"US-Drohnenangriffe völkerrechtswidrig"
22. Oktober 2013Deutsche Welle: Frau Harpe, Sie haben insgesamt 45 US-amerikanische Drohnenangriffe in dem als Rückzugsraum für Taliban- und Al-Kaida-Kämpfer geltenden Nord-Wasiristan untersucht, die sich zwischen Anfang 2012 und August diesen Jahres ereignet haben. Zu welchen Ergebnissen kommen Sie in Ihrem Bericht?
Verena Harpe: Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass die USA mit diesem Drohnenprogramm in Pakistan immer wieder das Völkerrecht brechen und es sich möglicherweise sogar um Kriegsverbrechen handelt. Wir haben diese 45 Fälle überprüft und daraus dann noch einmal neun sehr detailliert nachrecherchiert. Wir haben umfangreiche Interviews geführt und hatten auch Zugang zu der Region - was sehr schwierig und für die Menschen, mit denen wir gesprochen haben, mit einem Risiko verbunden war. Deshalb mussten wir auch viele Namen ändern.
Das Ergebnis ist, dass in dieser sehr unzugänglichen Region regelmäßig das Völkerrecht verletzt wird, und zwar auf Kosten der örtlichen Bevölkerung. Die Menschen werden zum einen von Drohnen terrorisiert und zum anderen vom pakistanischen Militär oder von bewaffneten Gruppen drangsaliert. Sie geraten zwischen alle Fronten.
Sie haben mit den Leuten selbst gesprochen. Können Sie einen oder zwei Fälle konkreter schildern?
Es gibt zum Beispiel einen Fall, der sich im Oktober 2012 ereignet hat. Da war eine 68-jährige Großmutter mit ihren Enkelkindern auf dem Feld. Da die Drohnen Tag und Nacht am Himmel kreisen, müssen die Leute trotzdem ihrem Alltag nachgehen. Irgendwann kam es dann zum Angriff, bei dem die Großmutter sofort ums Leben kam. Bei einem zweiten Angriff wurden dann auch die Kinder zum Teil schwer verletzt. Das waren Kinder im Alter von fünf, sieben, acht und 15 Jahren.
Trotz intensivster Recherche konnten wir keinerlei Rechtfertigung finden, wie es zu einer solchen gezielten Tötung dieser Frau kommen konnte. Gezielte Tötungen sind ja sowieso nur in sehr außergewöhnlichen Situationen, in denen eine unmittelbare Bedrohung vorliegt, zulässig. Das ließ sich hier überhaupt nicht nachvollziehen.
Dann gab es 18 Arbeiter, die sich - auch im letzten Jahr - zum gemeinsamen Abendessen getroffen haben. Sie sind auch bombardiert worden, und dabei sind die meisten umgekommen. Unter anderem auch ein 14-jähriger Junge. Bei den Recherchen haben wir festgestellt, dass die Opfer später als militante Kämpfer bezeichnet wurden. Wir haben aber keinen diesbezüglichen Hinweis gefunden und sind nach allem, was uns vorlag, zu dem Ergebnis gekommen, dass es sich um Dorfbewohner handelte, die keinerlei Bedrohung darstellten.
Haben Sie Zahlen darüber, wie viele unschuldige Zivilisten bei derartigen Drohnenangriffen ums Leben gekommen sind?
Nein, wir haben keine genauen Zahlen. Die pakistanische Regierung spricht von 400 bis 600 Opfern, andere NGOs oder auch Journalistennetzwerke reden von zum Teil wesentlich höheren Zahlen, bis hin zu fast 1000. Die USA schweigen dazu, und das ist auch genau das Problem. Was wir bei unserer Recherche wieder gemerkt haben: Man kann unter solchen Umständen keine belastbaren Zahlen recherchieren, wenn die Seite, die dieses Programm ausführt, absolut keine Informationen herausgibt.
In der jüngsten Ausgabe des "Economist" heißt es, es gebe durchaus Stimmen in der Bevölkerung, die die Drohneneinsätze befürworten. Inwieweit deckt sich das mit den Ergebnissen, die Sie zusammengetragen haben?
Wir haben über 60 Interviews mit Überlebenden, mit Zeugen, aber auch mit Mitgliedern bewaffneter Gruppen geführt. Dabei hat sich gezeigt, dass sehr große Angst vor den Taliban oder anderen bewaffneten Gruppierungen in der Region - die ja als Rückzugsgebiet für afghanische Taliban gilt - herrscht. Insofern ist es sicherlich richtig, dass einzelne Menschen sagen: Wenn das dazu dient, diese Gruppierungen zu schwächen, dann ist das erst einmal ein richtiges Ziel. Aber gleichzeitig haben wir auch immer wieder gehört, dass die Leute meinen, dass sehr viel mehr Schaden entsteht, als es Nutzen gibt. Man muss wirklich sagen, dass die Zivilbevölkerung in ständiger Angst lebt, weil Tag und Nacht die Drohnen am Himmel kreisen und es einfach nicht selten so ist, dass Zivilisten getroffen werden.
Sie erheben in Ihrem Bericht auch Vorwürfe gegen die deutsche Bundesregierung. Was werfen Sie ihr vor?
Wir werfen der Bundesregierung vor, dass sie Informationen an die USA weitergegeben hat - unter anderem Geheimdienstinformationen und Handy-Daten. Damit hat sie mit dazu beigetragen, dass die USA diese Informationen nutzen konnten. Und dann ist nicht mehr klar, in welche Vorhaben sie einfließen. Wir wissen, dass es eine Weitergabe von Daten gegeben hat. Wir sehen nicht, dass die deutsche Regierung hundertprozentig ausschließen kann, dass diese Daten auch beispielsweise zu gezielten Tötungen verwendet wurden.
Aus welchen Quellen wissen Sie das?
Wir haben unter anderem mit ehemaligen pakistanischen Geheimdienstmitarbeitern gesprochen, die in unterschiedlichen Gesprächen immer wieder angegeben haben, dass nicht nur Deutschland, sondern auch andere europäische Staaten mit den USA und dem Drohnenprogramm zusammengearbeitet haben. Das deckt sich auch mit der Tatsache, dass ja gar nicht bestritten ist, dass Deutschland Informationen an die USA weitergibt. Da lässt man sich in der Regel bestätigen, dass diese völkerrechtskonform verwendet werden und man diese Informationen nicht dazu heranzieht, gezielt Menschen zu töten, sondern ihren Aufenthalt zu ermitteln. In diesem Punkt verlässt sich die Bundesregierung darauf, dass die USA das zusichert.
Was fordern Sie von Seiten der Bundesregierung - konkret in ihrer Rolle als Bündnispartner der USA?
Zum einen muss Deutschland offenlegen, welche Rolle es spielt. Und zum anderen muss die Regierung auch endlich gegenüber den USA darauf pochen, geltendes Recht einzuhalten.
Verena Harpe ist Asien-Expertin der Deutschen Sektion von Amnesty International.