Hany Mukhtar - der steinige Weg ins Glück
2. November 2022Die "MVP"-Sprechchöre der eigenen Fans waren für Hany Mukhtar bereits in den vergangenen Monaten zur Gewohnheit geworden - und offenbar sahen das nicht nur die Anhänger des Nashville SC so: Zweieinhalb Wochen nach Abschluss der regulären Saison der nordamerikanischen Fußball-Profiliga MLS erhielt Mukhtar als erster Deutscher die Auszeichnung als wertvollster Spieler der Liga [MVP = Most Valuable Player, Anm.d.Red.]. 23 Tore hatte der gebürtige Berliner in 33 Partien für Nashville erzielt, war damit Torschützenkönig geworden und hatte seinen Klub in die Playoffs gebracht.
Auch wenn in der K.o.-Phase bereits direkt in der ersten Runde gegen Los Angeles Galaxy Endstation für Mukhtar und den NSC war, so hat der 27-Jährige - Jahre nachdem er als eines der größten deutschen Stürmertalente gehandelt wurde - in den USA endlich den Durchbruch geschafft. Trotz zahlreicher Lobeshymnen, war ihm das in Deutschland einst verwehrt geblieben.
Der "kleine Mario Götze" zündet nicht
Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen: "Kleiner Mario Götze" titelten die Zeitungen am 1. August 2014, einen Tag nach dem Endspiel der U-19-EM in Ungarn. Gemeint waren damit nicht etwa die heutigen A-Nationalspieler Joshua Kimmich (FC Bayern München) oder Julian Brandt (Borussia Dortmund), sondern Mukhtar. Der damals 19-jährige hatte einen Tag zuvor das entscheidende Tor beim 1:0-Sieg im Finale gegen Portugal erzielt.
Der Vergleich mit Götze, der nur zwei Wochen zuvor Deutschland in Rio De Janeiro zum Weltmeister machte, lag somit auf der Hand. Bis zum Titelgewinn 2014 hatte Mukhtar ab der U15 sämtliche Auswahlmannschaften des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) durchlaufen. Doch während seine damaligen Teamkollegen Kimmich und Brandt mittlerweile zu echten Stars gereift sind, geriet die Karriere Mukhtars zunächst ins Stocken.
Chance bei Hertha verpasst?
Mukhtar wuchs als Sohn eines Sudanesen und einer Deutschen in Berlin auf. Ausgebildet bei Hertha BSC, feierte er in der Zweitligasaison 2012/13 als 17-Jähriger sein Profidebüt für die "Alte Dame". Doch in der darauffolgenden Saison kamen nur zehn weitere Bundesligaeinsätze hinzu. Sein erstes Heimspiel für die Hertha bestritt er ausgerechnet gegen den FC Bayern, in deren Mittelfeld damals Franck Ribéry, Toni Kroos, Arjen Robben und Mario Götze spielten.
"Ich finde, dass ich ein guter Spieler bin", erzählte Mukhtar seinem ehemaligen Teamkollegen Bilal Kamarieh in einem Youtube-Interview. "Aber gegen solche Spieler hatte ich einfach keine Chance." Nach der erfolgreichen EM 2014 hatte er auf mehr Spielzeit bei seinem Heimatverein gehofft. Als diese jedoch ausblieb, entschied sich Mukhtar zu einem Wechsel zum damaligen Champions League-Teilnehmer Benfica Lissabon. Ein Schritt, der im Rückblick zum ungünstigsten Zeitpunkt kam.
"Ich war unzählige Male bei Michael Preetz (damaliger Hertha Manager Anm. d. Red.) im Büro und habe Spielzeit gefordert, doch immer war die Antwort, dass es noch Zeit brauche", so Mukhtar. "Mir wurde zwar geraten, weiterhin geduldig zu bleiben, doch ich hatte mich bereits für einen Wechsel zu Benfica entschieden, da ich unbedingt spielen wollte."
