Helfen Kryptowährungen Sanktionen zu umgehen?
9. März 2022Russland ist inzwischen durch Sanktionen weitgehend vom globalen Finanzsystem ausgeschlossen. Das soll Finanztransaktionen erschweren, den Zugriff der Zentralbank auf die umfangreichen Devisenreserven verhindern und das Vermögen von russischen Oligarchen einfrieren. Allerdings warnen Experten: Diese Sanktionen könnten umgangen werden.
"Kryptowährungen bergen das Risiko, die Sanktionen gegen Russland zu untergraben und ermöglichen Putin und seinen Gefolgsleuten, wirtschaftlich schmerzhafte Einschnitte zu unterlaufen," sagt die US-Senatorin Elizabeth Warren und verlangt von den US-Regulierungsbehörden, hart durchzugreifen. Auch Mykhailo Fedorov, der stellvertretende Premierminister der Ukraine, sieht diese Gefahr und hat seit Beginn der Invasion wiederholt Kryptobörsen aufgefordert, russische Nutzer zu sperren.
Unmengen an Rubel wurden in Kryptowährungen getauscht
In der Tat sind Kryptowährungskäufe in Rubel auf ein Rekordhoch geklettert, seit die USA und ihre westlichen Verbündeten den russischen Finanzsektor mit harten Sanktionen überzogen haben. Das Forschungsinstitut CryptoCompare meldete einen dreifachen Anstieg gegenüber der Vorwoche, mit einem Rubel-Krypto-Handelsvolumen von rund 15,3 Milliarden Rubel (rund 128 Millionen Euro) am Montag nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine.
Das sei zwar ein "bemerkenswerter Anstieg", heißt es dazu von Chainalysis, einem Unternehmen für Blockchain-Analysen, es sei aber immer noch nur ein Bruchteil des Volumens, das während der Höchststände des Rubel-Kryptohandels, etwa im Mai 2021, erreicht wurde.
Kryptobörsen verweigern Sperrung russischer Nutzerinnen und Nutzer
Inzwischen haben zahlreiche Unternehmen ihre Geschäftsbeziehungen zu Russland gekappt, darunter mehrere Zahlungsdienste wie Visa, Mastercard und Apple Pay. Von den Kryptowährungsbörsen heißt es zwar, sie würden die Sanktionen befolgen und sich an das Gesetz halten. Aber sie weigern sich bislang, russische Nutzerinnen und Nutzer zu sperren. Noch sind sie dazu auch nicht durch Sanktionen verpflichtet.
"Zu diesem Zeitpunkt werden wir kein pauschales Verbot für alle Transaktionen mit russischen Adressen einführen", sagte ein Sprecher von Coinbase, der größten Kryptowährungsbörse in den USA, gegenüber der DW. "Stattdessen werden wir weiterhin alle verhängten Sanktionen umsetzen, einschließlich der Sperrung von Konten und Transaktionen, an denen sanktionierte Personen oder Organisationen beteiligt sein könnten."
Binance und Kraken, zwei weitere große Börsen, haben ebenfalls erklärt, dass sie die Sanktionen einhalten, aber keine generellen Verbote für russische Aktivitäten umsetzen werden. Changpeng Zhao, der Geschäftsführer und Gründer von Binance, sagte der BBC, sein Unternehmen werde die internationalen Sanktionen "sehr, sehr streng" befolgen. Er lehne aber ein generelles Verbot für Russland ab: "Wir unterscheiden zwischen den russischen Politikern, die Kriege anzetteln, und den normalen Menschen." Viele normale Russen seien mit Krieg nicht einverstanden, so Zhao.
Ein Problem sei außerdem, dass es neben den großen, globalen Börsen wie Binance und Coinbase weltweit noch tausende kleinere Börsen gebe. Das bedeutet: Selbst wenn die größeren Börsen den Zugang zu Russland einschränken würden, würden die russischen Nutzer einfach auf andere, kleinere Plattformen ausweichen, glaubt Zhao.
Kontrolle der Kryptowährungen wäre möglich
Dabei wäre es dem Kryptowährungssektor durchaus möglich, herauszufinden, welche Personen mit Sanktionen belegt wurden, heißt es von Chainalysis. "Sobald Einrichtungen wie die OFAC [US-Regierungsbehörde, die für die Durchsetzung von Sanktionen zuständig ist - Anm. d. Red.] bestimmte Kryptowallets identifiziert hatte, die mit sanktionierten Personen und Einrichtungen in Verbindung stehen, konnten wir innerhalb einer Stunde eine Warnung für diese Wallets platzieren", erklärte Caroline Malcolm, Leiterin der internationalen Politik bei Chainalysis.
