Habeck in Nahost: Klimaschutz als Friedenspolitik?
10. Juni 2022Robert Habeck, Deutschlands Vizekanzler, Wirtschafts- und Klimaschutzminister, steht auf einer Anhöhe in Ramallah, dem politischen und kulturellen Zentrum der Palästinensischen Autonomiegebiete, und blickt in die weite Tiefe des Westjordanlandes. Er schaut auf jüdische Siedlungen, auf palästinensisches Gebiet, auf israelisch besetzte Gebiete. Ein Flickenteppich. Gerade eben, vor dem Besuch auf der Anhöhe, hat der Grünen-Politiker den Ministerpräsidenten der Palästinensischen Autonomiegebiete, Mohammed Schtajjeh, getroffen und noch einmal bekräftigt, dass Deutschland an der Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt festhalte.
Wenn denn einmal die Waffen schwiegen und die gegenseitige Gewalt ein Ende hätte. Eindringlich ruft Habeck beim Treffen mit Schtajjeh beide Seiten zur Mäßigung auf: "Bitte versuchen Sie zu verstehen, dass der Verlust und die Gefühle und die Emotionen auch auf der anderen Seite sind." Aber zwei Staaten, also ein israelischer und ein palästinensischer: Diese Zukunftsvision ist weit weg, nahezu unmöglich, jetzt und hier von der Anhöhe aus betrachtet. Später am Tag wird Habeck das einräumen im Gespräch mit den Journalisten, die ihn begleiten. Aber, so sagt er, man dürfe die Hoffnung nie aufgeben.
Klimaschutz als Friedenspolitik?
Denn, so Habeck, kaum eine Region leide so unter dem Klimawandel wie der Nahe Osten, und das zwinge doch die Staaten bei allen Rivalitäten zur Zusammenarbeit. Könnte ausgerechnet der Kampf gegen den Treibhauseffekt und seine Folgen eine Perspektive für friedliches Zusammenleben in der spannungsgeladenen Region bieten? Tatsächlich will Israel in den nächsten Jahren mehr Strom aus Erneuerbaren Energie beziehen, sehr viel mehr. Und weil im Land selbst die Flächen dafür fehlen, sollen solche Anlagen im Nachbarland Jordanien entstehen, so eine Vereinbarung aus dem vergangenen November. Israel will das chronisch staubtrockene Jordanien im Gegenzug mit Wasser versorgen. Der Plan begeistert Habeck: "Vielleicht ist es möglich, über wirtschaftliche Kontakte bei Energiefragen einer politischen Lösung des Nahostkonflikts näher zu kommen."
Eine Reise im Höchsttempo
Deutschlands Wirtschafts- und Klimaminister absolvierte in den vier Reisetagen ein dicht gepacktes Programm: Gespräche gleich mit mehreren israelischen Regierungsmitgliedern, mit Premier Naftali Bennett, mit Vertretern der Zivilgesellschaft und mit Menschenrechtsgruppen, Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, wo Habeck öfter von seinen Emotionen gepackt wird, seine Stimme bricht hier und da. Dann der Besuch in Ramallah. Treffen dort auch mit der Umweltbewegung EcoPeace, in der Menschen aus den palästinensischen Gebieten, Israel und Jordanien zusammenarbeiten. Dann Fahrt über die Grenze nach Jordanien. Eröffnung einer Energie-und Klimakonferenz dort mit Besuch am Toten Meer, Treffen mit König Abdullah II. in der Hauptstadt Amman. Dann Besuch eines Camps für Geflüchtete aus Syrien in Jordanien und Besuch bei den deutschen Soldaten, die dort am Kampf gegen IS-Terrormilizen beteiligt sind.
Bereitet sich Habeck auf eine mögliche Kanzlerschaft vor?
Nicht alle diese Termine haben wirklich mit dem Wirtschafts- und Klimaressort von Habeck zu tun, schon eher mit seiner Rolle als Vizekanzler. Und mit seinem Politikansatz. Alles greift ineinander: Klimapolitik ist Friedenspolitik ist Sicherheitspolitik ist Außenpolitik. Fluchtbewegungen entstehen nicht nur aus Kriegen, sondern auch aus Wassermangel oder weil ganze Regionen wegen der zunehmenden Hitze unbewohnbar werden. Der Klimawandel verschärft - anders als in Habecks Vision - bislang meist die ohnehin bestehenden Konflikte.
