Heinrich Böll und sein Irland
21. Dezember 2017Seine erste Reise nach Irland vergaß Heinrich Böll nie. "Als ich an Bord des Dampfers ging, sah ich, hörte ich und roch ich, dass ich eine Grenze überschritten hatte." Das ist der erste Satz seines "Irischen Tagebuchs". Irland war anders - das merkte Böll, noch ehe er die Insel zum ersten Mal betreten hatte. "Hier roch es schon nach Torf, klang kehliges Keltisch aus Zwischendeck und Bar, hier schon nahm Europas soziale Ordnung andere Formen an: Armut war nicht nur 'keine Schande' mehr, sondern weder Ehre noch Schande."
Dieser Aspekt - die Armut, die aber nicht unbedingt als solche empfunden wurde - hat Böll an Irland besonders fasziniert. "Deutschlands erfolgreichster Nachkriegsautor", wie er 1961 in einer "Spiegel"-Titelgeschichte genannt wurde, stand der jungen Bundesrepublik kritisch gegenüber. Freßwelle, Reisewelle, Kaufrausch und Autoboom - ihn stieß das ab. Vor allem auch, weil die jüngere Vergangenheit zur gleichen Zeit totgeschwiegen wurde.
Liebe auf den ersten Blick
Das schroffe, unverstellte Irland erschien ihm als Gegenpol. Schon ein Jahr nach seinem ersten Besuch 1954 kehrte er zurück, diesmal mit seiner Familie. "Ich weiß noch genau, wie wir ankamen", erinnert sich sein Sohn René Böll im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Er war damals knapp sieben, jetzt ist er knapp 70. "Ich bin zum ersten Mal mit einem Schiff gefahren, habe zum ersten Mal das Meer gesehen, zum ersten Mal Berge. Und auch ein unzerstörtes Land. Da waren ja keine Bomben gefallen, ganz anders als in Köln."Von nun an zog die Familie jedes Jahr im Sommer für vier Monate nach Irland. Die Kinder wurden dafür aus der Schule genommen, das ging damals noch. Zusätzlich fuhr Böll des öfteren allein hin.
1958 kaufte er sich ein Haus in der Nähe der Ortschaft Keel auf Achill Island, einsam vor der irischen Nordwestküste im Atlantik gelegen."Wir Kinder fanden es dort fantastisch, wirklich paradiesisch", erzählt René Böll. "Man konnte draußen rumlaufen, ganz allein." Vom Hafen aus fuhren die Fischer aufs Meer, um Riesenhaie zu fangen. "Die Haie kann man heute noch sehen vom Land aus", hat René Böll festgestellt. "Damals wurden sie wegen des Lebertrans gejagt. Jedes Jahr bis Anfang der 60er Jahre wurden hunderte, in einem Jahr über tausend in den Hafen gebracht." Für Heinrich Böll (1917-1985) war die Einsamkeit ideal, um sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er musste regelmäßig etwas veröffentlichen, um das Haus abbezahlen zu können, das er in Köln gekauft hatte. Zwischen Moor und Meer war er ungestört. René Böll: "Da war man wirklich aus der Welt. Telefon gab's ja nicht, ein Brief dauerte hin und zurück zwei Wochen. Das kennt man heute gar nicht mehr.“
Bölls "Irische Tagebücher“ locken Touristen
Paradoxerweise hat Böll selbst seinen Teil dazu beigetragen, dass Irland dann doch noch in die Gegenwart katapultiert wurde. Sein "Irisches Tagebuch" wurde 1957 ein Riesenerfolg. Viele Deutsche wollten danach selbst die "Grüne Insel" erkunden, die zudem auch noch unschlagbar billig war. Bald gab es kaum noch eine katholische Pfadfindergruppe, die noch keine Planwagenfahrt durch Bölls Sehnsuchtsland unternommen hatte. "Ende der 60er Jahre kamen zeitweise sehr viele Touristen", erinnert sich René Böll. "Nicht gerade Ballermann, aber doch so in der Richtung. Sehr viele feiernde Jugendliche."
Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass Heinrich Böll der Insel gerade zu dieser Zeit den Rücken kehrte. Nach 1973 blieb er weg. Es waren die Jahre, in denen rechte Politiker und Zeitungen eine Hetzkampagne gegen den Nobelpreisträger führten und ihn als Sympathisanten der Terroristen der RAF (Rote Armee Fraktion) abstempelten. Zudem plagten ihn schwere Gesundheitsprobleme, so dass er sich ein zweites, wesentlich näher gelegenes, Haus in der Voreifel zulegte.
Lebendige Erinnerungen an Böll
Ein einziges Mal sah man "Henry" noch auf Achill Island wieder, das war 1983. Aber er blieb nur zwei Tage. Heute ist sein Haus erneut ein Rückzugsort für Schriftsteller, die dort ein Stipendium bekommen können. "Die Iren machen jedes Jahr noch ein Heinrich-Böll-Wochenende, das ist immer ein tolles Programm, mit vielen Schriftstellern aus Dublin, aus dem Ausland. Lesungen, Konzerte, archäologische Führungen", berichtet René Böll, der im Mai noch dort war. Trotz aller Veränderungen liebt er das Land nach wie vor: "Für mich ist es immer eine Heimat geblieben."
Christoph Driessen (dpa)