"Unsere Kunden, ob sie nun von der Regierung oder Industrie kommen, konnten dadurch erfahren, ob es irgendwelche Transaktionsaktivitäten in Bezug auf diese Wallets gibt." Eine Börse würde sofort einen Alarm erhalten, wenn jemand versuche, Geld von einer sanktionierten Wallet-Adresse in die Börse zu transferieren, um es in Bargeld umzuwandeln, so Malcolm.
Die Mehrheit der Kryptowährungstransaktionen würden auf sogenannten Blockchain-Ledgern aufgezeichnet, so Malcolm. Bei dieser Technologie sind die Transaktionen nicht veränderlich und alle Netzwerkteilnehmer können sie einsehen. Laut Malcolm sei es dadurch viel schwieriger geworden, illegale Gelder über Blockchains zu verschieben. Das zeige allein die jüngste Beschlagnahmung von Bitcoin im Wert von 3,6 Milliarden Dollar durch das US-Justizministerium, die beim Bitfinex-Hack 2016 gestohlen wurden.
"Das Ausmaß wäre einfach zu groß"
Daher scheinen sich US-Beamte darin einig zu sein, dass Kryptowährungen kein bedeutender Fluchtweg sind für den russischen Staat oder Personen, die unter die Sanktionen fallen. "Das Ausmaß, in dem der russische Staat Kryptowährungen tauschen müsste, um alle Finanzsanktionen der USA und ihrer Partner erfolgreich zu umgehen, wäre einfach zu groß," sagte Carole House, Direktorin für Cybersicherheit beim Nationalen Sicherheitsrat der USA, vergangene Woche.
Einzelpersonen oder Unternehmen, die mit Sanktionen belegt wurden, hätten Schwierigkeiten, ihren Reichtum in Kryptowährungen zu verstecken, heißt es vom US-Finanzministerium. "Auch einzelne Eliten, die Milliarden von Dollar über digitale Geldbörsen waschen, würden von denjenigen, die die Ströme auf den Märkten für virtuelle Währungen verfolgen, entdeckt werden können," sagte ein Sprecher der Nachrichtenagentur Reuters.
Inzwischen wurden auf Druck der USA einige Tausend Krypto-Konten gesperrt. Allerdings würden die meisten russischen Oligarchen und Putin-Unterstützer wohl weiter unbehelligt bleiben, sagt Hanna Halaburda, Professorin für Wirtschaftstechnologie an der New York University. "Der Bitcoin wurde ja genau dazu erfunden, um Regulierungen von Regierungen zu umgehen." Theoretisch könnte die Bitcoin-Gemeinschaft zwar jetzt schwarze Listen einführen, dafür müsste sie sich aber erstmal koordinieren, so die Wissenschaftlerin gegenüber der ARD. "Und dann gibt es ja noch die ganzen Kryptowährungen der zweiten Generation. Da sind wir dann so gut wie machtlos, die Nutzung von Kryptowährungen einzuschränken."
Kryptowährungen wollen Versprechen der finanzielle Freiheit nicht brechen
Vor allem aber die Idee, die hinter den Kryptowährungen steht, passt nicht zu der Forderung, bestimmte Teilnehmer zu sperren. Für viele besteht der Charme von Kryptowährungen sowie praktisch aller DeFi (dezentralisierte Finanzmärkte) darin, traditionelle Banken und Regierungen zu umgehen.
"Unsere Mission bei Kraken ist es, einzelne Menschen aus dem alten Finanzsystem herauszuholen und sie in die Welt der Kryptowährungen zu bringen, wo willkürliche Linien auf Landkarten keine Rolle mehr spielen und wo sie sich keine Sorgen machen müssen, in einer breiten, wahllosen Vermögenskonfiskation gefangen zu sein", sagte Kraken-CEO Jesse Powell auf Twitter und fügte hinzu, dass Bitcoin "die Verkörperung libertärer Werte" sei.
Auch Binance betont in einer Erklärung, dass "Kryptowährungen dazu gedacht sind, den Menschen auf der ganzen Welt mehr finanzielle Freiheit zu bieten". Dennoch haben die Börsen angedeutet, dass sie ein generelles Verbot für russische Nutzer aussprechen würden, sollten sie gesetzlich dazu verpflichtet werden. Von Coinbase heißt es: "Wir halten uns an die Sanktionsrahmen und das Gesetz - das ist unser einziges Ziel."
Aus dem Englischen adaptiert von Insa Wrede.