Nicht wenigen der mitreisenden Journalisten drängt sich der Gedanke auf, Habeck bereite sich auf die Kanzlerschaft vor, bei der nächsten Wahl 2025. Tatsächlich ist er derzeit in vielen Umfragen der beliebteste deutsche Politiker. Aber Habeck hat für diesen Gedanken nur ein müdes Lächeln übrig: "Wenn Russlands Präsident Putin uns das Gas abdreht und wir im Winter Versorgungslücken bekommen, wer ist dann dafür verantwortlich? Ich natürlich!" Beliebtheitswerte, soll das heißen, sind Momentaufnahmen, nicht mehr.
Überhaupt, der Krieg in der Ukraine und das Gas. Anders als bei vielen Reisen Habecks seit Kriegsausbruch im Februar steht die Beschaffung von Alternativen zu russischer Energie diesmal nicht im Mittelpunkt. Israel plant zwar, eine Pipeline über die Türkei nach Europa zu bauen, um Gas aus zwei Feldern vor der Küste im Mittelmeer nach Europa zu verkaufen. Aber Habeck ist skeptisch, ob das gut wäre für Deutschland und Europa: "Eine Investition, die in sieben oder neun Jahren fertig ist, die ist dann eigentlich überflüssig. Denn wir wollen ja, und ich erwarte das auch, uns dann schon wieder von den fossilen Energieträgern loslösen. Langfristig wird die Kooperation mit den Staaten im Nahen Osten und in Nordafrika im Energiebereich auf den Erneuerbaren basieren."
Habeck prescht mit einem spontanen Einfall vor
Und dann besucht Habeck das Flüchtlingslager Asrak im Osten Jordaniens, nahe der Grenze zu Saudi-Arabien. 39.000 Geflüchtete aus Syrien leben hier, viele von ihnen schon seit 2014. Das Lager ist sauber, die Bemühungen, den Menschen das Überleben zu ermöglichen, ist sichtbar.
Es gibt eine Schule, in der die Kinder, von denen viele im Lager geboren wurden, von jordanischen Lehrern unterrichtet werden. Aber die Perspektiven, gerade für die Kinder, sind düster. Nur sehr wenige der Menschen hier schaffen den Weg in den jordanischen Arbeitsmarkt, eine Rückkehr in das verwüstete Syrien kommt ebenfalls kaum in Betracht.
Im Flüchtlingslager blitzt momentweise Habecks Spontanität auf: Er wolle mal schauen, ob nicht einige der Kinder und Jugendlichen, deren Schicksal ihn berührten, nicht Deutsch lernen und dann mit speziellen Ausbildungsprogrammen nach Deutschland geholt werden könnten: "Es ist ja offensichtlich, dass wir einen ungeheuren Bedarf an Fachkräften und an Arbeitskräften haben." Für Fragen des Arbeitsmarktes und der Migration nach Deutschland ist Habeck eigentlich nicht zuständig.
Deutschland und der Nahe Osten: Politik der kleinen Schritte
Und so geht eine Reise zu Ende, die zeigt, was Deutschlands Rolle im Nahen Osten in Zukunft sein könnte: Die großen Fragen, die zentralen Konflikte, kann Deutschland nicht lösen. Das kann im Moment von außen wohl niemand, auch die USA halten sich zurück mit neuen Nahost-Friedensinitiativen. Aber bei der Lösung von Problemen im Kleinen will Habeck, will die Regierung offenbar mitwirken: Durch Kooperationen im Klimaschutz, bei der Hilfe für Geflüchtete, auch für die, die in der Region geblieben sind. Deutschland vergesse den Nahen Osten nicht, so Habecks Botschaft, auch wenn der Krieg in der Ukraine gerade viele andere Themen in den Hintergrund drängt.