Handel wächst - online und klassisch
19. April 2016Brachte der Onlinehandel im vergangenen Jahr noch einen Umsatz von 53 Milliarden Euro, sollen es dieses Jahr rund 62 Milliarden Euro werden, wie aus einer Umfrage im Auftrag des Internet-Portals "RetailMeNot" hervorgeht. Im Schnitt wird demnach jeder Onlineshopper in Deutschland dieses Jahr 1352 Euro ausgeben. Damit würde der durchschnittliche Interneteinkäufer rund 141 Euro oder zwölf Prozent mehr ausgeben als 2015.
Auch der Bundesverband Onlinehandel (BVOH) sagt für das laufende Jahr ein Umsatzwachstum "im niedrigen zweistelligen Prozentbereich" voraus. Mittlerweile würden auch immer mehr Produkte des täglichen Bedarfs übers Netz gekauft, sagt Verbandspräsident Oliver Prothmann. Es sei "keine Besonderheit mehr, Waren vom Klopapier über die Zahnbürste bis hin zu Lebensmitteln online einzukaufen", so Prothmann.
Doch nicht nur die großen Online-Player sind optimistisch für 2016. Auch kleine und mittelständische Händler bewerten ihre Geschäftsaussichten für die kommenden zwölf Monate mehrheitlich positiv. Fast 60 Prozent rechnen laut Umfrage des Handelsverbandes Deutschland HDE mit steigenden Online-Umsätzen. Lediglich knapp neun Prozent gehen von sinkenden Erlösen aus. Der Online-Handel bleibt damit der Wachstumstreiber im Einzelhandel. Der Onlineumsatz wird im laufenden Jahr nach HDE-Prognose um elf Prozent steigen.
Keine Totengräber
Dabei galt der Online-Handel galt lange Zeit als Totengräber des klassischen Einzelhandels. Typische Klage eines Einzelhändlers: "Wir bezahlen die teuren Innenstadtlagen und das Fachpersonal, der Kunde lässt sich von uns beraten und kauft dann im Internet". Indes, ganz so einfach geht die Rechnung nicht auf. Denn inzwischen eröffnen immer mehr Internetanbieter wie Mymuesli, Notebooksbilliger oder Fashion For Home selbst stationäre Geschäfte - oder verkaufen ihre Produkte über etablierte Fachgeschäfte und Supermarktketten. Denn die totgesagte Welt des Offline-Handels hat auch für sie Vorteile.
Nach einer Marktanalyse des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI betreibt schon heute jeder zweite der 1000 größten Onlineshops auch stationäre Geschäfte. Multi- oder Omnichannel-Strategie nennt das EHI diesen Trend. Und es ist vielleicht auch eine vernünftige Überlebensstrategie. Gehen doch Handelsexperten wie Kai Hudetz vom Institut für Handelsforschung (IFH) davon aus, dass in den nächsten Jahren 90 Prozent der reinen Online-Händler wieder vom Markt verschwinden werden, weil sie den Platzhirschen wie Amazon nicht gewachsen sind.
Auch Elektronikversender wie Cyberport und notebooksbilliger.de haben längst den Reiz stationärer Geschäfte erkannt. Cyberport betreibt inzwischen neben seinem Online-Geschäft zwischen Hamburg und München auch 15 ganz normale Läden. "Technik wird immer mehr zum Lifestyleobjekt, das heißt, es besteht bei vielen Kunden ein großes Bedürfnis, die Geräte vorher anzufassen, auszuprobieren oder auch die Farbe des Produktes live zu sehen", begründet das Unternehmen die Offline-Offensive. Über die Stores erreiche man außerdem besser die Kunden, die noch Beratung suchten oder unentschlossen seien.
Multi-Channel-Strategie
Auch notebooksbilliger.de, einst als reiner Online-Shop gestartet, setzt auf den Ausbau stationärer Ladengeschäfte. Im November eröffnete das Unternehmen, das bereits Filialen in Düsseldorf und München betreibt, den nach eigenen Angaben größten Elektronik Lagerverkauf Deutschlands. Auf mehr als 800 Quadratmetern Ladenfläche werden alle großen Produktkategorien, wie Notebooks, Tablets und Smartphones angeboten. Erstmals werden auch Haushaltsgeräte, Soundsysteme und Fernsehgeräte ausgestellt.
Um sich gegenüber der Konkurrenz aus dem Internet besser zu positionieren, investieren wiederum viele stationäre Händler in das, was der Onlinehandel nicht bieten kann: attraktive Store-Konzepte, die das Einkaufen zum Erlebnis machen. Über 80 Prozent der vom Kölner Handelsforschungsinstitut EHI befragten Handels- und Ladenbauunternehmen bestätigten dies. Mehr als die Hälfte der befragten Handelsunternehmen setzt verstärkt individuelle Einrichtungselemente ein. Knapp zwei Drittel rechnen zudem mit einer Verkürzung der Renovierungszyklen - bei einer zugleich unverändert hohen Investitionsbereitschaft im Handel.
Doch der Kunde will beides: online und stationären Handel. Und der Trend gewinnt an Fahrt: Glaubt man den jüngsten Gerüchten aus den USA, erwägt selbst der Onlinegigant Amazon neben seinem ersten stationären Buchladen in Seattle weitere Läden zu eröffnen. Umgekehrt eröffnen viele stationäre Händler einen Online-Vertriebskanal, lassen ihre Kunden im Internet bestellen und in der Filiale abholen. Rund ein Viertel der Händler, die diesen Weg gegangen sind, freuen sich über Umsatzzuwächse von fast 20 Prozent "durch Impulskäufe beim Abholen der Ware", schreibt das EHI.