Im Januar 2016 stimmte der Hauptstadtverein dem Wechsel zu. Nur zehn Tage später wurde Pal Dardai Cheftrainer von Hertha BSC. Der Ungar war bereits Co-Trainer von Mukhtar in der U17 von Hertha und bekannt dafür, auf junge Spieler zu setzen. Während Mukhtar bei Benfica Lissabon in der gesamten Saison nur auf einen 15-minütigen Kurzeinsatz kam, musste er mit ansehen, wie unter Dardai viele seiner ehemaligen Mitspieler auf anhieb in der Bundesliga-Mannschaft gesetzt waren. "Nico Schulz, John Anthony-Brooks… alle mit denen ich zuvor gespielt hatte, waren auf einmal unter Dardai gesetzt", so Mukhtar. "Man kann die Zeit nicht zurückdrehen. Ich hatte meine Chance bei Benfica gesehen und wollte sie ergreifen."
Renaissance in Nashville
Über die Stationen Red Bull Salzburg und Bröndby IF zog des den Deutschen im Januar 2020 schließlich in die Major League Soccer (MLS). Bei dem Liga-Neuling Nashville SC schlug er auf Anhieb ein. 19 Tore und zehn Assists lautete die stolze Bilanz seiner Debütsaison. Zudem schrieb er mit dem frühesten Hattrick MLS-Geschichte. Bereits nach 16 Minuten hatte er beim 5:1-Sieg gegen Chicago Fire dreimal getroffen. "Ich habe meinen Stil verändert, komme jetzt eher als hängende Spitze zum Vorschein", sagte Mukhtar dem 'Kicker'. "Ich bin jetzt nicht mehr Spielmacher. Das liegt mir ganz gut."
Für den MVP-Titel reichte es damals knapp noch nicht. Am Ende landete Mukhtar auf Platz zwei hinter Carles Gil. Dieses Jahr war Mukhtar zu gut, um bei der Wahl an ihm vorbeizukommen. "Er ist für unsere Mannschaft nicht zu ersetzen. Nicht erst dieses Jahr, sondern in den letzten drei Jahren", sagte NSC-Teamkapitän Dax McCarthy schon während der Saison auf einer Pressekonferenz.
Mukhtars großen Wert für das Team hat man in Nashville längst erkannt und ihn mit einem langfristigen Vertrag bis 2025 ausgestattet. Mit einem Gehalt von rund 1,64 Millionen US-Dollar (1,56 Millionen Euro) ist er mittlerweile Topverdiener seiner Franchise.
"Ich habe in meiner Karriere gelernt, dass es manchmal wichtiger ist, glücklich zu sein und den Moment zu schätzen und das, was man hat, als sich gleich wieder eine neue Herausforderung zu suchen und dann vielleicht nicht glücklich zu sein", begründete Mukhtar, warum er nach seinen Erfolgen nicht eine neue Chance in Europa oder sogar der Bundesliga gesucht hatte. "Deswegen habe ich auch die Entscheidung getroffen, dass ich hier verlängere und bleibe."
Der Traum Nationalmannschaft
Der Berliner weiß, dass die europäischen Ligen in Deutschland, England, Spanien oder Italien deutlich mehr Qualität aufweisen als die Major League Soccer. In seinem Umfeld rieten ihm viele zu einem Wechsel zurück nach Europa. Aber die Nummer "10" entschied sich für einen Verbleib. "Mir ist bewusst, dass die Liga noch nicht da ist, wo ich das Potential der Liga sehe. Aber ich bin der Meinung, wegen der WM 2026 hier im Land wird einiges passieren - und es passiert ja schon relativ viel. Die Liga wird definitiv besser."
Einige Fans fordern nun von Bundestrainer Hansi Flick, den Nashville-Stürmer mit zur WM nach Katar zu nehmen, schließlich fehlt dem Team eine klar Nummer neun. Ein Mittelstürmer im klassischen Sinne ist Mukhtar allerdings nicht - auch wenn er Tore wie am Fließband liefert. Bei Nashville kommt der flexible Offensivmann, der mitunter auf dem Flügel oder im offensiven Mittelfeld agiert, vornehmlich als hängende Spitze zum Einsatz.
Dass er nicht ganz oben auf Flicks Merkzettel steht, weiß Mukhtar und kann die Diskussionen um eine mögliche Nominierung daher realistisch einschätzen. "Ich war ja noch nie dabei. Wird es schwierig? Ja. Ist es ausgeschlossen? Definitiv nicht", sagte Mukhtar dem "Kicker". Und wenn Hansi Flick ihn wirklich braucht? "Dann werde ich nach Katar rennen."
Der Artikel wurde am 2. November aktualisiert.