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Harald Leibrecht: "Weg von 'Sauna- und Männerfreundschaften' à la Kohl und Schröder"

Die Fragen stellte Ingo Mannteufel16. Januar 2006

Zum Antrittsbesuch bei Wladimir Putin spricht der FDP-Bundestagsabgeordnete und Russland-Experte Harald Leibrecht im DW-WORLD-Interview über seine Erwartungen an Bundeskanzlerin Angela Merkel.

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Harald LeibrechtBild: presse

DW-WORLD: Bundeskanzler Schröder galt als wichtigster Fürsprecher Russlands in Europa. Was erwarten Sie von einer Bundeskanzlerin Merkel für die deutsch-russischen Beziehungen? Sollte Ihrer Meinung nach Angela Merkel stärker als Bundeskanzler Schröder bisher die heiklen Themen in den deutsch-russischen Beziehungen öffentlich ansprechen, wie zum Beispiel den Tschetschenien-Konflikt, Defizite im Rechtsstaat oder den Druck des Kremls auf regierungsunabhängige Organisationen?

Harald Leibrecht: Auf die letzten Fragen hören Sie von mir ein ganz klares "Ja"! Frau Merkel muss diese Themen unbedingt ansprechen. Vor allem aber muss sie die "strategische Partnerschaft" mit Russland neu ausrichten – weg von "Sauna- und Männerfreundschaften" à la Kohl und Schröder und hin zu einem offenen Dialog, der auch Kritik erlaubt.

Für mich bedeutet Partnerschaft die Verbundenheit zweier Partner in besonderer Weise. Zu dieser "besonderen Verbundenheit" zählen bei Russland vor allem die vielen Gemeinsamkeiten: gemeinsame Interessen, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, aber eben nicht nur. Auch in Sicherheitsfragen, wie zum Beispiel beim Kampf gegen den Terrorismus und der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen, gehen Russland und Deutschland in die gleiche Richtung.

In einer wirklichen Partnerschaft muss es jedoch auch möglich sein, bestehende Unterschiede und Probleme anzusprechen. Diese Unterschiede sehe ich im Hinblick auf Russland vor allem bei dem Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat. Basierend auf den Gemeinsamkeiten sollte das Fundament stark genug sein, um auch die Auseinandersetzung um bestehende Probleme ruhig und sachlich in einem konstruktiven Dialog angehen zu können.

Von unserer Bundeskanzlerin erwarte ich, dass sie bei ihrem kommenden Antrittsbesuch vor allem wieder den strategischen Teil der Partnerschaft stärker ins Visier nimmt. Was die deutsch-russischen Beziehungen brauchen, ist ein genauer Plan für das weitere Vorgehen. Wir müssen weg von der ad-hoc- und damit oft Schock-Behandlung von auftretenden Problemen. Vielmehr sollten sich beide Seiten zusammensetzen und eine klare Agenda und einen Fahrplan hierfür vereinbaren. Das sollte schon bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen im März stattfinden.

Wie stehen Sie zur Differenzierung von Bundeskanzlerin Merkel, die das Verhältnis zu den USA aufgrund gemeinsamer Werte als "Freundschaft" beschrieb und die Beziehungen zu Russland aufgrund wirtschaftlicher Interessen als "strategische Partnerschaft"?

Mit den USA verbindet uns eine jahrzehntelange, tiefe und fest verwurzelte Freundschaft. Gemeinsame Werte und die Bekenntnis zu Demokratie in einer freien Gesellschaft ist das feste Fundament dieser Freundschaft. Mit Russland muss sich die Art der Freundschaft erst noch herauskristallisieren. Keinesfalls werden darf es jedoch wieder eine Freundschaft wie zwischen der DDR und der Sowjetunion, die von den beiden Regierungen "angeordnet und von oben durchgesetzt" wurde. Freundschaft kann nur auf Freiwilligkeit und gemeinsamen Interessen und Werten gebaut sein. Sobald die Aussagen von der russischen Staatsregierung in Bezug auf Freiheit und Demokratie nicht mehr nur Lippenbekenntnisse sind, sondern ihre Umsetzung in der Realpolitik finden, ist das Tor für eine Freundschaft geöffnet.

Der russisch-ukrainische Gasstreit hat das Problem der deutschen und europäischen Energiesicherheit sowie die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen deutlich gemacht. Ist ein "mehr" an deutsch-russischer Energiekooperation überhaupt noch sinnvoll für Deutschland?

Es ist immer problematisch, sich ganz und ausschließlich auf einen Partner zu konzentrieren. Da gerät man schnell in eine ungewollte Abhängigkeit. Das Beispiel Russland zeigt, wie wichtig ein breit aufgestellter Energiemix gerade in Deutschland ist, bestehend aus fossilen, erneuerbaren Energien und auch der Kernenergie. Die Bundesregierung muss alles unternehmen, um die Energieabhängigkeit zu verringern und damit die Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energie im eigenen Land durch mehr Effizienz und weniger Subventionen zu gewährleisten.

Russland ist als Energielieferant nicht nur für Deutschland von herausragender Bedeutung - und natürlich selbst auch an zahlungskräftigen Kunden wie den EU-Staaten interessiert. Dennoch wird Deutschland an der geplanten Ostseepipeline auf Dauer nur dann Freude haben, wenn die polnischen und baltischen Partner einbezogen werden und wenn Berlin gleichzeitig eine konsequente Diversifizierungsstrategie entwickelt. Berlin darf sich nicht leichtfertig in Abhängigkeit von einem einzelnen Lieferanten begeben, der eventuell irgendwann - auch gegenüber Deutschland - marktwirtschaftliche Argumente missbraucht, um seinen Partnern - beziehungsweise Kunden - politisch die Daumenschrauben anzusetzen.

Wie sehen Sie und die FDP als die gegenwärtig größte deutsche Oppositionsfraktion im Bundestag die künftigen deutsch-russischen Beziehungen? Was würde ein FDP-Außenminister bei einer schwarz-gelben Regierungskoalition in der deutschen Russlandpolitik eigentlich anders machen? Worauf würde er Gewicht legen? Oder kann es überhaupt gar keine andere deutsche Russlandpolitik als die bisherige geben?

Die deutsch-russischen Beziehungen sind für mich und die FDP sehr wichtig. Russland ist für uns nicht nur ein wichtiger wirtschaftlicher Partner, sondern hat auch auf die Weltpolitik einen nicht zu unterschätzenden Einfluss.

Wie bereits zu Beginn geschildert, ist für mich und die FDP wichtig, dass die Partnerschaft mit Russland wieder stärker auf ein festes, langfristig stabiles Fundament gestellt wird, das nicht von persönlichen Beziehungen abhängt, sondern auf gemeinsamen Interessen und Werten basiert - und zwar auf allen Kontakt- und Interessensebenen. Es reicht nicht, dass sich die beiden Regierungschefs prima verstehen. Hinzukommen muss vielmehr ein Austausch und ein gegenseitiges Voneinanderlernen auch auf den anderen Ebenen, vor allem zwischen den beiden Zivilgesellschaften. Es gibt vieles, was Russland und Deutschland verbindet. Diese Verbindungen müssen nur wieder aktiviert und ausgebaut werden. Der "Petersburger Dialog" ist hierfür ein guter Rahmen, den auch Frau Merkel unterstützen und weiter stärken sollte.

Harald Leibrecht, FDP-Bundestagsabgeordneter, beschäftigt sich als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses mit Russland.