Helmut Kohl - Ein Mann der Geschichte
Politisch ist er 1989 beinahe am Ende, doch dann weht der "Mantel der Geschichte" und Helmut Kohl ergreift den Saum. Vor allem seine Deutschland- und Europapolitik prägen sein Erbe als sechster deutscher Bundeskanzler.
Trauer in Straßburg
Helmut Kohl war ein Mann, der Europa maßgeblich mitformte, den Kontinent erweiterte und seine Grenzen nach innen wie außen öffnete. Dieses Engagement wie auch sein unbedingter Glaube an ein vereintes Europa sind unvergessen. Dafür dankten ihm auch die Staatschefs, die sich zu seinem Gedenken in Straßburg versammelten.
Kein bescheidener Karriereplaner
Schon früh wusste er was er wollte. Als "Enkel" Konrad Adenauers, des ersten Bundeskanzlers, hat er sich selbst nie gesehen. Doch den Einfluss des "Alten" wusste Kohl schon früh zu nutzen. Noch als Jung-Politiker in Rheinland-Pfalz lud er Adenauer zum CDU-Landes-Parteitag ein - hinter dem Rücken des CDU-Ministerpräsidenten Peter Altmeier. Und er kam. Ein Coup auf dem Weg nach oben.
Homestories? Find ich gut!
Der Historiker Kohl war ein Modernisierer. Die Macht der Medien entdeckte er schon als Landespolitiker in Rheinland-Pfalz Anfang der 1970er Jahre. Immer mal wieder öffnete er seinen Bungalow in Oggersheim auch für Journalisten. Das Bild, das sie vom Landes- und Familienvater damals verbreiteten, war imagebildend. Kohl war ehrgeizig und dynamisch und verkörperte das Aufstiegsdenken seiner Zeit.
Geschafft, Bundeskanzler!
Am 1. Oktober 1982 ist Helmut Kohl am Ziel seiner politischen Träume. Der einfache Junge aus der Provinz wird Bundeskanzler und löst den "Weltpolitiker" Helmut Schmidt (SPD) ab. Es ist die Zeit, in der Kohl viel Spott vom linken Gesellschaftsspektrum erntet, als "Birne" verhöhnt wird. Viele unterschätzten seine hohe politische Professionalität und Hartnäckigkeit. Kohls Stunde kam Jahre später.
Ein Gefühl für die Symbolik der Stunde
Eine Geste für die Geschichtsbücher: Am 22. September 1984 auf einem Soldatenfriedhof in der Nähe von Verdun. Wer hat da wem die Hand gegeben? Es war der französische Staatspräsident François Mitterrand und Helmut Kohl hat sie gerne angenommen. Längst ist das Foto von diesem Moment an den Gräbern deutscher rund französischer Soldaten eine Ikone der Zeitgeschichte.
1989 fast am Ende
Auf dem CDU-Parteitag im September 1989 ist sein politisches Schicksal fast besiegelt. Gesundheitlich angeschlagen kann er einen "Putsch" prominenter Parteikollegen sich gerade noch abwenden. Unmittelbar davor hatte er die Information erhalten, dass Ungarn seine Grenzen für Tausende DDR-Flüchtlinge öffnen würde. In der Stunde der gescheiterten Ablösung bot sich ihm eine neue politische Chance.
"Wenn die geschichtliche Stunde es zulässt ..."
Am 19. Dezember 1989 ist noch nichts entschieden in der deutschen Frage. Kohl ist in Dresden, Gerüchte kursieren. Der Kanzler will vor der Frauenkirche eine Rede halten. Würde er den Wunsch vieler Menschen laut aussprechen? Er zögerte lange, doch dann benennt er das Ziel: "die Einheit unserer deutschen Nation." In der emotionalen Atmosphäre vor Zehntausenden hält er Maß und Mitte.
In Strickjacke zur Einheit
Zwischen dem 14. und 16. Juli 1990 fielen die Würfel endgültig zugunsten der deutschen Einheit. Zumindest der "äußeren Einheit". Kohl und Genscher waren in Moskau und im Kaukasus, der Heimat Gorbatschows. Es ging um die Frage der NATO-Zugehörigkeit eines wiedervereinigten Deutschlands. Gorbatschow stimmte zu. Es war die letzte und größte politische Hürde auf dem Weg zur Einheit.
Selbst ist der Mann
An Durchsetzungskraft hat es Helmut Kohl nie gefehlt. Der "schwarze Riese", wie er in Anspielung auf seine Größe (1,93 Meter) und seine politische Orientierung genannt wurde, konnte sich gut selbst wehren. Seine Leibwächter hatten Mühe, Kohl im Zaum zu halten, als er am 10. Mai in Halle von Demonstranten mit Eiern beworfen wurde. Das wollte er am liebsten selbst regeln.
Die Europäisierung Deutschlands
Europa war kein bloßes Politikfeld für Helmut Kohl, es war seine Herzensangelegenheit. Die deutsche Einheit war ausgehandelt, aber noch nicht feierlich ausgerufen, als EU-Kommissions-Präsident Jacques Delors Kohl bei einem Besuch in Bonn eine Europakarte überreichte. Mit Gesamtdeutschland als Mitgliedsland.
Szenen einer Familie
Hannelore Kohl nimmt sich 2001 nach langer Krankheit das Leben. Mit ihrem Tod geht auch die Familie in die Brüche. Auch weil der politische Kohl den privaten Kohl an den Rand gedrängt hatte. "Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass die öffentliche Tätigkeit meines Vaters bis in die letzten Bereiche des Privatlebens ... spürbar war", schreibt Sohn Walter in seinem Buch "Leben oder gelebt werden".
Maike Richter-Kohl
Spätestens seit 2005 mit Kohl liiert und drei Jahre später verheiratet, ist die Frau an seiner Seite umstritten. Der 53-jährigen Volkswirtin wurde immer wieder vorgeworfen, die alleinige Deutungshoheit über Kohls Leben anzustreben. Auch der Bruch zwischen Kohl und seinen beiden Söhnen wird ihr angekreidet. "Sie pflegt, schützt und kontrolliert ihn", schrieb 2012 die Süddeutsche Zeitung.
Kohls wichtigste Personalie
Wer ihm positiv auffiel, behielt Kohl im Gedächtnis. Auch auf die junge Angela Merkel war er früh aufmerksam geworden. Als "Kohls Mädchen" genoss sie lange seine Protektion. Mit Kohls nun endgültigem Schweigen über die Herkunft der Millionen-Spenden an die CDU gingen beide spürbar auf Distanz zueinander. Kohls letzter Wille schloss eine Rede Merkels bei einem deutschen Staatsakt aus.
Verneigung in "Dankbarkeit und Demut"
Nun aber hat es keinen deutschen Staatsakt gegeben, sondern einen "europäischen". In Straßburg kamen politische Wegbegleiter aus aller Welt zusammen, um vom Kanzler der nationalen und kontinentalen Einheit Abschied zu nehmen. Und hier sprach auch Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Danke für die Chancen, die wir als Deutsche und Europäer durch Sie erhalten haben."
Letzte Ruhestätte
Auf dem Friedhof des Kaiser-Doms in Speyer wird Helmut Kohl seine letzte Ruhestätte finden. Er zog diesen Ort dem Familiengrab in Ludwigshafen vor, wo seine verstorbene Frau Hannelore liegt. Diese Entscheidung wie auch der private Zwist vor den Gedenkfeierlichkeiten könnte das Andenken Helmut Kohls in den kommenden Jahren prägen. Ob er sich das gewünscht hat?