G20 Gipfel Auftakt
3. November 2011Strahlend blauer Himmel, angenehme Temperaturen noch im November, die Cote d'Azur direkt am Kongresspalast. Eine ambitionierte Tagesordnung dazu mit Visionen, um die Welt zu einem besseren Platz zu machen. Das war der Plan von Gipfelgastgeber Nicolas Sarkozy für das Treffen der Mächtigen aus den wichtigsten Industrie- und Schwellenländern der Erde. Doch aus diesem Plan wird nichts. Freilich, am schlechten Wetter in Cannes trifft den französischen Präsidenten keine Schuld. Aber dass sich die griechische Tragödie derart zuspitzen konnte und seinen G20-Gipfel überlagert - dafür sind einzig und allein die Europäer verantwortlich. Viel zu lange haben sie gezaudert und gezögert - und bekamen nun die Quittung für ihr schlechtes Krisenmanagement. Das mitternächtliche Machtwort von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy an Griechenlands Premier Papandreou hätte schon viel früher kommen müssen.
Troubleshooting à la Cannes
Hektische Krisentreffen in Sachen Griechen-Drama hatte es schon am Mittwoch (02.11.2011) in Cannes gegeben, auch am ersten G20-Gipfeltag ging es so weiter. Termine wurden angesetzt und kurz darauf wieder abgesagt, zwischendurch gab es bilaterale Treffen - und immer wieder neue Nachrichten aus Athen. Auf die neuerliche Kehrtwende von Premier Papandreou, nun doch auf das Referendum zu verzichten, reagierte Bundeskanzlerin Angela Merkel ausgesprochen kühl: Für sie "zählen nur Taten." Es sei noch nicht ganz ersichtlich, was nun geschehen werde, und daher werde auch die nächste Tranche aus dem Hilfsfonds weiter auf Eis gelegt.
Dessen ungeachtet mussten sich die Europäer von ihren G20-Partnern ermahnen lassen, die Probleme nun entschlossen anzugehen - denn schließlich gehe es nicht nur um die Stabilität Europas, sondern um die der gesamten Weltwirtschaft. Zwar gab es auch Lob von US-Präsident Barack Obama für die "Führungsstärke von Angela", gemeint war die Bundeskanzlerin, aber auch den erhobenen Zeigefinger. Eine Rezession ist das letzte, was Obama brauchen kann, will er doch im kommenden Jahr wiedergewählt werden.
Chinas Präsident Hu Jintao und sein russischer Amtskollege Dmitri Medwedjew drängten ebenfalls auf ein zügiges Handeln der Europäer. Nicht ganz ohne Eigennutz: Denn schließlich sind die Wirtschaftsbeziehungen beider Mächte mit Europa stark ausgeprägt. Und ihre Volkswirtschaften leiden mittlerweile so wie die der anderen Schwellenländer Brasilien, Indien und Südafrika unter den Folgen der Schuldenkrise.
Push für die Weltwirtschaft
Da verwundert es nicht, wenn die G20 am Ende des ersten Tages verkündeten, die Weltwirtschaft ankurbeln zu wollen. Ein sogenannter "Aktionsplan für Wachstum und Beschäftigung" soll für mehr internationale Abstimmung der Wirtschaftspolitik sorgen. Vor allem die galoppierende Jugendarbeitslosigkeit hat man dabei im Blick. Auch sollen - so berichtete es die Bundeskanzlerin der Runde der G20 - die Schwellenländer aufgewertet werden. Zum einen soll ein neues Währungssystem entwickelt werden, das die gewachsene Bedeutung dieser Staaten besser widerspiegelt. Zum anderen sollen auch die Gewichtungen innerhalb des Internationalen Währungsfonds den neuen Realitäten angepasst werden.
Kampf gegen Hunger nur am Rande
Bei alledem rutschen manche Themen, die ursprünglich weit oben in der Tagesordnung standen, plötzlich nach unten durch: Der Kampf gegen Hunger und Armut beispielsweise. Nichtregierungsorganisationen sind darüber erzürnt. So groß die Gefahren der momentanen Finanzkrise seien, dürften sie doch nicht alle anderen Probleme der Menschheit überlagern, heißt es beispielsweise beim WWF. Und auch bei ONE, einer Organisation, die sich der Bekämpfung von extremer Armut und vermeidbaren Krankheiten speziell in Afrika widmet, schaut man besorgt auf die Geschehnisse in Cannes. So befürchtet ONE-Deutschland-Direktor Tobias Kahler etwa, "dass Entwicklungszusammenarbeit und die Zusammenarbeit mit dem Kontinent Afrika ganz nach unten rutscht und dass die Staats- und Regierungschefs gar nicht dazu kommen werden, darüber zu reden". Dabei sei das dringend nötig: "Denn die meisten Länder - darunter auch Deutschland - hinken ja weit zurück bei der Erreichung ihrer Finanzierungszusagen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit", so Kahler im Gespräch mit DW-WORLD.DE.
Kaum Chancen für Finanzmarktsteuer
Für einen Hoffnungsschimmer sorgte zumindest der Multi-Milliardär Bill Gates. Ihn hatte Präsident Sarkozy gebeten, Vorschläge zu erarbeiten, wie Entwicklungshilfe in Zukunft finanziert werden kann. Die Empfehlungen hat Gates nun hier in Cannes den Staats- und Regierungschefs vorgestellt: Mit einer internationalen Tabaksteuer, der Besteuerung von Emissionen im Flug- und Schiffsverkehr und einer Finanzmarktsteuer - so schlägt Gates vor - könnte man genug Geld einnehmen, um die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen doch noch zu erreichen. Doch schon bei der Transaktionssteuer für die Finanzmärkte haben die Gegner, namentlich die USA und Großbritannien, hier in Cannes die Bremsklötze ausgepackt. Zwar solle man die Banken an den Kosten der Krise durchaus beteiligen, ließ US-Präsident Obama verlauten, doch das müsse nicht über eine solche Steuer geschehen. Womöglich treten hier die Euro-Länder in Vorleistung und beschließen eine solche Steuer im Alleingang. Das wäre dann wieder mal eine gute Nachricht aus Europa.
Autor: Henrik Böhme, zur Zeit Cannes
Redaktion: Daniel Scheschkewitz