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Nationalität spielt keine Rolle

Sabine Oelze30. Mai 2013

Das hat es in der Geschichte der Biennale noch nicht gegeben: zwei Länder, die ihre Ausstellungsorte tauschen. Der deutsche Beitrag wird erstmals im französischen Pavillon präsentiert. Mehr als ein Freundschaftsbeweis?

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Französischer Pavillon der Biennale
Bild: Ulrike Sommer

"GERMANIA" - für alle Ewigkeit ist der Schriftzug auf dem Deutschen Pavillon der Biennale in Stein gemeißelt. Doch zum ersten Mal in seiner langen Geschichte stellen dort nicht die von Deutschland ausgewählten Künstler aus. Wo Germania war, ist jetzt Francia - und umgekehrt. Passend zum 50-jährigen Jubiläum des Élysée-Vertrags, der die deutsch-französische Freundschaft besiegelte, tauschen die beiden Länder auf Initiative des jeweiligen Auswärtigen Amtes ihren Pavillon. Insgesamt haben 28 Länder einen eigenen Pavillon in den "Giardini" erbaut, dem Ausstellungsgelände der Biennale in Venedig. Jedes Land schickt einen oder mehrere Repräsentanten ins Rennen, um den "Goldenen Löwen" zu erringen.

Erst vor zwei Jahren heimste wieder einmal Deutschland mit Installationen von Christoph Schlingensief die Trophäe ein. Damals wie heute war Susanne Gaensheimer, Direktorin am Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main, für die Künstlerauswahl verantwortlich. Mit dem Pavillontausch stellen sie und ihre Kollegin, Christine Macel vom Pariser Centre Pompidou, auch die Aufteilung der Künstler nach Nationen in Frage. Eine Tradition, die viele schon lange für überholt halten.

Altlast aus der Nazi-Zeit

Susanne Gaensheimer ist bei der 55. Biennale bereits zum zweiten Mal zuständig für die Auswahl der Künstler des deutschen Pavillons. Sie sei froh, sich der "Dominanz" des Gebäudes entziehen zu können, sagt sie. Denn alle deutschen Künstler der Nachkriegszeit, die auf der Biennale ausgestellt haben, sahen sich gezwungen, sich an der Geschichte des 1938 von den Nazis umgebauten Pavillons abzuarbeiten. Joseph Beuys installierte 1976 seine legendäre "Straßenbahnhaltestelle. Ein "Monument für die Zukunft", mit der er menschlichem Leiden ein Denkmal setzen wollte. Der Bildhauer Ulrich Rückriem verfrachtete vier gigantische, schwere Steinblöcke ins Innere, um den monumentalen Ausmaßen des einräumigen Pavillons etwas entgegenzusetzen. Maßstäbe setzte Hans Haacke, der 1993 die Bodenplatten des Innenraums aufbrechen und als Schutt herumliegen ließ. Die Besucher stolperten über ein Trümmerfeld, in dem ihnen buchstäblich der Boden unter den Füßen entglitt.

Deutscher Pavillon
1938 wurde der Deutsche Pavillon zum Manifest nationalsozialistischer Baukunst umgestaltetBild: Ulrike Sommer

Aufbruch durch Tausch

"Ich fand es gut, diese Architektur nicht als Vorlage zu haben", erläutert Gaensheimer. Durch den Tausch habe sie die Anregung bekommen, international zu arbeiten und "das europäische Thema in einen globalen Kontext zu stellen." Dabei nimmt sie sich alle Freiheit heraus und präsentiert nun vier Künstler, die nicht aus Deutschland stammen. Auf den ersten Blick verbindet den Chinesen Ai Weiwei, den Deutsch-Iraner Romuald Karmakar, die Inderin Dayanita Singh und den Südafrikaner Santu Mofokeng nur wenig. Doch alle verstehen ihre Kunst als politisch und haben einen engen Bezug zu Deutschland.

