Profifußball und der Hass im Netz
13. Februar 2023Rassistische Kommentare, wüste Beschimpfungen, teilweise sogar Morddrohungen - Sportlerinnen und Sportler, die sich mit eigenem Profil in den sozialen Medien bewegen, sehen sich oft blankem Hass anderer User ausgesetzt. Moralische Grenzen gibt es kaum. In der scheinbaren Anonymität des Internets und der sozialen Medien lassen zahlreiche User ihren (Hass-)Gefühlen freien Lauf. "Nach der Mehrheit der Spiele bekomme ich rassistische Nachrichten auf Instagram", sagte zum Beispiel Borussia Dortmunds Jude Bellingham im vergangenen Sommer in einem Interview mit CNN und sprach damit kein neues Problem an.
Um dem wachsenden Problem rassistischer Botschaften an Schwarze Spieler entgegenzutreten, hatte der englische Fußball bereits im April 2021 ein ganzes Wochenende lang alle Aktivitäten in den sozialen Medien eingestellt. In einer gemeinsamen Aktion hatten die Vereine und der Verband auf Tweets und Posts via Twitter, Instagram, Facebook und weiterer Kanäle verzichtet, um damit ein Zeichen gegen Hass und Diskriminierung im Internet setzen.
Geholfen hat es wenig, wie die Aussage Bellinghams mehr als ein Jahr später zeigt. Nach dem Finale der verschobenen EURO 2020 im Juli 2021 wurden mit Bukayo Saka, Marcus Rashford und Jadon Sancho die drei Schwarzen Spieler Englands im Netz rassistisch beleidigt, die im Elfmeterschießen gegen Italien verschossen hatten. Gleiches wiederholte sich im vergangenen Dezember, als Bayern Münchens Kingsley Coman im WM-Endspiel für Frankreich gegen Argentinien vom Punkt vergab.
Hassbotschaften und Morddrohungen
Auch im deutschen Profifußball besteht die Problematik der Hassbotschaften und des Cybermobbings bereits seit längerer Zeit - und sie betrifft nicht nur Schwarze Spieler. Vor zwei Jahren schlossen sich daher Toni Kroos, Niklas Süle und viele andere Profis einer Initiative an, die den Hatern im Netz den Spiegel vorhalten sollte. In einem Video lasen die Spieler Botschaften vor, die sie selbst über Twitter oder andere Kanäle erhalten hatten. Sätze, bei denen sich die Absender wohl niemals trauen würden, sie den Spielern auch persönlich ins Gesicht zu sagen. "Wir schätzen deine Meinung. Aber Hass ist keine Meinung. Hinter jedem Bildschirm ist ein Mensch", heißt die Botschaft des Spots, die sich auch an die Betreiber der Plattformen wendete, stärker gegen Hassbotschaften vorzugehen und den Absendern keine Anonymität zu gewähren.
Das Video stammt aus dem Februar 2021 - geändert hat sich in den sozialen Netzwerken in den vergangenen zwei Jahren aber nicht viel. Erst kürzlich erhielt Zweitliga-Torwart Andreas Luthe nach seiner guten Leistung für den 1. FC Kaiserslautern im Spiel gegen Hannover 96 Hassnachrichten: neben wüsten Beschimpfungen und Beleidigungen auch Todesdrohungen.
Luthe machte die Anfeindungen öffentlich und erhielt daraufhin viel Zuspruch von allen Seiten, auch aus Hannover. Dort solidarisierten sich die Fans mit Luthe. Der Verein Hannover 96 meldete sich und versprach, bei der Aufklärung und der Identifizierung der Hassbotschaften-Verfasser zu helfen.
Spielerberater: Spieler empfinden Gehalt als Schmerzensgeld
Wie groß das Problem des Cybermobbings im Profisport mittlerweile ist, bringt Spielerberater Stefan Backs auf den Punkt: "Profifußballer müssen mit dieser Art von Hass leben. Viele empfinden ihr Gehalt als Schmerzensgeld." Er wisse das aus vielen Gesprächen. Drohungen gegen die Familie empfänden die Spieler als besonders schlimm. "Sie sagen, wenn es mich trifft - okay. Aber die haben Kinder, die zur Schule oder in den Kindergarten gehen. Die werden da auch vollgepöbelt. Der Umgang mit Profifußballern in der Öffentlichkeit ist teilweise unterirdisch. Das macht sich kaum jemand bewusst." Fußballer treffe das meist besonders, weil viele noch so jung seien
Backs Agentur vertritt unter anderem Schalke-Torhüter Ralf Fährmann, den gerade bei der TSG Hoffenheim entlassenen Trainer André Breitenreiter, aber auch den momentan vom FC Bayern an die AS Monaco verliehenen Torwart Alexander Nübel. Als der Torwart 2020 vom FC Schalke 04 nach München wechselte, brach über den Spieler und seinen Berater ein wahrer Shitstorm herein, der bis heute immer wieder neu entfacht werde, so Backs: "Das hat sich noch nicht beruhigt. Im ersten Jahr war es besonders schlimm."
