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Wie ein Volk seinen Herrscher wahrnahm

21. Oktober 2011

Khalid El Kaoutit war in den vergangenen Wochen als DW-Reporter in Libyen unterwegs. Dabei wurde ihm der Hass der libyschen Bevölkerung auf den jetzt getöteten Diktator schon zu dessen Lebzeiten vor Augen geführt.

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Muammar al-Gaddafi, gesehen durch eine TV-Kamera (Foto: dapd)
Bild: dapd

"Wir trinken Salzwasser und es schmeckt wie Honig. Hauptsache der Despot ist weg", schrie ein großer, dunkelhäutiger Mann auf einer Straße von Tripolis. Es war kurz nachdem der ehemalige Diktator und seine Gefolgsleute die libysche Hauptstadt im August verlassen mussten. Nur wenige Tage dauerten die Kämpfe gegen die Truppen des Übergangsrates. Zuvor hatte Gaddafi monatelang die Stadt von der Außenwelt abgeschottet. Die Telekommunikationsnetze wurden gekappt - in dem sonst ölreichen Libyen mussten die Menschen tagelang vor den Tankstellen Schlange stehen.

Durch diese Abschottung wollte Gaddafi verhindern, dass die Menschen die Stadt verlassen und sich womöglich den Rebellen anschließen. Gaddafi hatte sein Volk quasi in Geiselhaft genommen. Von zahlreichen Checkpoints innerhalb der Stadt war die Rede - und von willkürlichen Exekutionen. "Es waren nicht nur Mitglieder seiner Revolutionsgarde. Er hat Söldner angeheuert, um uns zu terrorisieren", so ein Bewohner von Tripolis. "Wir haben Gaddafi gehasst, aber er wollte uns mit Gewalt dazu bringen, ihn zu lieben - für ihn zu rufen." Gaddafi sei schlimmer als Hitler, fügt er hinzu. "Er hat sein eigenes Land mithilfe von Fremden besetzt."

Okkupator des eigenen Landes

Bild von Muammar al-Gaddafi in einer Straße in Tripolis (Foto: Djamel Laribi)
Ex-Machthaber am Boden: Muammar GaddafiBild: Djamel Laribi

Als Gaddafi die Stadt verließ, ließ er aus Rache die Wasserleitungen sprengen. So mussten die Bewohner mehrere Wochen ohne fließendes Wasser auskommen. Doch die Freude über den Abgang des Diktators im August war groß - jeden Abend fuhren an jenen Tagen laut hupende Autos auf den Straßen von Tripolis. Auf Mülltonnen hatten Einwohner die Namen von Gaddafis Söhnen gesprayt. Über die sonst unantastbare Person des "Revolutionsführers" spotteten nun Kinder und Erwachsene. Immer wieder scherzten sie über das unerwartete Schicksal des Diktators: "Oh du Krauskopf, es tut uns leid, dich abgesetzt zu haben." Wegen seiner Frisur hatte Gaddafi den eher harmlosen Spitznamen "Krauskopf" bekommen. Es schien so, als würden Wasser-, Benzin- und Lebensmittelknappheit nichts mehr ausmachen. Es schien so, als würde Salzwasser in der Tat wie Honig schmecken.

Khalid el Kaoutit
Berichtet für die DW aus Libyen: Khalid El Kaoutit

Ruinen eines luxuriösen Lebens

In seine Residenz in Bab al-Azizia, einem abgeriegelten, mehrere Quadratkilometer großen Areal inmitten der Innenstadt von Tripolis, strömten die Besucher, um den Luxus zu besichtigen, in dem der Diktator und seine Familie gelebt hatten. Von dem Bild des einfachen Beduinen, der sich an die Traditionen hält und zum Wohle seines Volkes bescheiden lebt - das Gaddafi während seiner Herrschaft gerne gespiegelt hatte - keine Spur. Stattdessen Swimmingpools, teure Importmöbel und Wandmosaike in allen Farben und Größen. "Er hat unser Geld verschleudert, davon ist bei uns nichts angekommen", sagte eine ältere Frau. "Mein Sohn ist 37 und lebt immer noch bei mir. Er ist arbeitslos und kann sich keine Wohnung leisten." Gaddafi, so schien es den Libyern nun, hatte vor allem auf ihre Kosten gelebt.

Zuletzt wie eine Ratte

Die Hauptattraktion für die Besucher liegt jedoch unterhalb des Bab al-Azizia-Palastes: die kilometerlangen Tunnel, die unter dem Areal gebaut sind. Bis heute weiß keiner genau, wie lang sie wirklich sind und wo überall sie hinführen. "Hier hat sich Gaddafi versteckt. Wie eine Ratte", wird immer wieder gesagt. Er selbst hatte die Rebellen als Ratten bezeichnet, als die Revolution in Libyen ausbrach. Überall liegen Teppiche mit dem Konterfei des Diktators. Die Menschen laufen extra mehrmals darüber und reiben dabei ihre Schuhsohlen, als würden sie den Dreck der Straße auf den Teppichen zurücklassen wollen. Andere binden die Teppiche an die Anhängerkopplung ihrer Autos, um so "die Straßen mit dem Gesicht Muammars zu putzen". Ein Volk und sein Diktator, der schon zu Lebzeiten verhasst war.

Autor: Khalid El Kaoutit
Redaktion: Daniel Scheschkewitz