Eine Frau im Anzug ist mit dem Rücken zu uns gerichtet und blickt über ihre Schulter in die Kamera. Fotograf: Mauricio Guillén
Die Kunsthistorikerin und Kuratorin Susanne GaensheimerBild: Mauricio Guillen

Ai Weiwei sagt, er sei überrascht über die Einladung gewesen, doch die Teilnahme sei für ihn eine große Ehre. Deutschland spiele in seiner Vita eine große Rolle: "Meine ersten Werke wurden alle dort ausgestellt." Im französischen Pavillon präsentiert er eine neue skulpturale Arbeit: Sie besteht aus 800 bis 1000 Hockern. "Es handelt sich um antike Möbel aus unterschiedlichen Regionen in China, die wir über Experten und Sammler bezogen haben. Es gibt davon nicht mehr viele. Sie haben eine mindestens 60- bis 100-jährige Geschichte", erklärt Ai. Nach Venedig darf er zu seinem großen Bedauern nicht reisen. "Obwohl ich jetzt als freier Bürger gelte, kann ich mein Land immer noch nicht verlassen", so Ai resigniert.

Ein Porträtfoto des chinesischen Künstlers Ai Weiwei REUTERS/Petar Kujundzic
Der chinesische Konzeptkünstler Ai WeiweiBild: Reuters

Verschiedene Bezüge zu Deutschland

Santu Mofokengs Bezug zu Deutschland ist technischer Natur. Der in Soweto aufgewachsene Südafrikaner lässt seine Fotos in einem Berliner Labor entwickeln. Für Gaensheimer ist das Besondere seiner Arbeit, dass er die Perspektive der Menschen zeigt, die in Südafrika leben, die die Apartheid als Alltag erlebt haben. In Venedig wird er eine Auswahl seiner Serie "Black Fotos" ausstellen. Sie zeigen Menschen um die letzte Jahrhundertwende, die sich in einem Porträtstudio fotografieren ließen. Außerdem ist "Graves" zu sehen. Eine Fotoserie, für die Mofokeng zum ersten Mal mit einer Digitalkamera los gezogen ist. Er dokumentiert, wie große internationale Konzerne ganze Landstriche in Besitz nehmen und dabei nicht davor zurückschrecken, Gräber auszuheben.

Ein Porträtfoto eines Mannes mit afrikanischer Herkunft. © Santu Mofokeng
Der südafrikanische Fotograf Santu MofokengBild: Santu Mofokeng

Die Arbeiten des Filmemachers Romuald Karmakars befassen sich mit Deutschland und der deutschen Geschichte. Karmakar ist der Sohn einer französischen Mutter und eines iranischen Vaters und wurde 1965 in Wiesbaden in Deutschland geboren.

Eine schwarz-weiß Fotografie eines Mannes mittleren Alters. © Romuald Karmakar
Der deutsche Filmemacher Romuald KarmakarBild: Romuald Karmakar

Auflösung von Nationendenken

"Ich mag die Vorstellung von Nationalität nicht. Deshalb habe ich die Einladung angenommen", sagt die Inderin Dayanita Singh. Sie reflektiert mit projizierten Fotos und Filmen autobiografisch ihr Leben als Frau in der indischen Gesellschaft und als nomadisch reisende Fotografin in der Welt. Deutschland hat sie kennen und schätzen gelernt: Ihre Bücher gibt sie im Steidl Verlag in Göttingen heraus.

Die Inderin ist froh, dass die Frage nach der Nationalität im Deutschen Pavillon keine Rolle spielt. Seit zehn Jahren wiederhole sie ständig: "Schaut Euch meine Arbeit an, und kümmert Euch nicht darum, ob ich Inderin oder Pakistani oder was auch immer bin." Und sie fragt sich immer wieder: "Warum ist meine Herkunft so wichtig?"

***ACHTUNG: Verwendung nur zur Berichterstattung über den Deutschen Pavillon der Biennale 2013*** Dayanita Singh, Portrait Foto: Vicky Roy, © Dayanita Singh, Frith Street Gallery Download Pressebereich: http://www.mmk-frankfurt.de/de/presse/pressedownload/deutscher-pavillon-55-biennale-von-venedig-2013/
Die Fotografin Dayanita SinghBild: Vicky Roy/Dayanita Singh, Frith Street Gallery

Vier Künstler mit vier verschiedenen Blickwickeln auf die Welt - was das mit Venedig zu tun hat, wird sich noch herausstellen.