Nübel und Backs selbst hätten Morddrohungen erhalten. Das Auto des Spielerberaters wurde demoliert. Wie kommen Sportler damit klar? "Man stumpft mit der Zeit ab. Die traurige Wahrheit ist, dass die Spieler lernen, damit umzugehen", erklärt Backs. "Aber ganz ehrlich: Fassungslos bleibt man trotzdem. Weil es auch so viel ist."
Torwart Nübel sperrte bei seinen Social-Media-Accounts die Kommentarfunktion. Spielerberater Backs rief die Menschen, die ihn teilweise mit Klarnamen im Netz schikanierten, persönlich an und schaltete die Polizei ein. "Aber im Grunde ist da sehr wenig bei rausgekommen und vor allen Dingen geht es dann beim nächsten Mal wieder von vorne los. Dann sind es wieder andere", sagt er. "Dieses Phänomen Hass im Netz ist ein unterirdisches Phänomen", man merke, wie viel Wut und Frust in manchen Menschen schlummere.
Sportpsychologin: Sportler können Hass ummünzen
Die Wucht dieser Botschaften ist groß, sie öffentlich zu machen sei eine gute Strategie, erklärt Marion Sulprizio vom Psychologischen Institut der Sporthochschule Köln im Gespräch mit der DW: "Dann merkt man auch, dass es ja auch eine Vielzahl von Menschen gibt, die einen unterstützt und es eben nicht nur diese - ich sage mal bösen, kriminelle Geister gibt, die meistens in der Minderheit sind."
Man könne die Beleidigungen für sich nutzen. "Man kann aus dem Hass auch wieder eine Aktivierung ziehen, die helfen kann. Das kann man mit verschiedenen Strategien üben." Darunter fallen Übungen der Anspannung und der Entspannung, Mobilisierungsverfahren, Atemübungen oder Gedankenkontrolle. "Dass man nicht zu sich sagt, wie schlimm die mich bedrohen, sondern sagt: Ich bin so gut, dass die mich deswegen bedrohen müssen. Daraus kann eine Art positive Umdeutung entstehen."
Stressresistenz lasse sich lernen. Je nach Typ funktioniere das unterschiedlich. "Viele Spieler ziehen sich vor wichtigen Spielen zurück, hören bestimmte Musik und aktivieren oder beruhigen sich." Dass Sportpsychologen mittlerweile wie selbstverständlich so gut wie zu jedem Team gehören, begrüßt sie sehr, denn: "Es ist nicht so, dass jemand sagen kann: Bei mir funktioniert gar nichts. Das lasse ich nicht gelten, denn wir finden immer eine Strategie, wie jemand seine eigenen Gedanken, seine eigene Aktivierung, verändern kann."
Unterstützung von Gewerkschaft, Verein und Sportpsychologen
Unterstützung gibt es für betroffene Spieler in Deutschland vom Verein, von den Beratern und Psychologen, aber auch von der Spielergewerkschaft VDV, der Interessensvertretung der in Deutschland tätigen Fußballprofis. In diesem Bereich biete die VDV unterschiedliche Hilfsleistungen an, erklärt Geschäftsführer Ulf Baranowsky der DW. Das Angebotsspektrum der VDV reicht von der juristischen Beratung über psychologische Unterstützung bis hin zu Schulungen zum Thema Medienkompetenz. "Selbstverständlich hat das Thema auch eine politische Dimension", so Baranowsky. "Hier sind insbesondere der Gesetzgeber und die Strafverfolgungsbehörden gefordert, Verbesserungen herbeizuführen und Opfer besser zu schützen."
Spielerberater Backs sieht ein gesamtgesellschaftliches Problem. "Ich glaube, es ist ein unguter Mix aus mangelnder Erziehung, mangelnder Bildung, Frust. Von daher glaube ich nicht, dass sich in absehbarer Zeit etwas ändert. Aber ich glaube, es ist wichtig, dass man die Öffentlichkeit dafür sensibilisiert."