-Präsident 2020 EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Gespräch erklärt, "wenn Europa angegriffen wird, werden wir niemals kommen, um euch zu helfen und zu unterstützen". Vier Jahre vermeidet Trump in dieser Frage eindeutige Zusicherungen. Mitte Januar entgegnete Trump auf die Frage, ob er im Falle eines Wahlsieges europäische NATO-Partner militärisch unterstützen würde: "Es hängt davon ab, ob sie uns angemessen behandeln. Betrachten Sie es mal so: Die NATO hat unser Land ausgenutzt. Die europäischen Länder haben daraus Nutzen gezogen."
Für Josef Braml passt das ins Bild. Gegenüber der DW erklärt der USA-Experte: "Trump betrachtet Europa als Feind: 'They are worse than the Chinese', lautete sein O-Ton, 'Sie sind schlimmer als die Chinesen!'. In dieser neuen Weltordnung gibt es nur eine einzige Chance: Europa muss als ein geschlossener Akteur auftreten!" Wie aber im vielstimmigen Chor der Europäer mit ihren vielen Einzelinteressen für Einigkeit sorgen? Braml setzt auf Geld: "Jetzt muss man größer denken – und in Europa gemeinsam Schulden machen, die Einzelstaaten finanziell unterstützen und ihnen im Gegenzug Bedingungen stellen."
Sorge um nuklearen Schutzschirm
Für Braml hätte ein gemeinsamer europäischen Schuldentopf einen weiteren Vorteil: "Mit Geld aus einem gemeinsamen europäischen Schuldentopf könnten wir uns auch eine eigene Verteidigung leisten. Aktuell zahlen wir den Amerikanern Tribut. Zum Beispiel kaufen wir in den USA den Kampfjet F35, damit wir weiter nuklear teilhaben dürfen. Aber was ist die nukleare Teilhabe wert, wenn Trump erneut ins Weiße Haus einzieht? Wir sollten uns jetzt darauf vorbereiten und uns mit Frankreich und Polen auf umfangreichere militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit verständigen, die auch andere europäische Länder mitzieht."
Ein Szenario, nachdem Donald Trump Europa den atomaren Schutzschirm entzieht, hält der CDU-Politiker Hardt für unrealistisch. Denn niemand wolle einen neuen nuklearen Rüstungswettlauf. Sollten die USA aber ihren Schutzschirm zusammenklappen, würden die Länder in Europa unweigerlich über den Ausbau oder Aufbau ihrer Atomwaffenarsenale nachdenken. Die derzeitig verfügbaren Atomwaffen Frankreichs und Englands hält Hardt für unzureichend, um "die vielfach abgestufte Reaktionsmöglichkeit der amerikanischen atomaren Bewaffnung darzustellen". Nach Einschätzung des CDU-Manns wird es "am Ende des Tages eher darum gehen, dass wir einen größeren materiellen finanziellen Beitrag zu dieser gemeinsamen Abschreckung leisten."
Fest steht: Eine Wiederwahl Trumps wäre ein Härtetest nicht nur für die transatlantischen Beziehungen, sondern auch für den Zusammenhalt in Europa.